Wir stehen in Glashütte neben der A. Lange & Söhne Manufaktur vor einer Postmeilensäule aus dem Jahr 1734, auf der die Entfernungen in die umliegenden Ortschaften und Städte eingemeißelt wurden. Sechseinviertel Stunden brauchte man damals von Glashütte nach Dresden, per Kutsche. Glashütte war zu dieser Zeit also nicht vielmehr als ein verschlafendes Städtchen, auch wenn es anfangs durch den Silbererzbergbau eine nicht unbedeutende wirtschaftliche Rolle für die Region spielte. Aber das kulturelle und gesellschaftliche Leben spielte sich in Sachsens Residenzstadt Dresden ab.
Wenn wir uns heute in Glashütte umsehen, dann ist von der verschlafenen Dorfidylle von einst nichts mehr zu erkennen. Überall sind um uns herum Manufaktur- und Verwaltungs-Gebäude zu sehen, die aber nicht industriell wirken, sondern sich charmant in das Landschaftsbild einfügen. Der Großteil sind Uhrenfirmen – Glashütte ist inzwischen weltweit bekannt für Uhren ‚Made in Germany‘.
Wir sind heute nach Glashütte gekommen, um die Uhrenmanufaktur von A. Lange & Söhne zu besuchen, die den Grundstein für die Uhrmacherei in Sachsen legte. Denn es war Ferdinand Adolph Lange, Gründer der gleichnamigen Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne, der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits die Uhrmacherei nach Glashütte brachte. Wir möchten den Uhrmachern über die Schulter schauen, die Zeitmesser kreieren, die unter Sammlern zum heiligen Gral gehören. Wir möchten die Geschichte und Evolution der Uhren erfahren, seit der Neugründung der Manufaktur vor bald 35 Jahren, insbesondere der Zeitwerk-Linie, deren Design eine Hommage an ein wichtiges Ereignis im Leben von Ferdinand Adolph Lange ist. Zuerst muss man sich aber die Frage stellen, warum Lange sich damals überhaupt für das abgelegene Glashütte als Standort für sein Schaffen entschied, sechseinviertel Stunden von Dresden entfernt?
Auf den Spuren Breguets
Bevor Ferdinand Adolph Lange nach Glashütte kommt, beginnt seine uhrmacherische Laufbahn in Dresden, wo er parallel zu seiner Schulausbildung zwischen 1830 bis 1835 beim Uhrmachermeister und Hofmechanicus Johann Christian Friedrich Gutkaes in die Lehre geht. Nach seiner Lehre mit Auszeichnung bleibt Lange bis 1837 als Geselle bei Gutkaes.
Johann Christian Friedrich Gutkaes
Ferdinand Adolph Lange zeigte handwerkliches Geschick und hinterließ einen bleibenden Eindruck bei Gutkaes. Doch es war an der Zeit für ihn, sich weiterzuentwickeln. 1837 machte er sich auf nach Frankreich und schloss sich dem österreichischen Uhrmacher Joseph Thaddäus Winnerl (1799-1886) an, einem ehemaligen Schüler Abraham-Louis Breguets. Dort stieg Lange schon bald zum Werkstattleiter auf, und als ob das nicht schon genug wäre für einen Anfang 20-jährigen, so studierte Lange nebenher noch Astronomie und Physik an der Pariser Universität Sorbonne. In dieser Zeit entstand sein Skizzen- und Wanderbuch, welches eindrucksvoll zeigt, mit welcher Hingabe Lange sich zu dieser Zeit mit der Uhrmacherei beschäftigte. Darin zu finden sind Tabellen, Konstruktionszeichnungen, Mechanismen und seine eigenen Berechnungen, in denen er das damals übliche Pariser-Linienmaß in das moderne metrische System übertrug.
Skizzen- und Wanderbuch von Ferdinand Adolph Lange
Nach vier Jahren kehrte Ferdinand Adolph Lange zurück nach Dresden, er legte die Meisterprüfung ab, stieg in das Geschäft seines ehemaligen Lehrherrn Gutkaes ein und heiratete seine Tochter Antonia.
