Nicht nur im Museum lässt sich erleben, welche Bedeutung ein „Royal Warrant“ – also die Auszeichnung als königlicher Hoflieferant – für ein Unternehmen hat: Als König Charles III. dem Schokoladen-Konzern Cadbury kürzlich nach 170 Jahren diesen Status entzog, da war die Aufregung groß. Schließlich gilt Cadbury als eine der ganz starken britischen Marken. Doch dem Vernehmen nach stand die Vorliebe des neuen Regenten für ausgewogene Ernährung einer Verlängerung im Wege. Anders sieht es bei Cartier aus: Die Maison hat nach wie vor Brief & Siegel für ihre besonders innige Beziehung zum Königshaus. Charles’ Sinn für die schönen Künste ist schließlich weithin bekannt, und Herzogin Catherine bekanntermaßen nicht nur Trägerin einer „Ballon Bleu“, auch die von ihr zur Hochzeit getragene „Halo Tiara“ ist ein historisches Stück von Cartier aus dem Jahr 1936.

Doch auch das ist nur ein flüchtiger Blick auf die aktuelle Spitze der Thronfolge – wie tief und weitreichend die Beziehung zwischen den Royals, ihrem Königreich und der Pariser Marke tatsächlich ist lässt sich aktuell bei einem Besuch der (regelmäßig ausverkauften) Cartier-Ausstellung im Londoner Victoria & Albert Museum erkunden. Ein Besuch in den historischen Hallen in South Kensington wird schnell zu einer Zeitreise in eine andere Welt: In diesem Kosmos erscheint die Anfertigung von Unikaten als etwas beinahe Selbstverständliches. Kreative Grenzen setzt hier einzig das Karat-Budget. Und ja, in einem ziemlich einzigartigen Setting sind hier Original-Modelle der ersten Tank ebenso wie von der Pebble und der Baignoire Allongée bis hin zur Crash zu bewundern, doch auch diese sind am Ende nur ein Mosaik im Gesamtkunstwerk, das diese Ausstellung zelebriert.

Blick zurück

Die Ausstellung im Victoria & Albert Museum zeigt noch bis 16. November die wichtigsten Uhren aus der Geschichte der Maison – und unendlich viel mehr. Schließlich ist London ein ganz wesentlicher Ort für die Erfolgsgeschichte, die Cartier aus heutiger Sicht ganz selbstverständlich erzählen kann. Anfang des 20. Jahrhunderts aber war die Luxuswelt noch eine andere, und der Name Cartier in den besten Kreisen zwar bereits geläufig, die im Jahr 1847 gegründete Maison aber noch eine deutlich kleinere. Damals machten sich Louis, Pierre und Jacques Cartier – die drei Enkel von Firmengründer Louis-François Cartier – auf, um weltweit zu expandieren. Louis kümmerte sich um die Geschäfte daheim, während sich Pierre auf den US-amerikanischen Markt konzentrierte und nach New York zog und Jacques den Juwelier in London etablierte.

Dort wurde im Jahr 1902 in der New Burlington Street die erste britische Dependance eröffnet. Jacques als hervorragenden Netzwerker oder Marketing-Experten zu beschreiben ist in diesem Zusammenhang sicherlich zu neuzeitlich gedacht. Fakt ist: Im London des jungen 20. Jahrhunderts fand er nicht nur schnell Zugang zu den besten Kreisen, in König Edward VII. hatte er den wohl wesentlichsten Unterstützer überhaupt. Dieser orderte für seine eigene Krönung im Jahr 1902 gleich 27 Tiaren und verlieh dem französischen Juwelier nur wenig später erstmals das begehrte „Royal Warrant“.

