Das Magazin Forbes titelte vor Kurzem: „Der Herr der Marktplätze“. Gemeint war Tim Stracke, welcher 2010 als CEO bei Chrono24 einstieg und den 2003 gegründeten Marktplatz zu einer weltweit führenden Online-Plattform für Luxusuhren aus Vorbesitz machte. 

Und dass in einem Segment, für das die Studie „Deloitte Swiss Watch Industry Insights 2024“ prognostiziert, dass es in den kommenden zehn Jahren das gleiche Handelsvolumen wie der Markt mit neuen Uhren erreichen wird. Derzeit geht das Beratungsunternehmen davon aus, dass der Markt für gebrauchte Luxusuhren weniger als halb so groß wie der Primärmarkt ist. 

Zur Einordnung: Allein die Schweizer Uhrenindustrie exportierte im Jahr 2024 Armbanduhren im Wert von knapp 25 Milliarden Schweizer Franken. Es geht also um einen enorm großen und schnell wachsenden, tickenden Kuchen.

Tim Stracke und die Prominenz unter den Uhrenliebhabern

Kein Wunder, dass Tim Stracke bei unserem Gespräch Anfang Juli gut aufgelegt ist. Ob der 50-Jährige den Titel „Herr der Marktplätze“ mag, habe ich ihn in unserem Gespräch nicht gefragt. Ich vermute aber, er hätte auf das gesamte Team und möglicherweise auch auf die richtigen Entscheidungen in den passenden Momenten verwiesen. 

Einer dieser Momente, der für riesige mediale Aufmerksamkeit auch abseits einschlägiger Uhren- und Luxuspublikationen sorgte, war Strackes Begegnung mit dem bestverdienenden Sportler der Welt: Cristiano Ronaldo. Es brauchte nicht viel, um den bekennenden Uhrensammler – bekannt für Zeitmesser jenseits der Millionen – von einer Investition bei Chrono24 zu überzeugen. 

Neben der „signifikanten“ Summe, mit der CR7 einstieg, zählten für Tim Stracke aber auch dessen Status als Superstar und vor allem seine echte Passion für Uhren.  

„Niemand bringt so viel Leidenschaft für Luxusuhren auf die Weltbühne wie Cristiano“, kommentierte er 2023 das Engagement des fünffachen Weltfußballers bei Chrono24.

Ronaldo befindet sich damit in guter Gesellschaft anderer Celebrities wie F1-Rennfahrer Charles Leclerc oder Bernard Arnault, Chef des französischen LVMH-Luxusgüterkonzerns und immer mal wieder reichster Mensch der Welt. Beide sind ebenfalls seit 2024 beziehungsweise 2021 Investoren bei dem Online-Marktplatz.

Die Flipper verlassen die Welt der Luxusuhren

Aber nicht nur solche Investitionen und berühmte Namen haben den internationalen Uhrenmarkt in den vergangenen Jahren gepusht. Auch die Blase mit teils aberwitzigen Preisen für bestimmte Modelle habe die Nachfrage belebt, erläutert Stracke im Gespräch mit Swisswatches Magazine.

Die Preise auf dem Pre-owned-Uhrenmarkt sind in den zurückliegenden drei Jahren um fast 24 Prozent zurückgegangen. Was war, was ist da los? Normalisierung nach in Teilen absurden Preisexplosionen? Oder wenden sich Investitionswillige und sogenannte Flipper einfach anderen Produkten zu, und es bleiben „nur noch“ die echten Uhren-Sammler und -Liebhaber übrig?

Hier spielen sicher viele Dinge rein, wie Sie bereits in Ihrer Frage gesagt haben. Ein wichtiger Aspekt sind tatsächlich die während und nach der Corona-Zeit explodierten Preise auf dem Pre-owned-Uhrenmarkt. Über die Gründe hierfür wurde und wird ausgiebig diskutiert. Mittlerweile ist diese Blase zwar nicht geplatzt, aber die Preissituation hat sich entspannt und normalisiert. Das war notwendig und ist gut. 

