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Auf ein Lunch mit: IWC CEO Christoph Grainger-Herr

Auf ein Lunch mit: IWC CEO Christoph Grainger-Herr

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Müsste Christoph Grainger-Herr den stereotypischen IWC Kunden personifizieren, würde er sich vermutlich dabei ertappen, seinen eigenen Namen zu nennen. Und nicht aus purer Eitelkeit, sondern weil der junge Grainger-Herr die Marke mit so viel Engagement verkörpert, und seit inzwischen zwei Jahren auch als CEO leitet. Seit über 12 Jahren ist der gelernte Architekt bereits im Unternehmen tätig. So präzise die International Watch Company, kurz IWC in den letzten 150 Jahren ihre Ingenieurs-Kenntnisse in punkto mechanischer Uhren etabliert hat, genauso eloquent und scharfsinnig beherrscht Grainger-Herr seine Wortwahl. Dabei schätzt er eigentlich eher eine Reduktion zum Wesentlichen – zumindest was seine Uhren-Kollektionen betreffen. In Schaffhausen konnten wir vom gebürtigen Frankfurter etwas mehr über seine Ansichten erfahren, wie eine traditionsreiche Uhrenmarke heute modern ist, ohne ihre DNA zu verlieren, wie Kollektionen über Social Media entstehen können und warum wir derzeit ein Comeback der Schallplatten, Leica Kameras und Vintage Uhren erleben.

1. Was bedeutet für Sie eine mechanische Uhr, welche Uhr tragen Sie heute und welches Modell tragen Sie am häufigsten?


Das Einzigartige an einer mechanischen Uhr ist, dass man so viele Emotionen, Symbolik und Aussage in so ein kompaktes Objekt packen kann, das man immer bei sich trägt. Alle anderen Objekte, die diese Emotionen auch transportieren können, wie unser Haus, unsere Wohnung oder unser Auto lassen wir irgendwann mal zurück. Für einen Mann ist die mechanische Uhr eigentlich eines der wenigen Produkte, mit dem er wirklich ausdrücken kann, wer er ist und welche Vorlieben oder Wünsche er hat, und das auf so kleinem Raum.

Ich trage heute die IWC Big Pilot’s Watch Edition „Le Petit Prince“ mit unserem 7 Tage Gangreserve Automatikwerk Kaliber 52110 in Stahl, mit einem blauen Zifferblatt und blauem Band, das ich hierzu gewählt habe. Das ist eigentlich auch die Uhr, die ich am häufigsten trage. Sie symbolisiert einerseits die ganze Historie der Fliegerei und andererseits ist sie eine elegante und sportliche Uhr, die sehr vielseitig einsetzbar ist. Eine Uhr für jeden Tag quasi.

IWC Big Pilot’s Watch Edition „Le Petit Prince“

2. Sie sind seit über 2 Jahren CEO von IWC. Auf welchen Erfolg sind Sie besonders stolz?


In erster Linie war das unser 150-jähriges Jubiläum im letzten Jahr, wozu wir zeitgleich unsere neue Manufaktur vorgestellt haben. Ich bin besonders stolz darauf zu sehen, wie wir einerseits ein hochmodernes Produktionsbüro und zugleich eine einmalige Erlebniswelt für Besucher zusammengeführt haben, die den Geist von IWC auf besondere Art und Weise transportieren. Ich bin auch besonders stolz auf die enorme Hingabe und Motivation der Mitarbeiter, die unsere neue Manufaktur mit Leben füllen.

Ich bin auch sehr glücklich darüber, wie wir die Umsetzung und Gestaltung der neuen Pilotenlinie hinbekommen haben, wo wir bewusst nicht die Militärische Seite der ‚Spitfire‘ erzählen wollten, sondern die Engineering und Design Geschichte. Am 05. August starten die Piloten Steve Boultbee und Matt Jones zu ihrer Weltumrundung mit einer alten ‚Spitfire‘ von 1943. Sie wurde aufwendig restauriert und wird über 43.000 Kilometer in etwa 150 Etappen zurücklegen. Ein abenteuerliches Projekt, denn die Piloten sind in der 1-Mann Maschine komplett auf sich alleingestellt. Es gibt keine Heizung an Bord, nicht einmal Sauerstoff. Um längere Flüge absolvieren zu können, haben wir Zusatztanks installiert, somit kann die Maschine Etappen bis 1300 Kilometer absolvieren.

3. Die IWC-Uhren werden als ‚Präzises Engineering und zeitloses Design‘ beschrieben. Warum ist ‚Engineering‘ so ein wichtiges Wort in der Kommunikation der Marke? Was bedeutet Engineering genau für Sie?