Es war der Beginn einer funkelnden Beziehung, und losgelöst von unzähligen Sonderanfertigungen für die Royal Family wird einem beim Gang durch die Ausstellung vor allem die kreative Bandbreite der Schaffenskraft des „Juweliers der Könige, und König der Juweliere“ deutlich. Die Cartier-Ästhetik ist dabei stets unverkennbar, egal ob die Auftraggeber nun britische Aristokraten, ein indische Maharadschas, ein monegassischer Fürst auf der Suche nach einem standesgemäßen Verlobungsring für seine Braut Grace Kelly, oder auch der mexikanische Filmstar Maria Félix ist.

Uhren? Schmuckstücke!

Wer beim Betreten des Tiara-Raumes oder beim Anblick von Preziosen wie der „Patiala Kette“ aus 2.930 Diamanten – in deren Zentrum ein gelber 234,65-Karat-Diamant funkelt – nach noch mehr verlangt, der darf getrost als maßlos gelten. Die Colliers, Ringe, Halsketten und Broschen sind unbestritten die Stars in dieser Ausstellung. Und dennoch darf und muss gefragt werden: Aber was ist mit den Uhren? Schließlich ist dies ein Medium, das sich mechanischen Zeitmessern verschrieben hat. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, so kann betont werden, was für außergewöhnliche Uhren sich überall in der Ausstellung finden.

Es ist wohl Segen und Fluch der Maison: Als Juwelier muss Cartier seine Uhren immer wieder aufs neue erklären, um zu vermitteln, dass die Uhrmacherei im Hause vielleicht anders gedacht wird als bei anderen Herstellern, was die Zeitmesser aber nicht weniger ernsthaft und raffiniert macht. Im Gegenteil: Dadurch, dass man sich dem Thema vom Design kommend nähert, hat Cartier ein ziemliches Alleinstellungsmerkmal. Insofern ist der Erfolg der Neulancierungen der letzten Jahre kaum verwunderlich. Auch die auf der Watches & Wonders präsentierte Tank à Guichet gilt als großer Erfolg, und anders als in den vergangenen Jahren kommuniziert man bei diesen Modellen der Privée-Kollektion keine limitierte Stückzahl mehr – wohl auch, weil die Nachfrage immer sehr viel größer war als die selbstauferlegte Grenze.

In der Ausstellung sind einige der berühmtesten Armanduhren-Designs nebeneinander aufgereiht, darunter neben einem Original der Tank à Guichet auch die Tank Double Strap, Santos und eine Pebble. Sie zeigen eindrucksvoll wie virtuos die Designer der Maison das Selbstverständnis des Hauses stets respektierten, und dieses immer wieder originell und zeitgemäß interpretierten. Man denke an die heute extra-begehrte Crash: Sie repräsentiert den nonkonformistischen Geist der 1960er aufs Raffinierteste, und ist zugleich typisch Cartier. Die spannendste Provenienz der Uhren hat allerdings eine Tank aus dem Jahr 1962, die rein optisch betrachtet unter allen Exponaten nicht sonderlich auffällt, und dennoch einen dritten und vierten Blick verdient. Diese Uhr gehörte einst nämlich Jackie Kennedy, sie war ein Geschenk ihres Schwagers Prinz Stanislaw Radziwill, der sie bei Cartier New York erwarb. Eine Frau mit Klasse trug fortan also eine Uhr mit Klasse. Jahrzehnte später wurde genau dieses Modell für rund 380.000 Euro von Kim Kardashian ersteigert. An dieser Stelle darf sich nun ein jeder auf seine persönliche Gedankenreise begeben, und darüber grübeln, wie sich unser Verständnis von Stil, weiblichem Sendungsbewusstsein und Prominenz über die Jahrzehnte verändert haben mag, während Klassiker wie die Tank in jeder Dekade ganz offensichtlich überzeugt haben. Inzwischen ist die Uhr laut Katalog übrigens im Besitz der Cartier Collection.