Andererseits: Diese Hype-Phase hat in den Jahren 2018 bis 2022 viele neue Kunden, Sammler und sicher auch einige Glücksritter angezogen. Und das hat der gesamten Uhrenbranche gutgetan, denn es hat zu einer enormen medialen Präsenz geführt. Aufgrund des starken Preisverfalls der letzten 12 bis 18 Monate haben sich mittlerweile viele Investoren und Spekulanten – das waren übrigens weniger, als viele denken – von den Uhren wieder verabschiedet und schauen sich nach neuen Möglichkeiten um. Sie sind nicht mehr die größten Akteure auf dem CPO-Markt.

Geblieben sind die, die durch diesen Hype ihre Leidenschaft für Uhren entdeckt haben und dieser sicherlich auch treu bleiben werden. Das höre ich aus vielen Gesprächen heraus. Und es kommen nach wie vor neue Uhren-Enthusiasten und -Sammler hinzu.

Es läuft also gut im Pre-owned-Markt mit Uhren?

Im Grunde ja. Aber die Protagonisten müssen sich jetzt erst einmal wieder neu kalibrieren und ausbalancieren. Im März dieses Jahres konnten wir auch wieder einen ersten Anstieg bei den Preisen und steigende Kaufaktivitäten sehen. Dann kamen die Zoll-Nachrichten aus den USA. Das hat erst einmal insgesamt zu etwas Zurückhaltung geführt und die Preise sind wieder leicht heruntergegangen. Wenn man aber auch die langfristigere Entwicklung schaut, dann sind die Preise stabil, auch wenn es hier und da mal kleine Schwankungen gibt.

Chrono24 und der globale Pre-owned-Markt für Luxusuhren

Die ursprüngliche Idee, Uhren aus Vorbesitz wie Gebrauchtwagen zu verkaufen, stieß übrigens nicht sofort auf Gegenliebe. Weder bei potenziellen Kunden und schon gar nicht bei Marken und Fachhändlern. Ich erinnere mich noch an die Anfänge, als in den 00er-Jahren die ersten Secondhand-Uhren den Weg aus den Anzeigenblättern, Flohmärkten und Antikmärkten – wo noch echte Schnäppchen möglich waren – in die Schaufenster einiger Juweliere und auch auf Onlinemarktplätze wie eBay fanden: Die Mehrheit der Branche blickte damals eher abschätzig bis mitleidig auf diese Versuche. Das wird sich nicht durchsetzen, die Leute wollen neue Uhren kaufen. So lautete die fast einhellige Meinung. 

„Im Jahr 2003 steckte das Geschäft mit Uhren aus Vorbesitz noch in den Kinderschuhen und fand vorrangig auf eBay statt – zwischen Artikeln aller Art. Auch der ein oder andere stationäre Juwelier versuchte sich im Handel mit gebrauchten Zeitmessern – in der Regel wenig erfolgreich“, bestätigt Tim Stracke.

Doch es gab auch Visionäre, wie beispielsweise Andrej Maric, welcher Chrono24 als Chrono24.com im Jahr 2003 gründete, allerdings eher nebenberuflich betrieb. Richtig aufwärts ging es mit dem Unternehmen aus Karlsruhe erst mit der Übernahme durch Tim Stracke, Dirk Schwartz und Michael Krkoska im Jahr 2010. Sie hatten das Potenzial erkannt, aber sicher auch einen günstigen Moment abgepasst, denn der Markt für Pre-owned-Luxusuhren begann gerade, Fahrt aufzunehmen. Er war bereit für einen professionell geführten Online-Marktplatz. 

Damit endete nach und nach das Dasein vieler tickender Schätzchen in verstaubten Schubladen und Kartons auf Dachböden und in Kellern. Vergessene und vererbte Zeitmesser waren stattdessen zu spannenden und vielversprechenden Handelsobjekten für Privatpersonen und Händler gleichermaßen geworden.

