
Interview mit Alexandre Ghotbi von Phillips über den Auktionsmarkt: „Uhren werden mit Picassos konkurrieren“
Alexandre Ghotbi hat den Erfolg des Auktionshauses Phillips maßgeblich geprägt und die Abteilung für Uhren mit aufgebaut. Mit über 200 Millionen Dollar Umsatz jährlich seit 2021 gilt das Phillips-Team als Marktführer. Diesen November hat man mit einer stählernen Referenz 1518 unter anderem die teuerste je versteigerte Vintage-Patek-Philippe für 17,6 Millionen Dollar (inklusive Gebühren) vermittelt. Im Interview erzählt der Leiter des Uhrengeschäfts für Europa und den Mittleren Osten von seiner Arbeit.
Die Welt der Auktionen ist faszinierend, und doch selbst große Uhrenfans zögern mitunter davor, sich auf sie einzulassen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ja, Auktionen können überfordernd und einschüchternd wirken. Von außen betrachtet erscheinen sie wahrscheinlich zunächst einmal wie eine verrückte, magische Welt. Dabei ist es das wohl zugänglichste Geschäft der Welt, denn Auktionen sind öffentlich. Man muss nur hingehen – oder sich online registrieren lassen. Bei uns gibt es keine Wartelisten, um eine Uhr kaufen zu können. Sie müssen auch nicht zehn Jahre auf Ihre Traumuhr warten, man kann sie bei uns sofort kaufen. Es ist der vermutlich demokratischste Weg um seine Uhr zu bekommen: Alles orientiert sich am Marktpreis, und damit verbunden der Frage, was jemand bereit ist für einen bestimmten Zeitmesser zu einem bestimmten Zeitpunkt auszugeben.
Das Geschäft mit Uhren läuft für Phillips aktuell bekanntermaßen gut. Aber wie blicken Sie auf die Auktionswelt insgesamt?
Historisch betrachtet spielten lange Zeit nur die großen Auktionshäuser eine Rolle, also Christie’s, Sothebys und dann natürlich auch Antiquorum, wo Uhren komplett im Mittelpunkt standen. Phillips hatte in den frühen 2000ern eine Uhrenabteilung, auch damals schon unter Aurel Bacs. Er ist dann gegangen, kam 2014 zurück, und 2015 hatten wir unsere erste Auktion. Mit tollen Uhren und einem herausragenden Team hatten wir schnell Erfolg, und feiern dieses Jahr unseren zehnten Geburtstag. Für uns ist es ein phänomenales Jahr: Wir werden 2021, unser bisheriges Rekordjahr, um gut 20 Prozent übertreffen. Wir sehen dabei ein extremes Interesse für außergewöhnliche und seltene Sammleruhren, während sich der Wahnsinn rund um die stählernen Sportmodelle etwas gelegt hat. Uhren die zehntausende Male hergestellt werden sind halt nicht wirklich selten.
Gleichzeitig gibt es viele kleine Auktionshäuser, die sich auf einmal dem Thema Uhren widmen. Die allermeisten hatten vorher keinerlei Berührungspunkte zur Uhrmacherei. Das hat sicherlich viel mit dem gestiegenen Interesse an Uhren zu tun, und vielleicht auch mit unserem Erfolg. Aber Erfolg hat man nicht von hier auf jetzt. Die Auktion selbst mag glamourös sein, aber ihr geht sehr viel Arbeit hinter den Kulissen voraus.
Was sieht das Publikum denn nicht?
Zunächst einmal muss man die besonderen Uhren bekommen, was oft das Ergebnis von vielen Wochen, Monaten und mitunter auch Jahren des Verhandelns ist. Danach müssen wir dann eine Strategie entwickeln wie wir die Uhren am besten kommunizieren. Dafür gibt es kein Lehrbuch. Jeder Uhreninteressierte weiß, dass eine Patek Philippe Referenz 1518 aus Stahl etwas Besonderes ist. Oder dass ein F.P. Journe Prototyp aus dem Besitz von Francis Ford Coppola eine Sensation ist. Aber nicht jeder kennt und versteht die historische und kulturelle Bedeutung von solchen Uhren. Dafür müssen wir sorgen, und wir wenden uns dabei einerseits an bestehende Kunden, aber auch an neue Kunden, und zu guter letzt auch an Kunden, die sich vielleicht gar nicht so sehr für Uhren interessieren, sondern die Trophäen in den unterschiedlichsten Bereichen jagen.
