Manchmal sind es die einfachen Ideen, die letztendlich zu den größten Veränderungen führen. Die älteste Uhrenmanufaktur der Welt, Vacheron Constantin überrascht auf der diesjährigen Uhrenmesse SIHH 2019 mit einer neuen Technik zur Verbesserung der Gangautonomie, die scheinbar simple erscheint, in der mechanischen Umsetzung aber umso komplizierter ist.
Feinstarbeit – die 480 Einzelteile passen in ein 32 mm schmales Gehäuse
Komplexe Mechanismen lassen sich am einfachsten an praktischen Beispielen aus dem Leben erklären. Eine mechanische Uhr funktioniert vereinfacht gesprochen ähnlich wie ein menschlicher oder auch tierischer Organismus. Um am Leben zu bleiben benötigen wir Nahrung, die unser Körper in Energie umwandelt. Die mechanische Uhr überträgt die Energie vom Aufziehen auf das Federhaus. Ist die Energie verbraucht, sorgen wir für Nachschub.
Beim Menschen nennen wir es Energiereserven, bei der Uhr ist es die Gangreserve, die in der Regel spätestens nach ein paar Tagen aufgebraucht ist. Legen wir die Uhr also für eine längere Zeit zur Seite, müssen wir sie neu stellen, was bei Uhren mit Komplikationen wie Mondphasen oder Ewigen Kalendern besonders mühsam ist, und in der Regel nur von einem Uhrmacher justiert werden sollte. Ein Ewiger Kalender läuft nun mal nur ewig, wenn er immer läuft.
Maximale Gangreserve von 65 Tagen im Standby Modus
Bislang übernahmen in Ruhephasen Uhrenbeweger die Aufgabe. Die Ingenieure bei Vacheron Constantin hauchen mit der Traditionnelle Twin Beat Ewiger Kalender jetzt zum ersten Mal einer Uhr ein verlängertes eigenständiges Leben ein, ohne sie zwischenzeitlich ‚füttern‘ zu müssen. Der Clou: eine zweite Unruh, die für den Standby-Modus konzipiert wurde und damit eine Gangreserve von 65 Tagen garantieren soll. Die Gangreserve im Aktiv-Modus liegt bei rund vier Tagen.
Zwei Unruhen mit verschiedenen Frequenzen für den Standby und Aktiv Modus
Zurück zum natürlichen Organismus: bestimmte Tiere, wie auch Bären gönnen sich in den Wintermonaten, wenn die Nahrung knapp wird einen Winterschlaf, bzw. eine Winterruhe, da Bären nur phasenweise ruhen. Die Herausforderung ist, dass der Körper ohne frische Nahrung, also Energie, weiterhin funktionieren muss. Der Bär fährt also seinen Puls stark herunter und zapft die notwendigen Reserven an. Wird die neue Uhr mit dem patentieren Twin Beat Mechanismus für längere Zeit weggelegt, kann der Träger über einen Drücker eine zweite Unruh in Gang setzen, die ihre Frequenz von 5 Hertz (36.000 Halbschwingungen pro Stunde) auf gerade einmal 1.2 Hertz (8.640 Halbschwingungen pro Stunde) herunterfährt. Auf den Organismus von Menschen oder Tieren übertragen würde das einen beängstigend niedrigen Blutdruck bedeuten – denn die niedrigste Frequenz in der Uhrmacherei liegt normalerweise bei 2.5 Hertz.
Ein separater Zeiger auf dem Zifferblatt zeigt an, mit welcher Frequenz die Uhr gerade läuft
Dafür wurde extra eine neue Spiralfeder angefertigt, die fast viermal kleiner und dementsprechend auch empfindlicher ist als die Spiralfeder der Aktiv-Unruh. Vacheron Constantin schafft es durch eine ausgeklügelte Konstruktion, auch mit diesem niedrigen Drehmoment die Zeitmessung kaum zu beinträchtigen (zirka 8 Minuten Abweichung in 8 Wochen). Vorausgesetzt, die Uhr wird im Standby-Modus nicht getragen und liegt flach auf ihrer Rückseite, damit die Gravitation möglichst wenig Einfluss auf den Mechanismus hat.