Ferdinand Adolph Lange
Zwischenzeitlich erhielt Gutkaes im Jahr 1838 einen Auftrag vom König, die Bühnenuhr für das vom Architekten Gottfried Semper konzipierte Opernhaus in Dresden zu bauen. Die große Uhr im Zuschauerraum sollte entstehen, damit die Zuschauer während der Theateraufführung nicht permanent im dunklen Saal ihre Taschenuhren rauskramten und die Schlagwerke erklingen ließen. Gutkaes konzipierte und fertigte die Uhr in seiner Werkstatt, bei dessen Bau auch Ferdinand Adolph Lange tatkräftig mitwirkte. Die Herausforderung bestand darin, eine Uhr zu bauen, die von allen Plätzen aus im Theater gut ablesbar war. Somit entstand die berühmte 5-Minuten-Uhr der Semper Oper, wie sie auch heute noch zu sehen ist. Das Besondere an ihr war, dass sie die Zeit mittels digitaler Anzeige (ohne Zifferblatt und Zeiger) anzeigte, da sich somit die Zeit über eine größere Entfernung besser ablesen ließ. Die Konstruktion wurde zur Inspiration für das Design des Lange-Großdatums und später auch für die digitale Anzeige der Zeitwerk Uhrenmodelle von A. Lange & Söhne.
Lange war vielleicht nicht vom Erfinderreichtum in dem Umfang geprägt, wie Breguet, Harrison oder Mudge es waren, dafür hatte er aber den unternehmerischen Ehrgeiz, die nach dem Manufaktursystem organisierte und auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierende Uhrmacherei in Deutschland zu etablieren. Zu Recht gilt er als Gründer der sächsischen Feinuhrmacherei. Fast alle heute noch in Glashütte ansässigen Uhrenmarken sind letztendlich auf Lange zurückzuführen. Teilweise haben Uhrmacher bei Lange gelernt und sich schließlich mit ihrer eigenen Marke selbstständig gemacht.
Luftaufnahme von Glashütte
Die eigene Werkstatt in Glashütte
Aber warum Glashütte? Nun, in dieser ländlichen Region beherrschten die Bewohner viele handwerkliche Berufe. Sie hatten zwar nichts mit Uhrmacherei zu tun, waren aber kunsthandwerklich begabt und Ferdinand Adolph Lange brachte das nötige Wissen mit. Er war fest entschlossen, in Glashütte seine Werkstatt zu errichten und Arbeit in die verarmte Region zu bringen. Denn zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren die Erzvorräte weitestgehend abgetragen und die wirtschaftliche Lage verschlechterte sich in der Region. Dafür erstellte Lange eine Art Businessplan und wandte sich an die sächsische Regierung. Nach unzähligen Schreiben und reichlich Überzeugungskraft bewilligte das entsprechende Ministerium 1845 ein rückzahlbares Darlehen von 5.580 Talern für die Anstellung und Ausbildung von 15 Uhrmacherlehrlingen in Glashütte. Weitere 1.120 Taler für die Anschaffung von Werkzeugen. Am 7. Dezember 1845 begrüßt Ferdinand Adolph Lange seine ersten Lehrlinge in Glashütte. Es ist gleichzeitig die Geburtsstunde der Uhrenmanufaktur A. Lange & Cie, wie sie damals noch hieß. Erst im Jahr 1868, nachdem Sohn Richard in das Unternehmen einstieg, wurde der Name in A. Lange & Söhne geändert.
Richard Lange, der 1868 in das Unternehmen einstieg
Neugründung von A. Lange & Söhne
Wir machen einen Zeitsprung, alles andere würden diesen Rahmen sprengen. Immerhin sind wir heute hier in Glashütte bei der Manufaktur von A. Lange & Söhne, um uns die verschiedenen Produktionsschritte der kontemporären Lange-Zeitmesser anzusehen. Vorab aber doch noch mal ein kleiner Zeitsprung zurück: Nachdem die Marke A. Lange & Söhne 1948 der Enteignung in der sowjetischen Besatzungszone zum Opfer fällt, dauert es bis 1990, bis das Familienunternehmen wieder zu neuem Leben erweckt wird. Walter Lange, Urenkel von Gründer Ferdinand Adolph Lange und sein Weggefährte, der Uhrenmanager Günter Blümlein tragen 1990 das Unternehmen mit der Neugründung der Lange-Manufaktur in eine neue Ära. „Wir hatten keine Uhren, die wir bauen und verkaufen konnten, wir hatten keine Mitarbeiter, keine Gebäude und keine Maschinen,“ erinnert sich Walter Lange später. „Aber wir hatten eine Vision, von den besten Uhren der Welt, die wir wieder in Glashütte bauen wollten.“
Walter Lange, Urenkel von Gründer Ferdinand Adolph Lange
1994 stellen Walter Lange und Günter Blümlein mit der Lange 1, der Saxonia, der Arkade und dem Tourbillon „Pour le Mérite“ die erste Kollektion der Neuzeit vor. Dabei wird die Lange 1 mit ihrem Großdatum sowie der dezentralen Zeitanzeige zum Hauptdarsteller. Außerdem etablieren sie Handwerkskunst und Gestaltungselemente in ihren Armbanduhren, die von den historischen Taschenuhren der Uhrenmanufaktur inspiriert sind und zu unverkennbaren Qualitätsmerkmalen für Lange-Uhren wurden. Dazu gehören die handgravierten Unruhkloben, die Schwanenhalsfeinregulierung, Dreiviertelplatine – die Ferdinand Adolph Lange 1864 entwickelt, um die Stabilität des Werks zu verbessern – gebläute Schrauben und der Antrieb über Kette und Schnecke wie er im Tourbillon „Pour le Mérite“ aus dem Jahr 1994 erstmals zu sehen war. Aber auch die Gangreserveanzeige ist zu einem typischen Merkmal der Lange Armbanduhren geworden und sind mit ihrer „Auf/Ab“ Kennzeichnung von klassischen Taschenuhren von Ferdinand Adolph Lange inspiriert.