Mit der Versteigerung der stählernen Patek Philippe 1518 für 17,6 Millionen Dollar haben Sie einen neuen Weltrekord gesetzt, ist das immer das Ziel?
Nun, uns war die Bedeutung der Uhr natürlich bewusst. Diese Referenz ist etwas ganz Besonderes, vergleichbar mit dem Klimt-Gemälde, das kürzlich in New York einen neuen Rekordwert erreicht hat. Je näher die Versteigerung rückte, desto sicherer waren wir, dass wir ein gutes Ergebnis erzielen würden. Naturgemäß wird bei solchen Werten der Kreis der Interessierten kleiner, aber einige der größten Sammler der Welt hatten sich registrieren lassen.
Was machen Sie besser oder anders als die Konkurrenz?
Wir sind sehr fokussiert. Unser Management gibt uns glücklicherweise dabei einen großen Freiraum, wie wir arbeiten und was wir machen. Das Format der Auktion ist schließlich immer gleich, aber die Ansprüche je nach Segment komplett anders: Ein Uhren-Team braucht andere Dinge als eines für moderne Kunst oder Fotografie. Wir sind gemeinsam einfach eine phänomenale Mannschaft, und zwar in allen Bereichen, nicht nur die Uhrenspezialisten: Der Kollege beispielsweise, der die Kundenkonten anlegt und die Verträge verantwortet. Oder die Kollegen, die für den Versand verantwortlich sind, und auch jene, die sich um die Finanzen kümmern – oder unsere Digital- und Medien-Spezialisten. Alle arbeiten gemeinsam an einem Ziel: Den Kunden besondere Qualität in allen Bereichen zu liefern. Viele in unserem Team kommen dabei gar nicht aus der Welt der Auktionen, sie sind einfach nur sehr leidenschaftlich, wenn es um Uhrmacherei geht. Es ist also nicht nur ein Geschäft für uns. Wir leben Uhren 24 Stunden am Tag. Wenn ich abends nach Hause komme und auf meinem Smartphone Uhren anschaue fragt mich meine Frau gelegentlich: „Hast Du denn nicht mal genug davon?“ Und meine Antwort ist immer: „Nein, niemals!“
Leidenschaft ist gut, aber wie muss man sich das im Alltag vorstellen?
Aufrichtige Ehrlichkeit ist wichtig. Wir machen unseren Kunden keine falschen Versprechungen und behaupten, dass wir ihre Uhr schon irgendwie für zig Millionen versteigern werden. Diese Ehrlichkeit wird geschätzt. Außerdem sind wir bei der Auswahl der Uhren sehr diszipliniert. Für eine Auktion in Genf, bei der wir circa 200 Uhren versteigern, sehe ich mir gut 1.000 Uhren vorher an. Das bedeutet wir haben eine Ablehnungsrate von 80 Prozent. Und wenn wir einmal nicht genug gute Uhren finden, dann versteigern wir einfach weniger. Ich will nicht eine gute Uhr, die umgeben ist von 50 so la-la Modellen. Wir brauchen 200 exzellente Uhren, die relevant sind, die qualitativ hochwertig sind, und die für Sammler eine Bedeutung und Begehrlichkeit haben. Das gilt für eine Uhr für 20.000 Schweizer Franken ebenso wie für eine Uhr für zwei Millionen. Für manche unserer Kunden sind diese 20.000 Franken nämlich hart erspart, darum müssen wir immer das bestmögliche bieten.
Meist werden in Auktionen sowohl historisch wichtige als auch zeitgenössisch populäre Uhren angeboten. Wie kuratiert man den perfekten Auktionskatalog?
