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Chronographen-Wahnsinn auf der Watches & Wonders 2023: Es war ein Traumjahr für Chronographen-Fans – die Swisswatches Top 10

Chronographen-Wahnsinn auf der Watches & Wonders 2023: Es war ein Traumjahr für Chronographen-Fans – die Swisswatches Top 10

2023 ist ohne Zweifel ein Superjahr für Chronographen. Und nichts wäre richtiger: Ob technisch überarbeitet, im neuen Design, als Jubiläumsmodell oder komplett neu entwickelt: Für die beliebteste Kategorie mechanischer Armbanduhren war wirklich für jeden etwas dabei. Und natürlich auch für die Chronographen-Sammler unter den Swisswatches-Lesern. Ziemlich unumstritten waren daher in unserem Team diese ersten, offensichtlichen Top 10. Wir haben allerdings noch mehr in Petto.

Lesen Sie dazu unsere persönliche Top 10 jenseits der Uhren mit Stoppfunktion. Zu unseren Swisswatches-Kriterien für eine gute mechanische Armbanduhr haben wir bereits in unserer Top 10 der klassischen Sammleruhren ausführlich berichtet, ebenso wie über die Tatsache, dass wir nur Uhren beurteilen, die wir am Arm hatten. Auf die Plätze, fertig, los. Das sind die Swisswatches Top 10 der wichtigsten Chronographen der Watches & Wonders 2023.


1. Rolex Cosmograph Daytona Platin – Wir nennen sie nur: The Ring

Die Liste führt erwartungsgemäß der neue Rolex Cosmograph Daytona in Platin an mit transparentem Gehäuseboden. Niemand hatte wirklich damit gerechnet, dass Rolex ausgerechnet sein begehrtestes Modell relauncht, für das auf dem Gebrauchtmarkt Mondpreise geboten werden. Noch weniger, weil Rolex sich normalerweise nicht um große Geburtstage wie den 60. dieses Modells besonders schert (sonst wäre Wahrsagen bei den Genfern einfach). Bei den fünf vorgestellten Modellen wurde so dezent an Gehäuse und Zifferblatt gearbeitet, dass man genau hinschauen muss: Auffälligstes Merkmal der Modelle mit Cerachrom-Monoblock-Keramik-Lünetten ist der Edelstahl- bzw. Goldring, der diese nun fasst. Wir nennen die Uhr der Einfachheit halber von nun an: The Ring Daytona.

Weitere Unterschiede des Vorgängermodells Rolex Daytona Ref 116500LN gegenüber der neuen 126500LN: Die weißgoldenen Stundenindexe wie auch die Totalisatoren-Ringe sind schmaler geworden, insgesamt ist das Design einen Hauch maskuliner.

Endlich sichtbar Das Rolex Uhrwerk Kaliber 4131

Das Uhrwerk 4131 wurde vor allem in Sachen Präzision, Gangreserve (nun 72 Stunden) und Zuverlässigkeit verbessert. Die neuer Rolex Chronergy Hemmung bringt laut meinem Expertenkollegen Gisbert Brunner zirka 15 % mehr Wirkungsgrad und die Paraflex Stoßsicherung noch mehr Sicherheit bei Stürzen.

Ein charmanter Bruch mit der Tradition des Hauses ist der erste Saphirglasboden bei dieser Serie in der von uns favorisierten Platinversion: Hier kann man den skelettierten Aufzugsrotor aus Massivgold mit den optimierten Kugellagern bewundern, sowie das mit Côtes de Genève-Schliff elegant verzierte Uhrwerk. Wir sagen: Viel zu lange hat Rolex seine hervorragenden Werke versteckt, endlich wird eines Mal sichtbar, aber Funktionsfetischisten werden mir zustimmen, dass ein Glasboden bei einer Sportuhr eher die Ausnahme bleiben sollte. Nun weiß jeder Rennwagenfahrer, dass man mit einer Platinuhr eh keine (wichtigen) Autorennen fährt, denn da zählt schließlich jedes Gramm.


2. Zweimal 60 Jahre: Auch Tag Heuer zelebriert seine wichtigste Uhr: die Carrera

Positiv überrascht hat uns Tag Heuer, denn die Carrera Chronographen anlässlich des sechzigsten Geburtstages der Serie sitzen perfekt am Arm. Unser Favorit ist das Tag Heuer Carrera Chronograph Tourbillon, eines der flachsten am Markt. Die Komplikation steht dieser Uhr einfach hervorragend, und wie wir finden sogar besser als das Heuer 02 Werk an den anderen Modellen. Wer statt den 42 Millimetern des Tourbillons noch dezentere Eleganz wünscht, sollte sich das blaue und schwarze Schwestermodell im 39 Millimetergehäuse ansehen, das wir fast nicht mehr aus der Hand legen wollten: Das durch den Saphirglasboden sichtbare Uhrwerk Calibre TH20-00 ist eine Weiterentwicklung seines Vorgängers, des Calibre Heuer 02 und baut deutlich flacher. Gleichzeitig sind diese Uhren mit die preiswertesten unseres Rankings, das trifft auch für das Tourbillon zu (6500 Euro für den Chronographen, 23000 Euro für den Chronograph Tourbillon). Und wohlgemehrt: alle diese Uhren sind 100 Meter wasserdicht, auch das Tourbillon.