71 neue Kaliber in 33 Jahren
Eine Lange-Uhr bedeutet für viele Sammler die Speerspitze ihrer Kollektion. Denn die Hingabe und Präzision mit der die Uhrmacher die aufwendigen Uhrwerke herstellen, spiegelt sich in der Ästhetik der Uhren wider. Fast alle Teile des Uhrwerks werden in der Manufaktur hergestellt, seit 2003 sogar die Unruhspirale, die Königsdisziplin der Werkskomponentenproduktion, was nur wenige Uhrenmarken weltweit beherrschen.
Alle Uhrwerke werden in der Manufaktur von A. Lange & Söhne in Glashütte konzipiert und produziert – inzwischen sind es 71 Kaliber seit der Neugründung 1990, was im Durchschnitt rund zwei neue Kaliber pro Jahr bedeutet und eine respektable Meisterleistung ist, vor allem, wenn man sich die Komplexität der Uhren vor Augen hält. Allen voran die Grand Complication von 2013, die ein Schlagwerk mit großem und kleinem Geläut, eine Minutenrepetition, einen ewigen Kalender und einen Rattrapante-Chronographen mit blitzender Sekunde besitzt. Aber auch die ausgeklügelte und patentierte Federhauskonstruktion mit Nachspannwerk der neusten Zeitwerk-Generation, bei der es die Konstrukteure geschafft haben, die Gangreserve von 36 auf 72 Stunden zu erhöhen, ohne das Werk zu vergrößern. Oder der Triple Split, der weltweit erste mechanische Rattrapante-Chronograph, der mehrstündige Vergleichszeitmessungen bis auf die Sechstelsekunde genau meistert.
Die Liste könnte munter weitergehen, aber genauso wichtig ist die Dekorationstiefe, die bei Lange einen so hohen Stellenwert genießt und Uhren zu horologischen Kunstwerken aufleben lässt. Dabei werden aber nicht nur sichtbare Teile angliert, poliert und graviert, sondern auch Komponenten, die im Inneren des Uhrwerks liegen und nicht sichtbar sind. Ein besonderes Merkmal der Lange-Uhren ist der Unruhkloben, der ebenfalls von Hand mit einem für Lange typischen floralen Muster graviert wird. Da jeder Graveur seine ganz persönliche Handschrift bei der Bearbeitung hinterlässt, werden die Uhren zu Unikaten.
Weitere Finissierungen der Manufaktur von A. Lange & Söhne beinhalten den Glashütter Bandschliff, Sonnenschliff, Strichschliff, Kreisschliff, Umgangsschliff, die Fasenpolitur, die Flachpolitur, die Schwarzpolitur, Perlage, Anglage und die Politur von Innenecken. Bei den Handwerkskunst-Editionen von Lange kommen dann auch Reliefgravuren und Emaille-Techniken zum Einsatz. Eine weitere Maxime, die es so nur bei Lange gibt, ist die Zweifachmontage, bei der jedes Uhrwerk nach der Erstmontage und Einregulierung noch einmal komplett auseinandergenommen und, nachdem einige Teile den letzten Schliff erhalten haben, mit neuen gebläuten Schrauben final montiert wird.
Nun besteht die Herrlichkeit und Faszination dieser Zeitmesser für ihre Träger nicht nur in der Fertigungstiefe und ihrem ästhetischen Antlitz, sondern auch darin, dass alle kreativen Prozesse, aber auch Entwicklung, Produktion, Dekoration und (Zweifach-) Montage noch heute in Glashütte in der Manufaktur von A. Lange & Söhne stattfinden. Heute gibt es vier Hauptproduktions- und Verwaltungsgebäude von A. Lange & Söhne: das 2000 zurückgekaufte Stammhaus, die Produktionsstätten Lange I, Lange IA und Lange II sowie ein 2015 eingeweihter Manufakturneubau. Und genau hier befinden wir uns heute und dürfen einen Blick hinter die Kulissen werden.