Wir stellen uns immer die Frage: Würde jemand aus unserem Team diese Uhr besitzen wollen, wenn er oder sie das Geld dafür hätte? Außerdem brauchen wir für jeden Geschmack etwas. Wenn jemand ein großer Vintage-Patek-Fan ist, dann soll er bei uns etwas finden. Wir brauchen auch eine tolle Rolex, Vintage und Modern, wir brauchen Independents, eine Nischenmarke und so weiter. Dabei wenden wir uns sicherlich an das obere Ende des Marktes und haben selten Uhren unter 10.000 Schweizer Franken, weil es eigentlich nicht unser Geschäftsmodell ist. Bei einer Uhr für 10.000 Schweizer Franken betragen unsere Gebühren 2.700 Franken, und das deckt dann nicht einmal die Kosten für Marketing, Versand und Versicherung.
Bei Uhren für niedrige fünfstellige Beträge bis hin zu achtstelligen Preisen muss die Kundschaft dann ziemlich bunt gemischt sein…
Ja und nein. Denn für Sammler steht nicht zwingend der Preis im Vordergrund. Wer also an einer Uhr mit einem Millionen-Schätzwert Interesse hat, der begeistert sich vielleicht auch für eine deutlich günstigere Uhr, egal ob nun für sich selbst oder einen Freund oder seine Kinder. Einfach weil das Design oder die Geschichte einen anspricht. Gleichzeitig gibt es Kunden, die mit einer erschwinglicheren Uhr das Auktionsgeschäft ausprobieren, und dann im nächsten Jahr wiederkommen und etwas ganz anderes im Blick haben. Wir richten uns also nicht an ein spezielles Kundensegment, wir wenden uns ganz grundsätzlich an Uhrenliebhaber, und zwar mit Uhren, die uns begeistern. Vom rein geschäftlichen Aspekt betrachtet hätten wir ansonsten in 2021 und 2022 nur Nautilus‘, Royal Oaks und Daytonas anbieten müssen – was wir natürlich nicht getan haben.
Ein Meilenstein war aber sicherlich die Versteigerung der Rolex Daytona von Paul Newman Ende 2017 für 17,8 Millionen Dollar in New York. Wie kommt so eine Uhr zu Philips?
Der Auktion sind lange Gespräche vorausgegangen. Repräsentanten der Familie sind auf uns zugekommen, wir haben uns zusammengesetzt, und am Ende haben sie sich bei uns am wohlsten gefühlt. Da geht es weniger um das Geld, sondern um das gemeinsame Verständnis und Vertrauen.
Sie haben eine hohe Durchverkaufsrate, gleichzeitig sind die Schätzpreise oft sehr konservativ…
Ja, unsere Durchverkaufsrate liegt bei über 99 Prozent, im ersten Halbjahr haben wir meines Wissens nur acht Uhren nicht versteigert bekommen. Auch hier ist Ehrlichkeit wichtig, insbesondere bei den Schätzpreisen: Wenn ich einer Uhr den Wert 100 gebe, der Verkäufer aber das Dreifache will, dann werde ich keine falschen Versprechungen machen, um die Uhr in die Auktion zu bekommen, sie vielleicht sogar für 150 zu versteigern, und den Verkäufer damit dann trotzdem zu enttäuschen. Das bringt nur Unmut auf beiden Seiten und ist Zeitverschwendung. Falsche Versprechungen sind das schlimmste, sie sind kurz gedachter einmaliger Betrug, denn wer einmal enttäuscht wurde, der kommt nie wieder. Wir aber wollen Käufer, Verkäufer und Bieter, die uns vertrauen.
Ist das der Grund, weshalb das Auktionsgeschäft immer noch sehr stabil dasteht, während viele Hersteller doch zu kämpfen haben?
Nun, grundsätzlich sind Hersteller, die auf dem Primärmarkt begehrt werden, meist auch auf dem Sekundärmarkt begehrt. Unser großer Vorteil ist, dass 90 Prozent der Uhren von unseren Auktionen nicht mehr hergestellt werden. Die Paul Newman Daytona war seinerzeit ein kompletter kommerzieller Flop – und heute will jeder eine haben. Wir bieten also das an, was man woanders kaum finden kann. Bei den zeitgenössischen Uhren wiederum bestimmt der Markt bei uns den Preis, und nicht der Hersteller und dessen Marketing-Department.