Das ist der Ansatz, wie wir Uhrmacherei betreiben. Wir kommen nicht aus der klassischen ‚Métiers d’Art‘, sondern wir sehen uns als Ingenieure. Das bedeutet, mit einem Problemlösungsansatz zu kommen und Produkte zu produzieren, die in ihrer funktionalen Umgebung optimale Leistung erbringen und gleichzeitig robust und benutzerfreundlich sind. Wir verkörpern auch immer ein wenig den Ansatz mit der Reduktion zum Wesentlichen. Wir sehen bei IWC recht wenige Komplikationen die nur existieren, weil wir versuchen möglichst kompliziert oder schön dekoriert zu sein; unsere Expertise liegt einerseits bei Materialien wie Titan, Keramik, Ceratanium und andererseits ganz klar bei Instrumenten wie Tiefenmesser, Doppel-Chronographen, GMT und World Timer, alles Mechanismen, die eine nützliche Funktion haben. Ein gutes Beispiel bietet unser Ewiger Kalender. Als die Entwicklung damals losging, hatte der Mechanismus noch um die 200 Komponenten und musste über multiple Drücker eingestellt werden. Wir haben damals den gleichen Mechanismus mit rund 80 Komponenten entwickelt, die Bedienung lief nur noch über eine Krone und er war vorprogrammiert bis zum Jahr 2499.

4. Die Marke pflegt seit einiger Zeit eine enge Partnerschaft mit Mercedes-AMG und verbindet damit die gemeinsame Leidenschaft für Engineering. In der Automobilbranche heißt die Zukunft aber Hybrid oder Elektro. Wie sieht diesbezüglich die Zukunft bei der IWC aus? Teilen Sie auch weiterhin gemeinsame Werte?


Man muss verstehen, dass wir Produkte bauen, die für die Ewigkeit gedacht sind. Das setzt die Mechanik einfach voraus. In dem Moment, wo ich Elektronik verwende sind die softwarebasierten Devices meist nach kurzer Zeit obsolet. Unser Anspruch ist immer gewesen, dass unsere Uhren eine gewisse Zeitspanne überdauern und an Generationen weitergegeben werden können. Bei den Autos war das schon immer etwas anders. Sie haben eine begrenztere Lebensdauer. Aber der Grundgedanke, um was es beim Engineering geht ist immer derselbe. Dieses Wissen geht natürlich bei einem elektrischen Auto verloren. Aber die Nachfrage und Leidenschaft für mechanische Motoren wird nicht von heute auf morgen verschwinden, genauso wenig wie die Smartwatches die mechanischen Uhren plötzlich verdrängen werden. Darum setzten wir uns auch so sehr für die ‚Spitfire‘ ein. Sie ist bald 100 Jahre alt und fliegt immer noch – wir wollen diese Ingenieurs-Kenntnisse pflegen und am Leben erhalten. In unserer Gesellschaft ist es wichtig, solche Fähigkeiten nicht ganz verfallen zu lassen.

5. Wie bekannt ist IWC in den USA, als Marke mit amerikanischen Wurzeln?


Die USA ist für mich ganz klar der nächste Fokuspunkt, wo wir deutlich investieren werden um den Bekanntheitsgrad zu steigern. In den Staaten haben wir auch durch unsere Gründergeschichte viel Potential, das ausgeschöpft werden muss. Auf der anderen Seite ist es fast unmöglich, sich auf alle Märkte gleichermaßen zu stürzen. Wir sind froh, dass wir inzwischen in Asien sehr stark sind. Wir haben das Momentum in China sehr gut ausgenutzt und die Marke in den letzten 20 Jahren stark etabliert. Und in Zukunft wird der Fokus ganz klar auf den USA, aber auch einigen Lateinamerikanischen Märkten wie Mexiko liegen.

6. Es gibt das IWC Collector‘s Forum und den IWC Collector’s Day. Was passiert hier genau und inwiefern sind Sie hier persönlich involviert?


Abgesehen davon, dass wir uns auch bei den Messen oder größeren Events zusammenfinden, organisiert das Collector‘s Forum auf der ganzen Welt kleinere Treffen mit den Sammlern, maximal 40 Gäste. Hier tauschen wir uns über die aktuellen Kollektionen aus, saugen Feedback auf, sprechen über Zukunftspläne und verbringen eine gute Zeit miteinander. Ich versuche bei allen Treffen selbstverständlich dabei zu sein. Das Wissen der Sammler ist immens, es ist immer wieder unglaublich inspirierend in die Geschichten einzutauchen.

