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Im Fokus der Investoren: Die Anziehungskraft der Vaucher Manufacture Fleurier
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Im Fokus der Investoren: Die Anziehungskraft der Vaucher Manufacture Fleurier

8. August 2024

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Vaucher Manufacture Fleurier kaum von anderen Schweizer Uhrenmanufakturen. Helle, moderne weiße Räume beherbergen hochmoderne Maschinen, feinste Uhrwerksdekorationen werden in ihrer ganzen Vielfalt zur Schau gestellt, Mitarbeiter posieren neben Solarpanels, die auf Nachhaltigkeitsversprechen verweisen. Doch hinter diesem makellosen Äußeren verbirgt sich ein vielschichtiges und äußerst begehrtes Unternehmen in der Welt der Uhrmacherei. Tatsächlich handelt es sich aktuell um eine der prominentesten und gleichzeitig am wenigsten beleuchteten Diskussionen der Branche: Was genau macht die Vaucher-Manufaktur so begehrt, was macht sie zu einem Risikofaktor – und warum hoffen einige der weltweit mächtigsten Investoren, sie in die Finger zu bekommen?

Früh übt sich: Hermès ist der Zeit voraus

Das Wichtigste vorweg: Vaucher Manufacture Fleurier ist keine Uhrenmanufaktur, sondern ein reiner Uhrwerkshersteller. Das 2003 als „Spin-off“ von Parmigiani Fleurier gegründete Unternehmen befindet sich mehrheitlich (zu 75 Prozent) im Besitz der Fondation de Famille Sandoz und gehört seit 2006 teilweise Hermès International, die 25 Millionen Schweizer Franken investierte, um sich mit 25 Prozent zu beteiligen. Heute darf Vaucher renommierte Marken wie Richard Mille, Corum, Audemars Piguet, Speake-Marin und Baume & Mercier zu seinen Kunden zählen und beschäftigt mehr als 200 hochqualifizierte Mitarbeiter – sogar 500, wenn man die Schwesterfirmen mitzählt.

Fondation de Famille Sandoz

Die Sandoz-Familienstiftung ist für ihre vielfältigen und weitreichenden Investitionen bekannt. Ein kurzer Blick auf Bloomberg genügt, um festzustellen, dass die wohlhabende Schweizer Privatstiftung in alle möglichen Bereiche investiert hat, von Finanzdienstleistungen über Hotellerie, Telekommunikation und grafisches Gewerbe bis hin zu Arzneimittelherstellern. Sie hält Anteile an einer Reihe produktiver und unweigerlich lukrativer Schweizer Unternehmen – man denke an den Pharmariesen Novartis, die Genfer Privatbank Banque Edouard Constant, das Hôtel Palafitte, Beau-Rivage Lausanne – und natürlich an Parmigiani Fleurier. Letztere allerdings war nicht immer so lukrativ.

Parmigiani Fleurier: Endlich im Rampenlicht

Einst nur absoluten Kennern geläufig – darunter König Charles III. und sein Toric-Chronograph – gab es eine Zeit, in der der Name dieser diskreten Marke viele Leute dazu veranlasste, sich zu vergewissern, ob es sich hierbei nicht eher um eine italienische Zutat handelt. Heute jedoch, nicht zuletzt seit der Ernennung des CEO und Uhrenmanagerikone Guido Terreni (ehemals verantwortlich für die phänomenal erfolgreichen Octo Finissimo-Uhren von Bulgari), ist Parmigiani Fleurier weit über die Sammlerkreise hinaus ein Begriff geworden. Das Modell Tonda PF hat sich schnell als eine der gefragtesten Modeuhren auf dem Markt durchgesetzt. Laut Bloomberg entfielen im Jahr 2023 98 Prozent des Umsatzes der Marke auf die neue Generation der Tonda-Linie.

Es wird weitgehend davon ausgegangen, dass Parmigiani Fleurier vor Terrenis Ernennung keinen Gewinn verzeichnete, während die Familie Sandoz die Verluste ausgeglichen haben soll. Der Umsatz von Parmigiani Fleurier hingegen liegt laut der Schweizer Finanzzeitung Bilanz heute bei rund 65 Millionen Schweizer Franken. Endlich ein eigenständiger Aktivposten, so könnte man meinen.

