An diesem lauen Sommerabend Ende September treffen die ersten Gäste in der Mailänder Cartier Boutique an der Via Monte Napoleone im Luxusdistrikt der Stadt ein. Mit dem gläsernen Lift mit eigenem Portier fahren wir in den vierten Stock, vorbei an den großzügigen und wundervoll dekorierten Verkaufsflächen, auf denen Schmuck und Uhren an die Kundschaft gebracht werden. An diesem Abend werden aber keine Geschäfte mehr an den Präsentationstresen gemacht – es hat sich lediglich eine kleine Gruppe Journalisten und Uhren Enthusiasten im obersten Stockwerk eingefunden.
Hier hat sich Cartier in der vierstöckigen Boutique ein kleines Refugium eingerichtet, aus Lounge-Bereich für intime Gespräche und einem kleinen Innengarten, von dem aus man den Sound der pulsierenden Metropole im Ohr hat. Sie sind aus Spanien, den Niederlanden und Schweden angereist, um heute einige extrem seltene Cartier Uhren zu Gesicht zu bekommen, die im Rahmen einer besonderen Ausstellung zum 40. Jubiläum der „The Cartier Collection“ bis 05. Oktober in der Mailänder Boutique zu sehen sein werden: by Appointment only. Aber es ist nicht das einzige Jubiläum. Cartier feiert dieses Jahr den 170. Geburtstag der ersten Uhr der Maison, damals noch eine Taschenuhr. Zu diesem Jubiläum wird an diesem Abend zum ersten Mal die neue, auf 170 Stück limitierte Tank Louis Cartier Platinum vorgestellt, die exklusiv für den europäischen Markt vorgesehen ist.
Cartier Boutique in Mailand
König der Eleganz
Unter den rund 20 Gästen entdecken wir auch Auro Montanari, der unter dem Pseudonym John Goldberger als einer der berühmtesten Uhrensammler der Welt bekannt ist und nicht nur durch seine Größe, sondern auch durch seinen guten Modestil heraussticht. Auro besitzt eine beachtliche Cartier Kollektion und wird daher heute Abend ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Wei Koh, Revolution Gründer und Uhrensammler, führt das Gespräch und setzt zu Anfang der Konversation direkt ein Statement: „Wenn Rolex der König der Sportuhren ist und Patek Philippe der König der Komplikationen, dann muss Cartier der König der Eleganz sein.“ Wir sind also nicht ohne Grund in Mailand, der wohl wichtigsten Mode-Metropole der Welt, der Heimat von Luchino Visconti, Ettore Bugatti, Walter Albini oder Luisa Casati. Wenn Cartier also der King of Elegance ist, dann ist Mailand der King of Style.
Wei Koh (links) und Auro Montanari (rechts)
Und es stimmt, Cartier hat es seit der Vorstellung der ersten Armbanduhr, der Santos im Jahr 1904 geschafft, ein Uhrendesign zu etablieren, dass auch heute noch fast unverändert die Menschen begeistert. Das gilt genauso für die Tank, die erstmals 1917 auf den Markt kam und ebenfalls heute fast unverändert zu einer Ikone der Uhrmacherei avanciert ist. Das rechteckige Gehäusedesign mit seinen sogenannten „Brancards“, den vertikalen Seitenstegen, die Armband und Gehäuse miteinander verbinden, galt damals noch als disruptiv, entwickelte sich aber über die Jahrzehnte zum Ausdruck des guten Stils.
Nicht zuletzt auch, weil Louis Cartier, Enkel des Gründers Louis-François Cartier, in den besten gesellschaftlichen Kreisen und wohlhabenden Elite von Paris verkehrte. Später trugen berühmte Persönlichkeiten wie Ingrid Bergman, Clark Gable, Andy Warhol oder auch Muhammad Ali die Uhren von Cartier. Die Tank Normale aus dem Jahr 1917, die Tank Cintrée von 1921 sowie die Tank Louis Cartier von 1922 bildeten den Grundstein aller darauffolgenden Tank Variationen wie Tank Étanche, Tank Chinoise, Tank Asymetrie, Tank Americaine, Tank Francaise oder Tank Must de Cartier, um die wichtigsten zu nennen.
Cartier Collection
Nun werden in Mailand aus dieser Ära einige seltene Stück ausgestellt, die Cartier seit den 1970er Jahren zurückerworben hat. 1983 wurde daraus dann die „Cartier Collection“ gegründet, die heute um die 3.500 historische Uhren und Schmuck-Stücke der letzten 170 Jahre umfasst und von Pierre Rainero, dem Image, Style und Heritage Direktor von Cartier verantwortet wird. Zu den ausgestellten Highlights, bei denen selbst die größten Sammler weiche Knie bekommen dürften, gehören eine Tank Cintrée von 1924, eine Tank Louis Cartier von 1925, die Tank À Guichets von 1928 und eine vollgoldene Tank Étanche von 1931.