Das Federhaus mit seinen Getriebe-Differenzialen (links)
Das patentierte Feder-Verbundssystem zur Datumschaltung des Ewigen Kalenders (rechts)
Beide Unruhen sind über zwei getrennte Getriebeketten mit dem Federhaus verbunden. Die Stunden- und Minutenzeiger müssen daher ihre Information aus zwei Getrieben beziehen, aber dennoch konstant und zuverlässig laufen. Ein Getriebedifferential, das auf das Federhaus montiert wurde steuert die Energiequelle, die gerade für die Zeitanzeige in Betrieb ist. Ein Modus-Regler sorgt dafür, dass immer nur eine Unruh in Bewegung sein kann und der Wechsel ohne Verzögerung erfolgt. Ein zweites Differenzial auf dem Federhaus ist mit der Hauptspiralfeder verbunden und sorgt dafür, dass ihr Drehmoment im Standby-Modus reduziert wird.
Das Federhaus mit seinen beiden Unruhen (links)
Das Differenzial für doppelte Gangreserveanzeige (mitte)
Welche Unruh gerade in Gebrauch ist, wird über einen separaten Hebel gesteuert (rechts)
Als hätte das Uhrwerk nicht schon genug Arbeit, die normale Zeitangabe über 65 Tage am Leben zu halten, hat ihm Vacheron Constantin noch einen Nebenjob verpasst und einen Ewigen Kalender mit springender Anzeige integriert. Das bedeutet, dass die Anzeigen-Elemente (Tag, Monat, Jahr) springend vorrücken, was enorm viel Energie kostet. Wird ein Bär in seiner Winterruhe unsanft geweckt, so mobilisiert sein Körper alle verfügbaren Reserven um den plötzlich rapide ansteigenden Energieverbrauch zu decken. Durch die plötzlich springende Anzeige des Ewigen Kalenders werden die Energiereserven der Unruh angezapft, was die Schwingungsamplitude der Unruh reduziert und die Chronometrie der Uhr beeinträchtigt.
Extrem innovativ –
der Twin Beat Perpetual Calendar mit springender Anzeige von Vacheron Constantin
Daher hat Vacheron Constantin einen Steuermechanismus entwickelt, der über die Zeit kontinuierlich Kraft sammelt und speichert. Ein spezielles Feder-Verbundsystem mit zwei Gängen benötigt ein viermal geringeres Drehmoment als herkömmlich springende Anzeigen. So meistert das Werk auch im Standby-Modus die energiesaugende Schaltung aller drei Anzeigen des Ewigen Kalenders zum Jahreswechsel.
Alle Funktionen auf einen Blick
Das noch junge Kaliber 3610 QP wird behutsam in ein klassisches Gehäusedesign der ‚Traditionnelle‘ Kollektion gebettet und besteht aus Platin. Die Platinen und Brücken sind mit Genfer Streifendekor verziert und mit NAC behandelt, was für eine längere Lebensdauer sorgen soll. Der obere Teil des Zifferblatts wurde kreisförmig von Hand guillochiert und die Oberfläche sandgestrahlt. Auf der unteren Seite blitzt atmosphärisch das Schaltwerk des Ewigen Kalenders unter dem teilweise geöffneten Zifferblatt hervor.
Kaliber 3610 QP
Das Kaliber 3610 QP besteht aus 480 Einzelteilen, die gerade einmal eine Höhe von 6 mm in Anspruch nehmen. Das Gehäuse hat dazu einen Durchmesser von nur 32 mm, was für eine Uhr mit Ewiger Kalender Funktion äußerst schmal ist. Die Traditionnelle Twin Beat Ewiger Kalender kostet 217.000 Euro und ist nicht offiziell limitiert. Wir gehen aber davon aus, dass die Manufaktur nur eine geringe Stückzahl pro Jahr produzieren wird.
Die neue Twin Beat hat ein Platingehäuse und kostet 217.000 Euro