Der Markt mit Pre-owned-Uhren nimmt Fahrt auf

„Der Markt für Pre-owned-Uhren wächst schon seit vielen Jahren wesentlich schneller als der Neu-Uhrenmarkt“, analysierte Stracke bereits im Jahr 2019. „Der wirkliche Hype ist jedoch erst im Januar 2018 losgegangen, losgetreten durch das Announcement vom damaligen Audemars-Piguet-CEO Francois Bennahmias, der den Einstieg in diesen Markt damals angekündigt hatte. Wir wissen, dass auch die anderen Hersteller schon intensiv darüber nachgedacht hatten, aber Bennahmias war der Erste, der öffentlich darüber geredet hat. Das hat die Hersteller wachgerüttelt und viele sind auf diesen Zug aufgesprungen.“

Innerhalb weniger Jahre war der globale Secondhand-Markt für Uhren aufgrund des cleveren und weitsichtigen Agierens einiger weniger Marktteilnehmer vom Schmuddelkind zum validen Anbieter geworden, auf dem heute Echtheitszertifikate fast schon eine Selbstverständlichkeit sind. 

Das Vertrauen wuchs, die Bereitschaft, online viel Geld auszugeben, nahm zu und die Wartelisten für bestimmte Modelle, allen voran von Rolex, wurden länger. All das heizte das Pre-owned-Geschäft an. Die Preise stiegen, vor allem für sogenannte Grail Watches (Grals-Uhren) von Patek Philippe, Audemars Piguet und natürlich Rolex. 

Der bisherige Rekordverkauf auf Chrono24 war eine Grand Complications in Roségold von Patek Philippe, welche für 3,3 Millionen Euro den Besitzer wechselte. Sie möchten das toppen? Kein Problem. Aktuell wird ein solches Modell für knapp 4,3 Millionen Euro, auf Chrono24 angeboten. Patek Philippe selbst preist sie für 1,8 Millionen Euro an – wenn sie denn auf Lager ist. Was zu bezweifeln sein dürfte.

Preistreiber neben der limitierten Verfügbarkeit auf dem Primärmarkt waren und sind oftmals auch echte Limitierungen sowie die Ankündigung, dass die Produktion eines bestimmten ikonischen Modells eingestellt wird. Stracke führte die Preisentwicklung zudem auf die Transparenz und somit Vergleichbarkeit der Preise auf Chrono24 zurück. „Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, steigt in einem transparenten Markt eben der Preis. Man sieht, dass Angebot und Nachfrage hier nicht ausbalanciert sind“, analysierte er 2019.

Corona  – und plötzlich war alles anders

Auch der Uhrenmarkt. Die Pandemie eroberte im Jahr 2020 die Welt, Lockdowns, Verunsicherung … die Stimmung war auf dem Tiefpunkt, auch die Kauflaune. Oder? 

Stracke sah bereits im April 2020 in den geschlossenen Einzelhandelsgeschäften eine Chance für den Onlinehandel. Obwohl auch auf Chrono24 die Zahl der gelisteten Uhren und die der Transaktionen zunächst deutlich zurückgegangen waren. Eine temporäre Erscheinung, wie sich herausstellte.

„Ich denke definitiv, dass der Online-Umsatz nicht nur während der Krise, sondern auch nach der Krise stark wachsen wird. Im Moment steht jeder unter Schock, und ich würde sicherlich niemanden ermutigen, jetzt nach Luxusuhren zu suchen. Kümmere dich um deine Lieben, das ist viel wichtiger“, so der damalige Chrono24-CEO im Frühjahr 2020. 

Aber: „Wir sind nicht wie die Luftfahrt- oder Gastgewerbebranche. Wenn Leute nicht fliegen oder in einem Restaurant essen gehen, geht das Geschäft verloren. Uhren sind anders. Selbst, wenn ein Geschäft mehrere Monate geschlossen ist, können Sie online kaufen oder warten, bis das Geschäft wieder öffnet, um die Uhr zu kaufen, die Sie sich immer gewünscht haben. Wir sehen, dass die Kaufreise ohnehin oft sechs bis zwölf Monate dauert.“

Und er sollte recht behalten. Das erste Pandemiejahr 2020 schloss Chrono24 mit einem um 25 Prozent gesteigerten Handelsvolumen in Höhe von etwa zwei Milliarden Euro ab. Und für das folgende Uhrenjahr 2021 gab es sogar ein Sehr gut von Tim Stracke. 