– Finish
Wir besuchen zuerst die Kunsthandwerker, die für die vielen Dekorationstechniken der Uhrwerke verantwortlich sind. Was uns erstaunt: es gibt keine staatlich anerkannte Ausbildung für dieses Handwerk – hier läuft alles nach dem Motto: learning by doing. Zirka ein bis zwei Jahre brauchen die Finisseure, um die Vielzahl der Techniken zu beherrschen. Allein um eine Flachpolitur nach den Ansprüchen von Lange ausführen zu können, bedarf es mehrerer Monate Übung. Das Schöne ist, dass somit auch begabte Quereinsteiger das Handwerk mit der nötigen Disziplin und Leidenschaft erlernen können. Die Komponenten, die fast alle eine Hand-Finissierung erhalten, werden zum Großteil in der Manufaktur von A. Lange & Söhne hergestellt und bestehen überwiegend aus Neusilber, Stahl, Gold oder Messing.
Bei den Graveuren bedarf es noch etwas mehr Übung. Sie müssen alle eine 3-jährige Ausbildung absolvieren, bevor sie ihre Handschrift an den Zeitmessern von Lange verewigen dürfen. Und Handschrift ist hier tatsächlich wortwörtlich zu verstehen, denn die Graveure können anhand der Linienführung am Unruhkloben erkennen, wer von ihnen ihn verziert hat. Und wenn ein Kunde mal in die Manufaktur kommt, kann er sich sogar eine Autogrammkarte des jeweiligen Graveurs ausstellen lassen. Wir sprechen bei Lange von gerade einmal fünf Graveuren, somit ist der verantwortliche Graveur schnell ausgemacht. Beim Gespräch mit einem der jungen Graveure erfahren wir, dass die Reliefgravur die anspruchsvollste Verzierung ist. Die hohe Kunst hierbei besteht darin, dass die Gravur erhaben und plastisch wirkt und der Graveur die Verzierung quasi aus dem Material herausmodelliert.
– Montage
In diesem Bereich der Manufaktur von A. Lange & Söhne arbeiten 17-20 Mitarbeiter ausschließlich an der Lange 1. Auch heute noch ist die Montage in Abteilungen aufgeteilt, so dass nicht ein Uhrmacher für alle Schritte verantwortlich ist, sondern jeder Mitarbeiter in seiner Tätigkeit spezialisiert ist, um höchste Qualität gleichbleibend reproduzierbar zu machen. Ein Manufakturprozess, den Gründer Ferdinand Adolph Lange bereits etablierte, indem er seinerzeit das Prinzip der Arbeitsteilung einführte.
Was wir hier erleben, kann man eben nur verstehen, wenn man die Manufaktur persönlich besucht. An den vielen verschiedenen Tischen haben die Uhrmacher nicht nur die winzigen Komponenten vor sich liegen, sondern jeweils auch genaue Arbeitsanweisungen für jede einzelne Komponente, in welchem Toleranzbereich sie bearbeitet werden dürfen. Wir befinden uns hier im Mikrometer-Bereich. Und wenn wir uns wieder vor Augen führen, dass so ein Uhrwerk in der Regel zwischen 300 und über 1.000 Komponenten beinhaltet, bekommt man ein ganz anderes Verständnis für den Aufwand, der hinter der Produktion einer Uhr steckt. Es gibt sogar einen eigenen Ölplan für alle beweglichen Teile.
In diesem Bereich finden dann auch die Zweitmontage sowie der 2-Wochen-Dauertest statt, dem alle Uhren unterzogen werden, nachdem sie alle Kriterien bei der Montage erfüllt haben. Uhrmacherei auf diesem Niveau wird nicht dem Zufall überlassen – hier wird kein Fehler toleriert.