Und so kommt es dann, dass eine Simon Brette auf einmal für über 200.000 Schweizer Franken versteigert wird…
Ja, die Sehnsucht nach Uhren, die man mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit nicht an einem anderen Handgelenk sehen wird, ist groß. Genau das bieten Independents, und wir haben diesen Teil der Uhrenwelt früh für Phillips entdeckt und besetzt. Ein Simon Brette oder Kari Voutilainen oder F.P. Journe hat nun einmal limitierte Produktionsmöglichkeiten, und ein Philippe Dufour stellt gerade einmal fünf Uhren im Jahr her. Wir waren auch außergewöhnlich erfolgreich mit Christian Klings, der in den letzten Jahrzehnten nur gut 30 Uhren hergestellt hat und nun im Ruhestand ist. Seinen Namen hatten vorher nur die wenigsten gehört, und heute versteigern wir seine Uhren in der Regel für das fünf- oder sechsfache des Schätzpreises.
Unterscheiden sich die deutschen Sammler von den Sammlern anderer Regionen?
Die Deutschen waren auf jeden Fall Anfang der 1980er gemeinsam mit den Italienern die ersten, die wieder damit angefangen haben Vintage-Armbanduhren zu sammeln. Es mag wie ein Klischee klingen, aber die Italiener waren dabei mehr Design-Interessiert, während sich die Deutschen für die Technik und die Komplikationen begeistert haben. Das spiegelt sich auch auch in den Bildbänden aus der damaligen Zeit. Daran hat sich bis heute nichts wesentlich geändert, und die deutschen Sammler haben einen ausgeprägten Fokus auf die großen Namen im Geschäft, also Patek Philippe, Rolex oder auch Vacheron Constantin. Die Hauptmärkte für Independents aber sind der Mittlere Osten und Südost-Asien, wo eine ganz neue Generation Sammler den Markt betreten hat. Das sind sehr junge Leute, oft in ihren Zwanzigern oder Anfang dreißig, und sie wollen Uhren kaufen, die von mehr oder minder gleichaltrigen erdacht worden sind, und die ihre Väter und Mütter nicht getragen haben. Das sind extrem gut informierte Sammler, die den Markt erweitert haben.
In der Kunst oder bei Autos wird gemeinhin gesagt, dass immer jene Dinge stark nachgefragt werden, die Sammler in ihrer Kindheit als Begehrenswert kennengelernt haben…
Das ist bei Uhren nicht anders, darum beobachten wir auch die „Wiederauferstehung“ jener Uhren, die man als Neo-Vintage bezeichnet, die also aus den 1980ern und 1990ern stammen. Sammler, die heute vierzig oder fünfzig sind, haben daran großes Interesse. Bei Patek Philippe ist das die Referenz 3970 zum Beispiel, bei Audemars Piguet die Ewigen Kalender und ersten Tourbillons, bei Vacheron Constantin skelettierte Modelle, und auch Breguets aus dieser Zeit steigen wieder im Wert. Es war auch die Geburtsstunde der ersten Generation Independents, Franck Muller etwa.
Aber gleichzeitig werden ältere Uhren wohl kaum weniger wertvoll?
Ich sehe es tatsächlich eher als Markterweiterung. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Sammeln von Armbanduhren ein relativ junges Phänomen ist, früher hat man vor allem Tischuhren und dann Taschenuhren gesammelt. Auch ist es bei Uhren anders als bei Autos: Ein Bugatti von heute hat mit einem Bugatti aus den frühen Jahren des 20. Jahrhundert nur wenig gemeinsam, bei einer Patek Philippe ist das etwas anders. Außerdem ist die jüngere Generation Sammler sehr informiert und interessiert, insofern sehe ich da keinen Rückgang des Interesses, im Gegenteil: Auf einmal werden auch Taschenuhren wieder zu einem größeren Thema. Meiner Meinung nach sind wir noch ganz am Anfang. Schon bald wird es Uhren geben, die man nicht nur als „artisenal“, also handwerklich und handgemacht betrachtet, sondern als reine Kunst. Uhren werden mit Picassos konkurrieren, vielleicht nicht gleich morgen oder in fünf Jahren, aber die besonders seltenen und außergewöhnlichen Stücke werden dieses Level erreichen.