„Während der Lockdowns blieb Online als Alternative, und wir konnten in der Zeit viele neue Nutzer gewinnen. (…) Persönlich bin ich gespannt, wie sich die Marktpreise von Rolex-Modellen weiter entwickeln werden. In diesem Jahr war das fast so spannend wie die Börse und kannte nur die Kurstendenz aufwärts.“ Das sagte Stracke im Dezember 2021. Und ahnte noch nichts von dem nur wenige Monate später einsetzenden Preisverfall.

Die Blase wächst – und verliert an Luft

Die irrwitzige Preisrallye rund um einzelne Modelle auf dem Pre-owned-Markt schien zunächst nicht zu stoppen. Im Jahr 2021 erreichte etwa die Submariner von Rolex auf Chrono24 Verkaufspreise, die 80 Prozent über dem VK lagen. Und auch für Pateks Nautilus und einige Royal Oak-Modelle von Audemars Piguet wurden Preise aufgerufen – und gezahlt –, die jenseits von Gut und Böse lagen. 

„Unsere Resultate zeigen, dass der internationale Uhrenmarkt extrem im Aufwind ist. Die Preise für Luxusuhren sind seit 2020 um über 70 Prozent gestiegen“, sagte Stracke im September 2022. 

Allerdings hatte es da schon nach dem Peak im April einen massiven Knick in der Preiskurve gegeben, und zwar nach unten. Die Investmentbank Morgan Stanley berichtete im Sommer 2022, dass die Phase beispielloser Preissteigerungen für Luxusuhren auf dem Zweitmarkt Ende des ersten Quartals 2022 zum Stillstand gekommen war und sich die Preisentwicklung im zweiten Quartal für viele angesagte Modelle ins Gegenteil verkehrt habe.Auch bei Chrono24: „Ja, wir haben fallende Preise für einige ikonische Modelle wie die Nautilus, die Daytona und die Royal Oak gesehen. Aber die Preise bewegen sich immer noch auf einem sehr hohen Niveau, das deutlich über dem Einzelhandelspreis liegt. Es ist eine Entwicklung, die wir insbesondere bei den eben genannten Modellen sehen. Der Markt für gehypte Luxusuhren kühlt sich ab und pendelt sich auf einem realistischen Niveau ein.“

Der Markt mit Pre-owned-Luxusuhren normalisiert sich

Die Preise haben sich seitdem nicht wieder zu einem erneuten allgemeinen Höhenflug aufgemacht, sondern stabilisieren sich, und zwar auf einem Niveau oberhalb der Vor-Corona-Zeit.

Laut der Plattform WatchChart, welche 300 Uhren der Top-10-Luxusmarken beobachtet, gab es in den zurückliegenden Jahren auf dem Pre-owned-Markt eine Preissteigerung von 20 Prozent (Rolex +16,1 %, AP +53,9 %, Patek +57,4 %). Blickt man allerdings auf die letzten sechs Monate, steht da ein leichtes Minus von 0,6 Prozent (Rolex +0,5 %, AP -1,8 %, Patek -0,2 %). 

ChronoPulse, das auf tatsächlichen Transaktionen beruhende Analysetool von Chrono24 weist für das zurückliegende halbe Jahr sogar ein Minus von über fünf Prozent über alle erfassten 14 Top-Marken hinweg aus. Auch die Preise für viele Modelle von Rolex, Patek und AP sind hier in den zurückliegenden Monaten heruntergegangen. 

Den von einigen befürchteten großen Knall der Preis-Blase auf dem Pre-owned-Markt für Luxusuhren hatte es allerdings nicht gegeben. Aber sie hat deutlich an Luft verloren. Uhren aus Vorbesitz sind jedoch nach wie vor sehr gefragt. „Die Preissituation hat sich entspannt und normalisiert. Das war notwendig und ist gut“, verrät Stracke jetzt rückblickend im Interview mit Swisswatches Magazine. 

Derweil haben auch Marken wie Breitling, Rolex, Vacheron Constantin und Richard Mille den großen Kuchen Luxusuhren aus Vorbesitz entdeckt und eigene Programme aufgelegt, um sich ein Stück zu sichern beziehungsweise den Handel mit den Secondhanduhren der eigenen Marke besser kontrollieren zu können. 