3. Der dezenteste Chronograph der Messe – fast einen Hauch zu dezent

Jaeger-LeCoultre zeigt erstmals wieder den 1996 in einer Reverso eingeführten Chronographen in der Tribute Reihe (eine weitere Chronographen-Neuheit erwartet uns im Herbst). Auf der Vorderseite ist der Mechanismus nur an den Drückern zu erkennen, das wunderschöne Formwerk vom Kaliber 860 mit retrograder 30-Minutenskala offenbart sich erst beim Wenden: Dezenter kann man einen Chronographen nicht tragen. Die Uhr liegt wunderbar am Arm, lediglich das Ablesen des Mechanismus ist dank offen gearbeitetem Zifferblatt auf der Rückseite etwas schwierig. Ein Traum sind die zwei austauschbaren, mitgelieferten Armbänder: Eines aus Leder mit blauem Canvas am blauen Modell, das andere komplett aus Leder im Design von Casa Fagliano aus Argentinien, mit denen man seit Jahren erfolgreich zusammenarbeitet.


4. Start – Stopp – Reset: Alles über die Lünette gesteuert

Einen völlig neuen Mechanismus zum Auslösen eines Chronographen hat sich Montblanc ausgedacht. 100 Exemplare wird es von der 1858 The Unveiled Timekeeper Minerva Limited Edition geben, die nicht nur den 165-jährigen Geburtstag der Tochtermanufaktur Minerva zelebriert, sondern auch den 100ten, seitdem dieses Tochterunternehmen, berühmt für legendäre Chronographenmechanismen, Uhrwerke mit Stoppfunktion baut. Kernstück ist die einseitig drehbare Lünette, die sowohl den Start-, Stopp- und Reset-Mechanismus auslöst. Noch wird an den Details gefeilt, und die Uhr baut erwartungsgemäß relativ hoch auf, da man die Lünette ja mit den Händen bedienen muss. Wem das zulange dauert: Ein weiteres Highlight war der 1858 Geosphere Chronograph 0 Oxygen The 8000 Limited Edition mit 24 Stunden Indikation sowie Tag und Nachtanzeigen, deren 290 Titan-Exemplare es exklusiv in Montblanc Boutiquen geben wird.


5. Die einzige Uhr bei A. Lange & Söhne: Ein Chronograph, und was für einer!

Sechs Jahre lang hat das Team um Chefentwickler Anthony de Haas an dem Werk Kaliber L155.1 DATOMATIC für den ersten Automatik-Chronographen der Manufaktur getüftelt und das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Ich muss gestehen, dass die Odysseus-Serie bei A. Lange & Söhne bei mir nie so ganz angekommen ist. Aber absolut verständlich war der Wunsch vieler Sammler 2019, doch auch mal eine sportlichere Lange für den Alltag zu bekommen. Den Chronographen mit dynamischer Nullstellung beider Chronographenzeiger (ein wunderbares Schauspiel) habe ich hingegen sofort ins Herz geschlossen, auch wenn es bei 100 Exemplaren weltweit bleiben und dieses Modell keine Kleinserie wird.

Allein das butterweiche Auslösen des Mechanismus wird Fans dieser Kategorie jauchzen lassen, die integrierten Drücker sind so dezent, dass man die Uhr kaum für einen Chronographen hält und das bei einer 120 Meter wasserdichten Uhr. Voll alltagstauglich ist die Uhr auch, da selbst bei laufendem Stoppvorgang das Wochendatum beliebig verstellt werden kann. Uhrwerksgeschichte, Made bei A. Lange. Wer das einzig existierende Model wie wir auf der Messe kurz an den Arm bekommen hat, will es einfach nicht mehr hergeben.


6. Monopusher mit Kohlefaser: Hermès dreht auf

Und auch bei Hermès ist uns die erste Chronographenversion der 2021 von Chefdesigner, Philippe Delhotal (nebenbei der früheren Creative Director von Patek Phillipe) vorgestellten Serie H08 aufgefallen. Der Monopusher in Hermès Orange überzeugt durch seine Titanlünette und mit Graphen Pulver überzogenem Forged-Carbon-Gehäuse, was ihm ein gutes Gewichtsverhältnis verleiht. In Zusammenarbeit mit Agenhor (Atelier Genovois d’Horlogerie) entwickelt man auch das Automatik-Basiskaliber H1837, das mit einem Chronographenmodul versehen wurde.