Die 10 historischen Modelle der ‚The Cartier Collection‘, Mailand
Das sind nur einige wenige besondere Kreationen aus der hauseigenen „Cartier Collection“, die seit 1989 regelmäßig in den renommiertesten Museen der Welt für die Öffentlichkeit ausgestellt werden – denn ein eigenes, öffentlich zugängliches Cartier Museum für historische Uhren gibt es nicht. Angefangen 1989 im Petit Palais in Paris, bis hin zum Metropolitan Museum of Art in New York 1997, dem British Museum in London 1998, Palace Museum in Beijing 2009 und 2019 oder dem Hong Kong Palace Museum in diesem Jahr. Die älteste Tank im Besitz von Cartier stammt aus dem Jahr 1920, wie Pierre Rainero uns im Gespräch erzählt. Da die produzierte Stückzahl zu dieser Zeit mit gerade einmal 6 Modellen in 1919 äußerst gering war, ist diese Tank von 1920 vermutlich eine der ersten 10 Tank Modelle überhaupt.
Cartier Tank Louis aus den 1920er Jahren
Fotocredit © Analog:Shift
Wie groß auch heute noch die Begeisterung für Uhren der Maison Cartier aus allen Epochen ist, zeigt sich nicht nur am Erfolg als zweitgrößte Uhrenmarke der Welt, gemessen am Umsatz, sondern auch an den Uhren an den Handgelenken der Gäste. Unter den schönsten Kreationen entdecken wir eine Cartier Tank Louis Cartier aus den späten 1960er Jahren, eine Cartier Tank Cintrée Unique Piece, eine vollgoldene Cartier Santos Carrée aus den frühen 1980er Jahren mit einem diamantbesetzten Zifferblatt und Lünette sowie eine seltene und wunderschöne Cartier Tank Basculante, die exklusiv für den französischen Markt produziert wurde. John Goldberger trägt heute eine Cartier Cintrée Platinum Unique Piece aus dem Jahr 2009 – der Sammler hat ein besonderes Faible für diese Modellreihe, die 1921 erstmals vorgestellt wurde.
Tank Louis Cartier Platinum Limited Edition EU
Zwischen den historischen Stücken ist in einer Vitrine an diesem Abend auch ein kontemporäres Tank-Modell ausgestellt, und könnte es doch, wenn man es nicht besser wüsste, ebenfalls aus einer Zeit von Louis Cartier stammen. Zu sehr erinnert das Zifferblatt Design an die Blütezeit des Art Deco, geschweige denn vom unverwechselbaren Gehäuse-Design, das seit über 100 Jahren unverändert ist.
Von Pierre Rainero erfahren wir, dass die neue Tank Louis Cartier Platinum eine Hommage an die kreativen Zifferblätter der 1990er Jahre ist, die wiederum von den Uhren aus der Art Deco Periode der 1910er und 1920er Jahre inspiriert wurden. Hier schließt sich also der Kreis. Pierre Rainero ist übrigens maßgeblich am Design aller neuen Cartier Uhren beteiligt – keine Uhr wird lanciert, die der Image, Style und Heritage Direktor nicht persönlich abgesegnet hat. Immerhin gilt Rainero heute als der Hüter des Erbes von Cartier.
Das Zifferblatt dieser auf 170 Exemplare limitierten und ausschließlich für den europäischen Markt bestimmten Tank schimmert in verschiedenen Blau-Nuancen. So richtig zur Geltung kommt der Effekt aber erst im Sonnenlicht. Durch modernste Laser Gravur und PVD-Behandlung (physical vapour deposition) entsteht ein fast schon grafisches Muster, das in verschiedenen Blautönen changiert.
Ansonsten ist das Zifferblatt Design schlicht gehalten, mit vier großen römischen Ziffern und zwei Schwertzeigern (Stunden, Minuten) aus rhodiniertem Stahl. Das Platingehäuse (950/1000) hat einen Durchmesser von 33,7 mm x 25,5 mm bei einer Höhe von 6,6 mm. In die Krone ist der Cartier-typische Rubinen-Cabochon eingelassen – hier in Rot, was auf das Gehäusematerial Platin hinweist. Der Preis beträgt daher auch 13.800 Euro.
Im Inneren läuft das bewährte hauseigene Manufakturwerk 1917MC, das Ende 2018 erstmals vorgestellt wurde. Auf der Gehäuserückseite ist der Schriftzug „Limited Edition 170 Pieces“ eingraviert – als Hommage an den 170. Geburtstag der ersten Cartier Uhr von 1853.
Der Lift bringt uns wieder, inklusive Portier und schönen Erinnerungen, zurück in den Eingangsbereich der Boutique, von wo aus wir uns ins kulinarische Nachtleben stürzen. Bei Steak Milanese sinnieren wir über die Eleganza, die diese Stadt versprüht, und dann heißt es auch schon wieder Arrivederci Milano!