Das Bekannteste ist wohl das Certified Pre-Owned-Programm von Rolex, welches Ende 2022 in Zusammenarbeit mit einigen ausgewählten Juwelieren ausgerollt wurde. Allen voran mit der Juweliers-Kette Bucherer, die schon vorher ins Geschäft mit zertifizierten Uhren aus Vorbesitz eingestiegen war. Bucherer betreibt über 100 PoS weltweit und wurde 2023 von Rolex übernommen

Als Bedrohung für das eigene Geschäft sieht Stracke das jedoch nicht, wie er im Interview mit Swisswatches Magazine erläutert. Und so ganz nebenbei erzählt er auch von seinem neusten Schätzchen fürs Handgelenk und verrät, weshalb seine nächste Uhr keine Nautilus sein wird.

Sie haben sicher eine umfangreiche Uhrensammlung. Aber haben Sie auch schon mal eine neue Uhr beim Juwelier gekauft?

Offen gesagt habe ich beim Juwelier erst einmal eine Uhr gekauft. Ich war neugierig darauf, wie das so ist, wie der Beratungsprozess abläuft. Und ich wollte die entsprechende Uhr sofort haben.

Und wie war das Juweliers-Erlebnis?

Besser als erwartet, der Berater war so gut, dass ich ihn am liebsten abgeworben hätte und gleich meine Visitenkarte dagelassen habe. Das hat leider nicht geklappt (lacht).

Und welche war die letzte Uhr, die Sie sich gekauft haben?

Eine Freak von Ulysse Nardin, die ich gerade trage. Ein Grund war, dass ich das Team sehr mag. Das sind gute, vertrauensvolle Typen mit viel Erfahrung.Außerdem finde ich die Story der Freak sehr spannend. Eine Uhr ohne Zeiger, bei der das Werk deren Funktion übernimmt. Außergewöhnliche Mechanik hat mich schon als Kind und Jugendlicher begeistert. Über die Mechanik bin ich überhaupt erst auf das Thema Uhr gekommen. Dass auch Marken mit ihrer Geschichte faszinieren können, ist mir erst später bewusst geworden.

Welche Uhr steht aktuell ganz oben auf Ihrer Wunschliste?

Ich beschäftige mich gerade mit verschiedenen Komplikationen von Patek Philippe. Eine Nautilus wird es aber nicht werden. Denn ich möchte zum Beispiel auf der Watches & Wonders nicht einer von vielen mit einer Nautilus am Handgelenk sein. (lacht)

Kommen wir zu Chrono24. Sie sind dort seit Anfang vergangenen Jahres nicht mehr im operativen Geschäft tätig. Nun haben Sie auch den Vorsitz des Beirats abgegeben. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, loszulassen? Chrono24 ist ja gewissermaßen Ihr Baby, welches Sie großgezogen haben.

Das war gar kein wirkliches Loslassen, sondern eine bewusste, aktive Entscheidung dafür, was für das Unternehmen am besten ist. Ich bin ja nach wie vor ein sehr aktives Beiratsmitglied, aber eben auch einer der größten Gesellschafter. Und als solcher hat man immer auch eine starke Meinung, die moderiert werden will. Dies ist Aufgabe des Beiratsvorsitzenden. Wenn man selbst zugleich Gesellschafter ist, dann beißt sich das manchmal.

Meinen Nachfolger Tobias Hartmann hätte ich ohnehin schon länger gern im Beirat gesehen. Als er sich entschieden hatte, Scout24 zu verlassen, bei dem er als CEO viele Jahre sehr erfolgreich war, haben wir uns intern und mit ihm schnell darauf geeinigt, ihn nicht nur als einfaches Mitglied, sondern als Vorsitzenden des Beirats zu Chrono24 zu holen. 

Er bringt nun ein frisches Mindset mit. Daher fühle ich mich sehr wohl mit dieser bewussten Entscheidung, da ich in meiner neuen Rolle noch klarer meine Meinung äußern kann, die natürlich nicht immer von allen geteilt wird. Die Dialoge im Beirat sind viel konstruktiver, wenn sie von einem unabhängigen Vorsitzenden moderiert werden. Es ging bei dieser Entscheidung also in erster Linie darum, interne Prozesse zu optimieren.