Schwesterunternehmen sorgen für eine umfassende Lieferkette

Die meisten Vaucher-Komponenten werden entweder im eigenen Hause oder im Rahmen des eingangs erwähnten Netzwerks von Schwesterunternehmen der Sandoz-Familienstiftung angefertigt. Atokalpa beispielsweise produziert Zahnräder und wichtige Komponenten, darunter die Hemmung und die Unruhspirale – eine Rarität, die nur eine Handvoll Schweizer Hersteller beherrschen. Elwin wiederum ist auf Mikrokomponenten wie Schrauben und Stifte spezialisiert. Quadrance et Habillage fertigt Qualitätszifferblätter, während die ebenfalls renommierte Firma Les Artisans Boîtiers Gehäuse produziert. Vaucher ist somit für alles zuständig, was das Uhrwerk ausmacht: Grundplatinen, Brücken und Zahnräder sowie die feine traditionelle Dekoration des Kalibers und natürlich die Konstruktion des Uhrwerks selbst.

Bemerkenswerte Uhrwerke

Im Gegensatz zu den typischen Drittanbietern von Basiswerken wie Sellita oder ETA hat sich Vaucher auf die Fertigung vollständiger Uhrwerke spezialisiert und genießt einen ausgezeichneten Ruf für seine Arbeit mit ultraflachen Uhrwerken, bei denen häufig Mikrorotoren zum Einsatz kommen und gleichzeitig komplizierte Vorrichtungen wie Tourbillons und Mondphasen eingebaut werden. Die Manufaktur verfügt über fünf Hauptuhrwerkslinien.

Ein solches klassisches Automatikwerk ist das Seed VMF3002, das Vaucher als „zeitlosen Klassiker“ bezeichnet. Das Kaliber, das unter anderem von Speake-Marin für seine Velsheda-Modelle verwendet wird, verfügt über ein doppeltes Federhaus, das der Unruh mit variablem Trägheitsmoment eine gleichmäßigere Energiezufuhr gewährleistet. Das schlanke Kaliber Seed VMF 5401 ist ein besonders flaches Werk (2,60 mm), das durch die Integration eines Mikrorotors erreicht wird. Das robuste und flache Uhrwerk, das häufig modifiziert wird, ist in einer Reihe von Prestigeuhren wie der schicken Clifton 18030 Perpetual Calendar von Baume & Mercier verbaut.

Das zentrale Chronographenkaliber von Vaucher hingegen ist das Seed VMF 6710, ein sogenannter integrierter Chronograph. Seine Konstruktion vereint eine Hochfrequenz-Unruh, ein Säulenrad, eine vertikale Kupplung und einen linearen Gleithammer. Es ermöglicht eine Ganggenauigkeit von einer Zehntelsekunde und verfügt über einen vollständigen Kloben mit Doppellagerung, um Stabilität und Stoßfestigkeit zu gewährleisten. Abgerundet wird es durch einen Goldrotor, der zu einer Gangreserve von 65 Stunden beiträgt.

Vaucher, die auch in der Herstellung von Tourbillons führend ist, bietet zwei weitere nennenswerte Linien an. Das Seed VMF 3024 verfügt über ein fliegendes Tourbillon mit Automatikaufzug, ein Doppelfederhaus, einen Titankäfig und eine Unruh mit variablem Trägheitsmoment. Trotz ihres schlanken Profils ist das Werk präzise und robust, mit einer goldenen Schwungmasse und hochwertigen Endbearbeitungen, die es auf ein außergewöhnliches Niveau heben. Das Seed VMF 5430/22 – mit 3,4 mm eines der flachsten Tourbillonwerke der Welt – besticht durch seine innovative Konstruktion und sein avantgardistisches Design. Seine bemerkenswerten Personalisierungsmöglichkeiten und die moderne und zugleich zeitlose Ästhetik seiner Oberflächen machen es zu einem herausragenden Stück Uhrentechnik. Der aus Titan gefertigte Tourbillonkäfig des Handaufzugswerks erhöht die Regulierungsleistung und damit auch die Präzision zusätzlich.

Unabhängig davon, um welches Uhrwerk es sich handelt oder was es im Falle einer Modifizierung werden könnte, führt Vaucher auch interne Qualitätskontrollen durch und zertifiziert die Kaliber nach den Wünschen seiner Kunden, von COSC bis zur „Qualité Fleurier“.

In aller Munde: Potenzial für eine Übernahme

Es verwundert daher kaum, dass die Vaucher Manufacture Fleurier und ihre Pendants als ein einziges, beeindruckendes Uhrmacherunternehmen eine so attraktive Anlage bilden. Dies bringt uns zum Thema der Stunde. Vor einigen Monaten berichtete die Zeitschrift Miss Tweed unter Berufung auf Quellen aus erster Hand, dass die Sandoz-Familienstiftung bereit sei, Vaucher zusammen mit mehreren ihrer anderen Uhrenunternehmen zu verkaufen. Die Swatch Group, Richemont und LVMH sind als potenzielle Käufer im Gespräch. Nicht zu vergessen Hermès, das mit seinem besonderen Interesse an Vaucher zweifellos ein aussichtsreicher Kandidat ist. Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, einige der theoretischen Optionen zu betrachten – wobei die Betonung auf „theoretisch“ liegt!