7. In der neuen Manufaktur lassen Sie zum ersten Mal auch Besucher in Ihre heiligen Hallen. Was ist der wahre Grund dafür? Glaubwürdigkeit wird wichtiger als makellose Selbstdarstellung oder benötigt der Kunde für eine einzigartige Markenerfahrung solche Erlebnisse? Oder sowohl als auch?


Ich glaube, wir sind von unseren Markenwerten her eine offene und zugängliche Uhrenmarke. Das ist in unserer DNA verankert. Für uns ist es wichtig, jeden Schritt zu zeigen. Es ist auch aus der Schwierigkeit heraus geboren, einem Kunden die Komplexität eines Uhrwerks anhand einer Uhr zu zeigen, die dann im Zweifelsfall auch noch einen verschlossenen Gehäuseboden hat. Wenn die Leute bei uns in der Lage sind alle Schritte live zu erleben, die dafür nötig sind eine Uhr zu bauen, dann entwickeln sie eine einzigartige Beziehung zum Produkt. Auch das Thema Nachhaltigkeit und Herkunft spielen eine Rolle. Bei uns können immer noch – übrigens schon seit 1868 – alle Schritte in unserer Manufaktur nachvollzogen werden. Und jetzt kann sich jeder Besucher selbst davon überzeugen. Das ist schon einmalig in der Luxusindustrie – welche Branche kann das schon von sich behaupten?

8. Besucher in der Manufaktur, Austausch durch Social Media, mehr Fokus auf Endkonsumenten auf den Messen; entwickelt sich die Konsum-Industrie allgemein zu einem ‚big brother is watching you‘ System, um möglichst viele Informationen aus ihren Kunden herauszusaugen?


(Grainger-Herr lacht) Das ist eine interessante Frage. Aber nein, das ist eigentlich überhaupt nicht der Motivator. Der Motivator ist die Erkenntnis, dass wir emotionale Produkte herstellen, die Freude bereiten sollen. Wir machen ja Produkte für unsere Kunden und umso mehr sie diese erleben können, desto besser natürlich für Alle. Der Umbruch hat uns viele neue Möglichkeiten eröffnet, die wir natürlich nutzen möchten. Mit diesen ganzen Veränderungen sind wir auch in der Lage, den Kunden einen noch besseren Service zu bieten, zugeschnitten auf ihre Bedürfnisse. Von einem Überwachungsstaat-Prinzip kann hier nicht die Rede sein.

9. Inzwischen führt auch bei den Uhrenmarken kein Weg mehr vorbei an Social Media. Was waren Ihre wichtigsten Learnings, die sich durch den direkten Austausch mit Kunden ergeben haben?


Jede Menge. Es sind zum Beispiel Uhren auf diese Weise entstanden, wie die Big Pilot Safari, die ursprünglich als Einzelstück gedacht war. Aber dann gab es die überwältigenden Reaktionen auf Social Media die letztendlich auch dazu geführt haben, dass wir 100 Stück produziert und auch direkt über Social Media verkauft haben. Durch die diversen Möglichkeiten von Social Media findet ein enormer und direkter Austausch statt. Es ist inzwischen der bevorzugte Kommunikationskanal unserer Kunden. Hierüber entstehen viele Projekte, die wir so gar nicht geplant haben.

10. Wie wollen Sie die Faszination für mechanische Uhren für die kommenden Generationen wecken, gleichzeitig aber auch den Bedürfnissen der treuen Sammler und Bestandskunden gerecht werden?


Es ist eine Frage der richtigen Balance aus Kontinuität und Innovation. Ich glaube persönlich nicht so sehr an den Generationenbruch, wie er immer dargestellt wird. Wenn ich mir anschaue, wie Luxus und Kunst im Leben der Menschheit seit Jahrtausenden funktionieren und wie die sozialen Wertesysteme und Bedürfnisse die dahinter stecken konstant sind, kann ich mir schwer vorstellen, dass sich das von einer Generation zur anderen um 180 Grad dreht.

Was sich aber ganz klar verändert ist die Art, wie die junge Generation mit Marken umgeht, mit ihnen interagiert, was ihre Bedürfnisse sind und was die Kommunikation und die Verkaufskanäle betreffen. Was wir aber als zeitlose Luxusmarke anstreben sollten ist, dass wir immer die Balance halten zwischen dem Erhalt der DNA und zum richtigen Zeitpunkt proaktiv die Formate neu erfinden, in denen wir kommunizieren und unsere Geschichten erzählen und wie wir letztendlich unsere Kunden erreichen um unsere Produkte zu verkaufen. Der Wandel im Geschmack ist übrigens extrem gering ausgeprägt. Wir befinden uns nicht in der Modebranche, die sich ständig neu erfinden muss. Ich habe neulich erst in einer Studie erfahren, dass die Vorlieben der jungen Generation immer noch größtenteils bei denselben Modellen liegen, die wir auch vor 20-30 Jahren schon verkauft haben. Der Wandel findet also viel mehr in der Kommunikation und Distribution sowie im Serviceanspruch statt, als im eigentlichen Produkt.