– Zeitwerk
In der Abteilung für die Zeitwerk-Uhren von Lange arbeiten 20 Personen. Die Zeitwerk wurde 2009 erstmals vorgestellt und war die erste mechanische Uhr mit exakt springender digitaler Zeitanzeige und erinnert somit an die legendäre Fünf-Minuten-Uhr der Semper Oper. Sie verfügt über einen aus drei Scheiben bestehenden Sprungziffermechanismus, der im Sekundenbruchteil die drei Ziffernscheiben schaltet, was natürlich enorm viel Energie in Anspruch nimmt. Die Scheiben sind 12-mal schwerer als gängige Minuten- und Sekundenzeiger. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass das Uhrwerk stets mit gleichbleibender Kraft angetrieben wird, um die Gangstabilität zu gewährleisten. Denn mit der Zeit lässt das Zugfeder-Drehmoment nun mal nach. Dafür hat Lange rund um ihren Chef-Entwickler Anthony de Haas ein patentiertes Nachspannwerk (Remontoir) entwickelt. Es sorgt für ein gleichbleibendes Drehmoment über die gesamte Gangdauer und wirkt als Impulsgeber für den Sprungziffermechanismus. Die Zwischenaufzugsfeder des Nachspannwerks speichert Energie für eine Minute, bevor es vom großen Doppelfederhaus dann wieder neue Energie erhält. Ein eigens entwickelter Windfang absorbiert durch den Luftwiderstand, der bei seiner Rotation entsteht, überschüssige Energie. Beide Komponenten sind live betrachtet nicht größer als ein kleiner Fingernagel, aber dennoch äußerst effektiv.
Damit aber nicht genug – die Gangautonomie betrug bei der ersten Generation der Zeitwerk noch 36 Stunden (Kaliber L043.1). Im Jahr 2022 stellte das Team rund um de Haas das neue Kaliber L043.6 vor, nun mit einer doppelten Gangautonomie von 72 Stunden. Das Besondere: das Uhrwerk ist trotz Leistungssteigerung mit 8,9 mm sogar noch flacher als das 9,3 mm hohe Vorgängeruhrwerk.
Kaliber L043.1 (links) und Kaliber L043.6 (rechts)
– Komplikationen-Abteilung
Wir werfen noch einen schnellen Blick in die Abteilung für die ganz großen Komplikationen des Hauses, auch wenn die Entwicklung in einer gesonderten Abteilung stattfindet. Hier werden Tourbograph und Co. zusammengebaut. Wir sprechen wieder mit einem jungen Uhrmacher und können nur mit Mühe dem Fachgesimpel über die technisch größten Herausforderungen der kompliziertesten Uhren von Lange folgen. Was hängen bleibt ist zumindest eine tiefe Bewunderung und großer Respekt für das enorme Wissen, aber auch Streben, es noch besser zu machen und neue technische Lösungsansätze zu finden. 12 Mitarbeiter setzen sich hier mit Tourbillons, ewigen Kalendern und Minutenrepetitionen auseinander. Der Tourbograph mit seinen fünf Komplikationen ist laut des Uhrmachers einer der kompliziertesten Modelle von Lange. Er besitzt neben Tourbillon, Chronograph-Rattrapante und ewigem Kalender auch einen traditionellen Antrieb über Kette und Schnecke. Eine solche winzige Kette liegt gerade vor uns und wir erfahren, dass sie aus über 600 Teilen besteht und ein Gewicht von 2 Kilo tragen kann.
Zu guter Letzt treffen wir noch kurz Anthony de Haas, der bereits seit 20 Jahren für die Entwicklung dieser hochanspruchsvollen Uhrwerke verantwortlich ist. Er erzählt uns von seinen Anfangsjahren bei Lange und einem prägenden Ereignis, als er mit seinen Uhrmachern zusammensaß und die Frage in den Raum warf, eine Uhr mit einer Gangreserve von einem Monat zu konzipieren. Die Idee war für seine Techniker so verrückt, dass sie gar nicht weiter darauf eingingen. De Haas sagte daraufhin, „wenn ihr mir in drei Wochen sagen könnt, warum das unmöglich ist, dann lassen wir es“. Nach wenigen Wochen kamen sie dann erneut zusammen und seine Konstrukteure legten ihm die ersten technischen Entwürfe vor. 2007 präsentierte A. Lange & Söhne dann die Lange 31, die weltweit erste mechanische Armbanduhr mit einer Gangreserve von 31 Tagen. De Haas und sein Team hatten ein patentiertes Nachspannwerk entwickelt, um die gewaltige Energie der beiden 1850 Millimeter langen Aufzugsfedern sanft und gleichmäßig an das Uhrwerk abzugeben.
Anthony de Haas, Director Product Development
Wie Walter Lange einmal sagte, „Es gibt etwas, das man nicht nur von einer Uhr erwarten sollte, sondern auch von sich selbst: Niemals stillzustehen“, so ist auch heute noch der Anspruch des Uhrenhauses, nicht nur die besten Uhren zu bauen, sondern sich auch ständig weiterzuentwickeln und die technischen Grenzen auszuloten, ja sogar manchmal zu verschieben. Ein Leben gegen den Stillstand sozusagen.
A. Lange & Söhne Zeitwerk