Zukunftsinvestitionen: Kann Hermès International die Zügel in die Hand nehmen?

Das Wichtigste zuerst: Hermès besitzt bereits gut 25 Prozent von Vaucher und kann so dessen Uhrwerke erwerben und modifizieren. Hermès hat bereits ein starkes Netzwerk an anderen Produktionsunternehmen, von seiner ersten 32-prozentigen Beteiligung an dem Gehäusehersteller Joseph Erard Holding im Jahr 2011 bis hin zu der jüngsten Übernahme des Schweizer Zifferblattherstellers Natéber, die zur Gründung von Les Ateliers d’Hermès Horloger führte. Es wird vermutet, dass das Unternehmen bereits mehrmals ein Kaufangebot für die Manufaktur unterbreitet hat, das jedoch – möglicherweise nicht hoch genug – abgelehnt wurde. Könnte Hermès nun, angesichts der steigenden Attraktivität des Unternehmens, dazu bereit sein, den Einsatz zu erhöhen? Schließlich könnte die Alternative dazu führen, dass Hermès die Kontrolle über seine Ansprüche an die „hauseigenen“ Kreationen einbüßt.

Könnten Kunden oder Stakeholder zu Käufern werden?

Hinzu kommen die begehrten Kunden von Vaucher, darunter die beiden Hauptkunden Audemars Piguet und Richard Mille – beide sehr wohlhabende Marken, die die Manufaktur bereits für bestimmte Produktionsprozesse in Anspruch nehmen. Vor allem Audemars Piguet ist ein unverzichtbarer Kunde von Vaucher, der an der Produktion von 50.000 bis 60.000 Uhrwerken pro Jahr beteiligt ist. Auch Chopard und Patek Philippe könnten an der Uhrenabteilung der Sandoz-Familienstiftung, dem so genannten „Pôle Horloger“, beteiligt sein – höchstwahrscheinlich an Atokapla und Elwin. Die Zeitung „Le Temps“ – die vor dem Verkauf an Allegra Capital, einen auf die Übernahme von verlustbringenden Unternehmen spezialisierten Fonds, in den Besitz der Sandoz-Familienstiftung überging – hat einige Informationen. Nach Angaben der Zeitung wurde die Beratungsfirma Deloitte beauftragt, den bestmöglichen Käufer für die Vaucher-Unternehmen zu finden. In diesem Artikel wird auch die Frage aufgeworfen, ob sich einige dieser Marken, beispielsweise Hermès, Audemars Piguet und Richard Mille, zusammenschließen könnten, um andere potenzielle Käufer zu blockieren. Wenn dies der Fall sein sollte, wie steht es dann um die Zukunft der Marke Parmigiani Fleurier, die erst seit ein paar Jahren auf eigenen Beinen steht?

Die Swatch Group stellt sich unberechenbaren Zeiten entgegen

Noch vor wenigen Wochen erschien auch die Swatch Group als ein starker Kandidat. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht könnte uns jedoch eines Besseren belehren. Das Unternehmen enthüllte kürzlich, dass es in der ersten Hälfte dieses Jahres einen drastischen Rückgang des Betriebsgewinns um 70 Prozent und des Umsatzes um 14 Prozent hinnehmen musste – hauptsächlich aufgrund des von China ausgehenden Einbruchs im Luxussektor. Wie CEO Nick Hayek mitteilte, wird die Produktion infolgedessen bereits um mindestens 20 Prozent gekürzt. Angesichts der Tatsache, dass Einstiegsmarken wie Swatch beliebter sind als hochpreisige Luxusmarken wie Omega, wäre eine bedeutende Investition in einen der führenden Hersteller von Luxusuhren ein mutiger Schritt, nicht zuletzt in einer Zeit, in der Luxusmarken vergleichsweise weniger erfolgreich sind als ihre Einstiegsmarken. Außerdem darf man nicht vergessen, dass die Swatch Group bereits über mehrere eigene integrierte Produktionsanlagen verfügt.

