Hier ein Leopard, dort eine Szene aus einem historischen Autorennen. Letztlich zeigen diese beiden Zeitmesser aus dem Hause Patek Philippe, bei denen die Bezeichnung als „Neuheiten“ irgendwie viel zu schnöde klingt, noch viel mehr: Als Teil der „Rare Handcrafts“-Kollektion 2023 stehen sie für das Streben nach Perfektion, für den Erhalt von teils Jahrtausende alten Techniken der Uhrmacherei und des Schmuck-Handwerks, und vor allem für die Verwirklichung von Träumen. Bei der Taschenuhr-Referenz 995/137J-001 – dem „Léopard“ – und der Calatrava-Referenz 5189G-001 – der „Grand Prix des Nations – 1948“ – bewegt sich Patek Philippe an der dekorativen Spitze von dem, was menschenmöglich ist. Wer auf seine Uhr nur dann blickt, wenn er oder sie die Zeit ablesen möchte wird mit dieser Art Horologie nur wenig anfangen können. Alle anderen aber nehmen diese beiden Referenzen mit auf zwei ganz unterschiedliche Gedankenreisen.
Vollgas in die Vergangenheit: Die „Grand Prix des Nations – 1948“
Bei vielen Sammlern ist die Leidenschaft für Zeitmesser ebenso ausgeprägt wie die Begeisterung für Automobile. So betrachtet ist es naheliegend beides zusammenzubringen. Die Referenz 5189G-001 führt ihre Betrachter dann auch auf direktem Wege in die Welt der Oldtimer, genauer in die 1940er-Jahre und zum „Nations Grand Prix“, der von 1946 bis 1950 in Genf ausgetragen wurde. Es war das erste Rundstreckenrennen nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz. Über 80 Runden lang rasten die Fahrer 1948 auf einem rund drei Kilometer langen Stadt-Parcours durch Genf, von der Avenue de France über die Avenue de la Paix auf die Rue de Lausanne. Am Ende siegte Giuseppe Farina in seinem Maserati. Es war ein Autorennen, das vom Leid der damaligen Zeit ablenkte und vom Aufbruch in eine erfreulichere Zeit erzählte. Die Kunsthandwerker der Manufaktur fangen auf dem Zifferblatt die Renn-Atmosphäre von damals ein: Zwei kühne Piloten steuern ihre Wagen am Genfer See entlang, im Hintergrund zeichnen sich die Häuser am Ufer vor bergiger Kulisse ab, und im See jagt der „Jet d’eau“-Springbrunnen das Wasser in bis zu 140 Meter Höhe. All das ist auf dem wenige Quadratzentimeter kleinen Zifferblatt im Calatrava-Gehäuse mit „Clous de Paris“-Umrandung zu sehen. Es ist ein dynamisch-romantisches Motiv, vor allem aber ist es feinstes Emaille-Handwerk. Um das Motiv in dieser Finesse aufs Zifferblatt zu bringen wurden die Cloisonné- und die Paillonage-Technik verwendet.
Bei ersterer wird das Zifferblatt zunächst guillochiert und hauchdünne Goldfäden aufgebracht, im Falle dieser Referenz waren es insgesamt 40 Zentimeter Faden, die sicherstellen, dass sich die 17 unterschiedlichen Farben nicht vermischen. Die Rennwagen-Nummer „2“ wurde zusätzlich mit der Paillonage-Technik bearbeitet, was bedeutet, dass man eine durchscheinende Emaille verwendet, unter der ein Silberblättchen den Effekt verstärkt. Zwölf bis 13 Ofengänge bei 820 Grad Celsius sind nötig, wobei jeder einzelne einen Stresstest für das Zifferblatt darstellt, traditionell ist die Ausschussrate bei dieser Art der Grand-Feu-Emaillierung hoch. Was am Ende jedoch bleibt ist ein einzigartiges Stück Handwerkskunst, dessen Farben auch über Jahrzehnte nicht verblassen, und das die Geschichte von einem Autorennen aus der Heimatstadt von Patek Philippe erzählt. Dazu passend sind sowohl die Zeiger als auch das Armband im Stile von Gentleman-Racer-Handschuhen gelocht. Vor lauter Feinstarbeit beim Zifferblatt soll zudem nicht vergessen werden: Beim Uhrwerk verlässt man sich auf das bewährte ultra-dünne 240er-Automatik-Kaliber.