Hat sich Ihr Blick auf die Uhrenwelt in den zurückliegenden Jahren eigentlich verändert?

Im Grunde ändert sich der eigene Blick mit jedem Gespräch, das man mit jemandem aus der Uhrenbranche führt. Und ich führe sehr gerne und sehr viele Gespräche.

Und natürlich schaue ich heute ein wenig anders auf die Branche als zum Beispiel vor zwei Jahren. Es ist viel geschehen in dieser Zeit. Und ständig passiert etwas Neues, und es gibt es neue Nachrichten, die den globalen Uhrenmarkt betreffen. Aktuelles Beispiel sind die neu gesetzten Zollbarrieren. Nach wie vor ist der Markt sehr volatil. Das macht ihn spannend und verändert immer wieder die eigene Sichtweise.

Würden Sie es wagen, eine Prognose abzugeben, wie sich der Pre-owned-Markt in den kommenden Jahren verändern wird?

Insgesamt wird das Segment mit gebrauchten Uhren ein sehr starkes Wachstum erleben. Wenn man jetzt einsteigt, wird man sicher langfristig auch eine Wertsteigerung verzeichnen können. Aber dafür muss man Zeit mitbringen. Die kann man ja sehr schön auf der jeweiligen Uhr ablesen. (lacht) Soll heißen: Aktuell rate ich niemandem dazu, Uhren als Investition zu kaufen, da gibt es Vehikel, die derzeit besser funktionieren.

Was ist mit den vielen unabhängigen Uhrenmarken, welche gefühlt wie Pilze aus dem Boden schießen? Welchen Effekt werden die haben?

Über den Punkt der kleineren Marken haben wir uns schon lange intern Gedanken gemacht. Ich denke jedoch, dass in den kommenden Jahren die großen, bekannten Marken das Feld weiter anführen werden. 

Wenn man sich heute das Handelsvolumen von gebrauchten Uhren anschaut, dann haben diese Marken einen riesigen Anteil, die kleinen Marken machen insgesamt vielleicht fünf Prozent. Ich denke, das wird sich so schnell auch nicht ändern.

Sie haben die üblichen Verdächtigen angesprochen. In den zurückliegenden Monaten hat es vor allem zwei spannende Neulancierungen gegeben, die für viel Gesprächsstoff gesorgt haben: die Land-Dweller von Rolex und die Cubitus von Patek Philippe. Was denken Sie darüber?

Die Cubitus finde ich eigentlich ganz cool. Aber ich verstehe auch diejenigen, die das Design als zu offensichtlich als eckige Nautilus kritisieren. Ich denke, das ist der Knackpunkt. Nicht das Design als solches, sondern, dass es sozusagen eine quadratische Nautilus ist. 

Wie sich das Modell auf dem Secondhandmarkt entwickeln wird, kann man noch nicht wirklich sagen. Dafür ist das entsprechende Handelsvolumen noch zu gering. Und man sieht ja nur wenige Cubitus-Modelle an Handgelenken und in den Boutiquen. Sie sind auf dem Primärmarkt kaum zu bekommen. 

Die Angebotspreise auf dem Secondhandmarkt sind entsprechend hoch und liegen deutlich über dem Angebotspreis. Aber nicht mehr so massiv, wie es bei anderen Modellen in der Vergangenheit war. Aber wie gesagt, es ist noch zu früh, da eine verlässliche Aussage zu treffen.

Und wie sieht es bei der Land-Dweller aus?

Auf der Watches & Wonders habe ich mir die Uhr tatsächlich mehrere Male anschauen müssen, bevor ich überzeugt war. Jedes Mal hat sie mir ein wenig besser gefallen. Das liegt natürlich auch an der neuen Mechanik, die Rolex zusammen mit der Land-Dweller vorgestellt hat. 

Außerdem gefällt mir die Hommage an das Design der Oysterquartz, welche ich mir aber aufgrund des fehlenden Mechanikwerks nie gekauft hätte.Hinsichtlich des Pre-owned-Marktes ist bei der Land-Dweller das Handelsvolumen noch geringer als bei der Cubitus, und somit ist eine valide Aussage noch weniger möglich.