LVMH behält seine Strategie bei

Unter der geschickten Führung von Bernard Arnault hat LVMH in den letzten Jahren konsequent versucht, sein Portfolio im Bereich der Luxusuhren zu expandieren. Obwohl LVMH im Jahr 2014 den größten Teil seiner eigenen Beteiligung von 23,2 % an Hermès veräußert hat, hält es immer noch einen Anteil (nicht unerhebliche zwei Prozent), der bei der Übernahme von Vaucher einen strategischen Vorteil darstellen könnte. Auch die Beteiligung von Arnault an Richemont – auf die wir gleich noch genauer eingehen werden – ist Ausdruck von Arnaults bekanntem Appetit auf neue Unternehmungen. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die LVMH-Marke TAG Heuer ihre Uhren aufwerten und in ein höheres Preissegment aufsteigen lassen will, was zum Teil dadurch möglich wurde, dass TAG Heuer die Vaucher-Manufaktur kürzlich zu einem wesentlichen Pfeiler seiner Strategie im Bereich der High-End-Uhren gemacht hat. Die kürzlich vorgestellte Monaco Chronograph Split-Second-Uhr, die einen beispiellosen Listenpreis von 135.000 Euro erhebt, wurde in Zusammenarbeit mit Vaucher entwickelt.

Image credit: Jérémy Barande / Ecole polytechnique Université Paris-Saclay/CC BY-SA 2.0/Wikimedia Commons

Der „Wolf im Schafspelz“: Arnaults Streben nach Expansion

Es scheint, als betreibe Arnault eine Art Luxus-Investment-Einkaufstour. Wie Bloomberg berichtet, erwarb der Milliardär im Juni dieses Jahres eine – wenn auch angeblich geringfügige – Beteiligung an Richemont und streckte damit seine Fühler über sein LVMH-Imperium hinweg direkt zu einem seiner Konkurrenten aus. Dies geschah nach doppeldeutigen Äußerungen, in denen er versicherte, für den Richemont-Vorsitzenden und „Königsmacher von Cartier“ Johann Rupert (der etwa 10 Prozent des Richemont-Kapitals und 51 Prozent der Stimmrechte hält) „da zu sein“, falls er Unterstützung benötige. Es bleibt also die Frage: Hat er Richemont im Visier, oder müssen wir damit rechnen, dass einer der reichsten Männer der Welt vorläufig kapituliert und sich mit dem wesentlich kleineren, aber gleichwohl einflussreichen Unternehmen Vaucher zufrieden gibt?

Image credit: Szekszter/CC BY-SA 3.0/Wikimedia Commons

In jedem Fall könnte eine Übernahme durch die Swatch Group, Richemont oder LVMH ebenso erhebliche Auswirkungen auf Wettbewerber wie Hermès, Richard Mille und Audemars Piguet haben.

Ein Jahr voller Herausforderungen für die Branche

Ein kürzlich von Morgan Stanley in Zusammenarbeit mit WatchCharts veröffentlichter Bericht unterstreicht, dass es ein schwieriges Jahr für Schweizer Luxusuhrenmarken war, was in den kommenden Monaten zu einer insgesamt zurückhaltenden Vorgehensweise führen könnte. In der Tat verzeichnete keine Schweizer Luxusuhrenmarke mit einem durchschnittlichen Marktpreis von mehr als 3.000 Dollar im zweiten Quartal dieses Jahres eine positive Entwicklung. Die Preise der LVMH-Marken fielen um 3,6 Prozent, und auch Richemont musste laut Forbes in den letzten Monaten „erhebliche Rückgänge“ hinnehmen. Insgesamt verzeichnete der Sekundärmarkt für Schweizer Luxusuhren im zweiten Quartal dieses Jahres einen Preisrückgang von 2,1 Prozent im Vergleich zum Vorquartal. Ist dies das Klima für umfangreiche Investitionen in die Produktion? 

Das Fazit: Vieles bleibt unbeantwortet, und Spekulationen können uns nur bedingt weiterbringen

Der Wert der Vaucher Manufacture Fleurier liegt in erster Linie in ihrer prestigeträchtigen Kundenliste und ihren umfangreichen Produktionskapazitäten. Die strategischen Partnerschaften von Vaucher machen das Unternehmen zu einem begehrten Übernahmeziel. Da die Uhrenindustrie jedoch auch weiterhin mit finanziellen Herausforderungen zu kämpfen hat, lässt sich nur schwer vorhersagen, wie die verschiedenen Konzerne und Marken in diesen turbulenten Zeiten künftige Investitionen tätigen werden. Es gibt auch viele offene Fragen: Könnten die Schwesterunternehmen von Vaucher aufgespalten werden? Gar als eine Einheit verkauft werden? Könnte eine ehrgeizige Marke, wie zum Beispiel Breitling, einfach den Sprung tout seul wagen? Welche Interessenkonflikte könnten entstehen? Es bleibt abzuwarten, ob Hermès, LVMH oder ein anderer Wirtschaftsriese sich dieses Juwel von einer Produktionsstätte sichern kann. Eines steht jedoch fest: Die Anziehungskraft der Vaucher Manufacture Fleurier auf die Top-Investoren und Luxuskonzerne der Welt wird so schnell nicht schwinden. 


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