11. Sammler kritisieren prominente Testimonials (unter anderem auch Social-Media Influencer) oft als emotionslose Multiplikatoren, die die echten Werte einer Marke nicht authentisch transportieren. Verwässern Marken damit langfristig ihre DNA?


Das geht eigentlich zurück auf ein berühmtes Tool der Luxusindustrie, das aus dem Assoziationsmarketing entstand. Assoziation ist einer der Hauptmerkmale vom Marketing emotionaler Produkte. Sie verkörpern natürlich immer Qualität, Tradition, Handwerk und Lebensgefühl. Gehen wir wieder 1000 Jahre zurück. Luxus als Kreation bestand aus individuellen Handwerkern, Künstlern, Komponisten, Artisten die für Könige und reiche Auftraggeber individuelle Stücke produziert haben. In dem Moment, in dem ein Objekt gekauft wurde kam immer die Frage auf, an welchem Hof wird das getragen, was trägt der König, was trägt der Papst. Im 17. Jahrhundert etwa zirkulierten die ersten illustrierten Zeitschriften in Europa die zeigten, was man zu Hofe in Versailles oder in England trug. Das ist ja nichts anderes. Inzwischen ist es eben die Pop Kultur. Von Mozart zu den Hip Hop Stars, die heute zu Vorbildern avanciert sind. Das Prinzip ist völlig unverändert.

Dann kam der Social Media Influencer. Da hat die Industrie eine Lernkurve durchlaufen, wo wir natürlich auf der einen Seite gesehen habe, dass der- oder diejenige wie jeder andere Ambassador auch ein starkes Kommunikationspotenzial über die sozialen Medien hat. Auf der anderen Seite gelten da die gleichen Regeln. Die Geschichte muss authentisch sein, genauso wie auch die Beziehung zur Marke authentisch sein muss. Im digitalen Bereich haben wir vermehrt gesehen, wie auf Bezahlbasis von Woche zu Woche die Marken gewechselt wurden, natürlich ist das unglaubwürdig. Das wäre außerhalb von Social Media genauso unglaubwürdig, wenn Tennisspieler zum Beispiel alle zwei Tage die Sportschuhmarke wechseln. Das ist etwas stark ausgeschlagen. Und da muss man als globale Marke aufpassen und da bin ich stets dahinter her.

Ein gutes Beispiel für eine authentische Zusammenarbeit ist unser Ambassador Bradley Cooper. Als wir uns zum ersten Mal getroffen haben, war schon eine gewisse Vorliebe zur Marke vorhanden. Erst viel später haben wir dann eine Zusammenarbeit offiziell gemacht und seit zwei Jahren ist er ein authentischer und leidenschaftlicher Ambassador der Marke IWC.

12. In welche Richtung bewegt sich Ihrer Meinung nach die Uhrenindustrie?


Wo vor 10 Jahren noch neue Marken mit neuen Ansätzen und Designs relevant waren, besinnen sich die Menschen heute wieder auf beständige, bekannte und ikonische Marken mit starken Werten und einer langen Historie zurück. Eine starke Erscheinung, die wir in den letzten Jahren schon bemerkt haben ist der Retro & Vintage Trend. Und ich habe mich immer gefragt, warum das eigentlich so ist. Eine Antwort, die ich für mich gefunden habe ist die Tatsache, dass wir in der Nachkriegszeit ein sehr klares Bild davon hatten, wo die Reise hingeht. Wir wussten, technischer Fortschritt und Produktivitätszunahme bedeuten einen besseren Wohlstand. Und in den 90er Jahren ist diese Kurve irgendwann einmal auseinandergegangen. Durch die Digitalisierung sind viele Fragen aufgekommen, die die Entwicklung der Zukunft nicht so klar definieren. Wir teilen als Gesellschaft dazu keine gemeinsame Meinung mehr. Wo liegt die Hoffnung in der Zukunft? Wir wissen es nicht. Wir fühlen uns zunehmend unwohl damit und klammern uns daher lieber wieder an Dinge, die uns Familiarität und Sicherheit geben. Und da kommen die Schallplatten, die Leica Kameras, die historischen Automobile und eben auch die mechanischen Retro & Vintage Uhren ins Spiel.


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