Gerade einmal zehn Exemplare dieser so aufwändig zu produzierenden Calatravas werden für die Sammlungen einiger, weniger Glücklicher hergestellt. Die können sich dann dem guten Gefühl hingeben, dass Emaillierung eine über 3500 Jahre alte Technik ist, die in diesem Zeitmesser in Perfektion exekutiert wird.
Abenteuerlich schön: Die „Léopard“-Taschenuhr
Bei „Rare Handcrafts“-Schöpfungen bewegt man sich traditionell in den äußersten Sphären der Patek-Philippe-Galaxie, in einer Gegend also, die den allermeisten Uhren-Sammlern verschlossen bleiben wird. Im Vergleich zur in diesem Text schon beschriebenen bereits sehr limitierten Calatrava wird es nun noch einmal seltener: Die Referenz 995/137J-001, deren Beiname „Léopard“ ihrer aufregenden Schönheit um einiges gerechter wird, ist ein Einzelstück.
Ihr Anblick in freier Wildbahn ist somit nahezu ausgeschlossen. Vom 1. bis 15. April wird sie gemeinsam mit fast 70 anderen Ausnahmeuhren in der „Rare Handcrafts“—Ausstellung im Genfer Salon an der Rue du Rhone zu sehen sein, doch danach ist die Sichtung eines wahrhaftigen Leoparden im direkten Vergleich um einiges wahrscheinlicher. Fest steht: In einer Welt die immer näher zusammenrückt wächst der Wunsch nach dem Außergewöhnlichen. Das kann eine Reise in eine möglichst abgelegene Ecke dieses Planeten sein, eine Foto-Safari in Afrika zum Beispiel, oder aber auch eine einzigartige Uhr wie die „Léopard“.
Taschenuhren gelten unter Connaisseuren dabei als eine absolute Königsklasse für Sammler, und gerade bei Patek Philippe nutzt man diese Zeitmesser schon lange als Leinwand für eine Leistungsschau der dekorativen Künste. Für dieses konkrete Modell wurde die Technik der Champlevé-Emaillierung – auch bekannt als Grubenschmelz-Technik – sowie Handgravur und vor allem die Arbeit mit Holz-Intarsien verwendet. Geradezu lebensecht blickt der Leopard von der Taschenuhr aus dem Dunkel heraus in die Welt. Um diesen Effekt zu erreichen wurden 363 winzige Furnierteilchen und 50 Einlagen aus 21 verschiedenen Holzsorten in unterschiedlichen Texturen, Farben und Äderungen zusammengesetzt. Der Rand der Gehäuserückseite, der Bügel sowie die Lünette auf der Zifferblattseite schmückt unterdes ein von tropischem Blattwerk inspiriertes Muster, für das die Champlevé-Technik zur Verwendung kam: In das Gehäuse werden dafür Vertiefungen eingearbeitet, die in diesem Fall mit schwarzer Emaille aufgefüllt werden und die somit im krassen Kontrast zum gelbgoldenen Glanz des Restgehäuses stehen. Ein magischer Effekt und eine Kunst, die heute nur noch selten Anwendung findet.
Die „Rare Handcrafts“-Modelle: Leistungsschau und Traditionsbewahrung
So exklusiv diese beiden Modelle auch sein mögen, so nischig ist der Markt für derlei Modelle, und vor allem: So groß ist der Aufwand, den Patek Philippe Jahr für Jahr betreibt. Man könnte sich das Leben in der Manufaktur sicherlich einfacher machen, zumal Teils nur noch wenige Menschen die für die „Rare Handcrafts“-Modelle verwendeten Techniken beherrschen. Dass man dennoch weiter Uhren dieser Klasse herstellt sagt vermutlich mehr über das Selbstverständnis von Patek Philippe aus als manch Grande Complication des Hauses. Sie sind Leistungsschau und Handwerkskunst-Erhalt zugleich, sie zeugen vom tiefen Glauben an die Schönheit des Lebens und die Finesse der Uhrmacherei, und sie sind der uhrmacherische Beweis, dass die Menschheit eben nicht nach größtmöglicher Gleichheit sucht, sondern nach dem Einzigartig-Besonderen in jedem einzelnen Leben.