7. Der erste Chronograph in der Fliegeruhren-Serie bei Patek Philippe

Zu Patek kommen wir im weiteren Verlauf noch, aber es sei eine wichtige Chronographen Referenz auch hier bereits erwähnt: Für Vielreisenden und Gerne-Flieger wie mich ist ein Flyback-Chronograph mit zwei Travel Time Zeitzonen und dem Zeigerdatum, das mit der Ortszeit gekoppelt ist, die optimale Verbindung von Ästhetik und Funktion. Wo bieten sich solche Komplikationen mehr an als in der 2015 erstmals vorgestellten Calatrava Pilot-Reihe? Fans mussten lange darauf warten. Von den beiden Varianten überzeugte uns die Calatrava Pilot Travel Time Chronograph Referenz 5924G-001 mit blaugrauem Sonnenschliff-Zifferblatt und marineblauem Grainé-Kalbslederband besonders.


8. Ein würdiger Nachfahre der Zenith Rainbow von 1996 – mit Großdatum

Zenith, die Firma, die sich den Begriff Pilot für Uhren bereits 1888 schützen lies, bringt die dezenteste Form des berühmten Rainbow-Chronographen von 1996 zurück. Mit der Pilot Big Date Flyback in Edelstahl kommt ein würdiger Nachfahre, der die prägnanten Regenbogenfarben nur noch dezent im Totalisator-Ring spielt. An der neuen Version des El Primero Kaliber 3600 gefällt mir besonders die Kombination von Großdatum und Flybackchrono auf dem tief horizontal geriffelten Zifferblatt. Trotz 42,5 Millimeter Gehäusedurchmessern passt diese Uhr hervorragend auch an kleinere Handgelenke wie meines. Die Schnellschaltung des Großdatums in 3 hundertstel Sekunden ist zudem des berühmten Schnellschwinger-Werkes absolut würdig.


9. Ein Prototyp für die Zukunft von Roger Dubuis: Monovertex Split-Seconds Chronograph

Bleiben noch zwei Uhren in diesem Chronograph-Sprint: Zum einen darf hier nicht der auf der Messe gezeigte Prototyp des Roger Dubuis Monovertex Split-Second Chronographen fehlen. Nein, eine Uhr, die wir nicht am Arm hatten. Die es aber so auch nicht geben wird, sondern deren jahrelange technische Entwicklung über die kommenden Jahre in kommende Modelle integriert werden wird: Zum einen feiert diese Uhr das Comeback des berühmten Doppelchronographen mit zwei Säulenrädern, zum anderen hat das bei 9 Uhr positionierte Conical Monovertex genannte Tourbillon eine Laufbahn von 360°, die angeblich über die Leistung des von Jaeger LeCoultre entwickelten Hybris Mechanica Tourbillon hinausgehen soll und die Präzision der Uhr in allen beliebigen Lagen sicherstellen soll. Ein Hingucker war die Uhr allemal, wir freuen uns auf das Serienmodel dazu.


10. Parmigiani: Der eleganteste Chronograph der Watches & Wonders 2023

Genau das Gegenteil von auffällig ist die Parmigiani Tonda PF Split Seconds Chronograph, für mich einer der gelungensten Handaufzugschronographen der Show. Meisteruhrmacher und Firmengründer Michel Parmigiani feiert gerade mit seinem neuen CEO Guido Terreni einen zweiten Messe-Erfolg und zu Recht sind jetzt schon viele Uhren unter diesem Duo Legende. Dieses Modell mit einem Werk, das anlässlich des 20-jährigen Bestehens dieser Marke vor sieben Jahren vorgestellt wurde, ist eines der absoluten Spitzenklasse. Uhrwerk und Gehäuse aus Massivgold verschmelzen bei diesem Modell zu einer Einheit, die heute selten geworden ist. Zehntelsekundenpräzision dank 5-Hertz-Frequenz, zwei Säulenräder mit zwei unterschiedlichen Cams, vertikale Kupplung – das Kaliber PF361 bestehend aus 309 Komponenten und einer Gangreserve von 65 Stunden muss sich nicht vor den ganz großen verstecken.


Wer Chronographen-Fan ist muss jetzt eigentlich nicht mehr weiterlesen oder vielleicht doch?

Unser Eindruck dieser Watches & Wonders 2023 ging weit über die besten Chronographen hinaus. Nicht, dass die eben erwähnten, umwerfenden Uhren mit der beliebten Stoppfunktion nicht Sensation genug wären, aber die Messe hat sich für uns in der Retrospektive doch irgendwie anderes angefühlt, es ging um mehr als das Wettrennen gegen die Zeit.

Für mich persönlich ging es während dieser Messe nicht so sehr um Superlative, sondern viel mehr um Raffinesse, um Details und Eleganz. Auch ein Material stach besonders hervor: Platin ist das Material der Stunde, das im Top-Segment bei Patek Philippe, Cartier, Rolex und auch Parmigiani Akzente setzt, dicht gefolgt vom leichten Titan. Diese neue Zurückhaltung und Rückbesinnung auf innere Werte gefiel uns sehr und war viel stärker zu spüren als ich es noch von Vor-Covid-Zeiten her kannte.  Daher haben das Team und ich versucht, für den ersten Teil eher Uhren zu wählen, über die alle auf der Messe gesprochen haben, die Händler, die Experten und die Sammler wie Sie!


watchesandwonders.com