Große Marken versuchen zunehmend, das Geschäft mit ihren gebrauchten Uhren selbst zu übernehmen, beispielsweise Rolex. Warum sollte man dennoch bei Chrono24 kaufen?

Bei Chrono24 können Käufer die Angebote vieler verschiedener Händler vergleichen. Hier sieht man nicht nur das Sortiment eines einzigen Verkäufers. Aber natürlich ist das Angebot, welches zum Beispiel Rolex in Zusammenarbeit mit Juwelieren macht, immer eine Option. Allerdings eine kostspielige, das kann man ganz klar sagen. 

Vergleicht man das mit den Online-Marktplätzen, zahlt man bis zu 35 Prozent mehr. Das mag für manche in Ordnung sein, da es ein anderes Kauferlebnis ist. Aber die zertifizierte Sicherheit bekommt man auch bei anderen Händlern und natürlich auch bei uns. Mittlerweile tauchen die Uhren aus dem Certified-Pre-owned-Programm von Rolex übrigens auch bei Chrono24 auf.


Über Tim Stracke

Tim Stracke machte sein Diplom als Wirtschaftsingenieur an der Universität (TH) Karlsruhe und erwarb einen MBA in den USA. 2001 gründete er die mentasys GmbH, die er zum deutschlandweit führenden Technologiedienstleiter für Online-Preisvergleiche machte und 2006 an ein Tochterunternehmen der Bertelsmann AG verkaufte. Davor war er kurzzeitig Berater bei der Boston Consulting Group in Buenos Aires und hatte 1999 mit 25 Jahren sein erstes VC finanziertes Unternehmen, einen Marktplatz für Geschenke, gegründet.

Nach seinem Ausstieg bei mentasys im Jahr 2008 hat sich Stracke bisher an über zehn Internet-Unternehmen in Europa und China als Gründer oder Investor beteiligt, hauptsächlich bei Online-Marktplätzen. Einer davon ist die in Karlsruhe ansässige Uhrenplattform Chrono24, die er gemeinsam mit Dirk Schwartz und Michael Krkoska 2010 übernahm und den Co-CEO-Posten bekleidete, ab 2016 gemeinsam mit Holger Felgner. Anfang 2024 übergaben beide den CEO-Staffelstab an Carsten Keller, welcher zuvor maßgeblich am Aufbau des Marktplatzmodells von Zalando beteiligt war. Tim Stracke und Holger Felgner blieben weiterhin wichtige Anteilseigner und wechselten in den Beirat von Chrono24, wobei Stracke auch als Vorsitzender agierte. Diese Rolle übergab er am 1. Juni 2025 an Tobias Hartmann, welcher zuvor CEO bei Scout24 war.

Über Chrono24

Seit 2003 wurden über Chrono24 über 1,6 Millionen Uhren verkauft. Derzeit sind rund 560.000 Uhren zum Verkauf gelistet. Angeboten werden sie von rund 3.000 Händlern und 60.000 Privatverkäufern. In mehr als 120 Ländern erreicht das Portal damit mehr als neun Millionen Unique Visitors pro Monat. 2022 wurde der Zertifizierungs- und Authentifizierungsspezialisten Chrono24 Direct gegründet, 2023 kam das Analysetool ChronoPulse hinzu. Letzteres nutzt über 4,6 Millionen Datensätze aus zwei Jahrzehnten historischer Analysen sowie realer Verkaufsdaten im Sekundärmarkt für Uhren und bildet Verkaufstrends und Marktentwicklungen ab.

2024 übernahm Carsten Keller den CEO-Posten von Tim Stracke und Holger Felgner. Anfang 2025 entließ das Unternehmen im Rahmen einer Umstrukturierung vor dem Hintergrund eines sehr volatilen globalen Uhrenmarktes 110 Mitarbeiter. Heute beschäftigt Chrono24 rund 350 Mitarbeiter am Hauptsitz in Karlsruhe sowie in den Niederlassungen in Europa, Asien und den USA.

chrono24.de

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