Die Kunsthandwerker bitten zu Tisch

Neben den vertrauten Armbanduhren können sich Sammler in London vor allem davon überzeugen, wie vielfältig Uhrmacherei à la Cartier aussehen kann. Zu bewundern sind beispielsweise horologische Accessoires, darunter ein Brieföffner aus dem Jahr 1930, verziert mit Achat und Lapis Lazuli, und einer Uhr im Griff. Hinzu kommt eine Vielzahl von Tischuhren, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Da wäre zum Beispiel ein Modell aus dem Jahr 1927, deren Schlagwerk die Stunden und Viertelstunden hörbar macht, und das optisch vom alten Ägypten inspiriert ist. Hieroglyphen wurden hierfür in Platten aus Perlmutt geritzt, das Ganze ist im Stile des Eingangs zum Tempel des Chons in Karnak gehalten. Eine gänzlich andere Optik hat eine Tischuhr mit Tintenfässchen aus dem Jahr 1908. Bei dieser wurde guillochiert und emailliert, das Ergebnis ist ein violett-gräulich-schimmerndes Gesamtkunstwerk im Stile von Louis XVI.

Auch die Geschichte der „Mystery Clocks“ ist in der Ausstellung anhand mehrerer Beispiele zu bewundern, darunter die berühmte „Portal“-Variante aus dem Jahr 1923. Das Design ist vom Eingang zu einem Shinto-Schrein inspiriert, auf dem ein dickbäuchiger „Billiken“, ein Glücksbringer aus Kristallglas, thront. Genau unter ebendiesem ist auch das Uhrwerk versteckt, während die Zeiger auf dem gläsernen Zifferblatt scheinbar schweben. Eine andere „Mystery Clock“ stammt aus dem Jahr 1914, hier sind Zeiger und Zifferblatt-Rand mit Diamanten besetzt. Die Uhr ist eine der ersten Uhren dieser Bauart, erdacht vom Uhrmacher Maurice Coüet, den Louis Cartier 1911 exklusiv an die Maison band.

Die Franzosen in London

Zu den Besonderheiten des Erfolges von Cartier in Großbritannien gehört, dass die französische Marke sich hier so britisch wie möglich gibt. Dazu gehört weniger der jährliche Auftritt von Cartier-Statthalter Laurent Feniou an der Seite des Königs beim „Queen’s Cup“ Polo-Turnier, dieser ist längst fester Bestandteil der Hauptstadt-Society. Viel wichtiger ist, dass das Unternehmen mit „English Artworks“ 1921 bereits früh eigene Werkstätten in London eröffnete, auf dass die französischen Designs von britischen Handwerkskünstlern produziert werden. Mit diesem „Made in England“ folgte man im Königreich einen gänzlich anderen Weg als beispielsweise in den USA, wo die Kundschaft die französische Provenienz von Juwelen und Uhren als Qualitäts- und Stilmerkmal verstand.

Heute ist die Niederlassung in der New Bond Street neben dem New Yorker Cartier-Gebäude an der 5th Avenue der Ort, an dem sich die Seele der Marke außerhalb von Paris am besten sehen und erleben lässt. Andere Boutiquen auf dieser Shopping-Straße mögen kommen und gehen, Cartier aber ist hier schon seit Ewigkeiten Zuhause, und wer durch den ersten Raum der Boutique hindurchgeht, der kommt zwangläufig am früheren Büro von Jacques Cartier vorbei. Selbst wenn also die Ausstellung im Victoria & Albert Museum irgendwann beendet ist, dann gibt es immer noch einen weiteren, höchst authentischen Ort, um Cartier in London zu erleben. Sogar eine ebenso rare wie begehrte skelettierte Asymétrique war beim Besuch in einer Vitrine ausgestellt. Das mag kein Dauerzustand sein, aber die schiere Anzahl an besonderen Stücken aus der aktuellen Kollektion beeindruckt – was die Boutique für Cartier-Sammler ohnehin zu einem museumsähnlichen Pilgerort macht.


vam.ac.uk

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