Der erste Deutsche Concours of Elegance – zumindest der erste, der diesen Namen wirklich verdient – ist nur eine Flugstunde von Hamburg entfernt, aber zur Hauptferienzeit durch Deutschland zu reisen ist eine echte Herausforderung, wenn hunderttausende Deutsche fluchtartig das Land verlassen für vermeintlich attraktivere Destinationen. Umso schöner, denkt man sich, dass ausgerechnet ein englischer Veranstalter auch im verregnetsten Sommer seit Aufzeichnungsbeginn 1881 an Deutschland glaubt. James Brooks-Ward, CEO von Thorough Events, ist zu verdanken, dass sich ein wunderschönes Juli-Wochenende lang die Top Sammler Szene für Automobile in Deutschland trafen. Er sagte im Vorfeld: „Wir wollten einen internationalen deutschen Concours schaffen, den die leidenschaftlichen Sammler und Enthusiasten in Deutschland ihr Eigen nennen können.“
Highlights des ersten deutschen Concours of Elegance am Tegernsee
25 Jahre Datograph
Das macht neugierig. Mindestens so sehr wie auf die beiden Messeneuheiten von A. Lange & Söhne, dem Hauptunterstützer dieser Veranstaltung. Mit zwei Ausnahmechronographen begeht man bei Lange dieses Jahr ein ganz besonderes Jubiläum: Die langjährige Chronographen-Tradition des Hauses wurde vor 25 Jahren durch den ersten Datograph wiederbelebt, der ersten Uhr in einer Reihe von bisher 13 Modellen mit dieser aufwendigen Funktion.
Chronographen gehören nicht nur zu den größten Herausforderungen in der Feinuhrmacherei – wie jeder weiß, der sich schon einmal mit der Geschichte ihrer Entstehung beschäftigt hat – bis heute gibt es nur eine Handvoll Firmen, die selbst einen eigenen Mechanismus entwickelt haben. A. Lange und Söhne versetzte vor 25 Jahren die gesamte Industrie mit dem ersten Datograph ins Staunen – zu einer Zeit, zu der weder Rolex noch Patek Philippe über vollständig eigene Kaliber dieser Kategorie verfügten.
Gut Kaltenbrunn ohne Wilhelm Schmid
Froh, endlich angekommen zu sein, eröffnet sich dem Betrachter am Ort des Geschehens auf dem von Supergastronom Michael Käfer betriebenen Gut Kaltenbrunn, ein fast surreales Idyll. Surreal ist auch, dass ausgerechnet Lange-CEO Wilhelm Schmid nicht anreisen kann, er fällt krankheitsbedingt aus. „Damn!“ wird er vermutlich eher heimlich geflucht haben. Er ist für seine guten Manieren bekannt, aber er brennt nun wirklich für Autos – und Uhren sowieso.
Wilhelm Schmid, CEO A. Lange & Söhne
Der erste echte Concours in Deutschland
Wie er später während des Videocalls auf der Veranstaltung gesteht (auch wenn das Internet streikt – oh Germany) hat er sich darauf in mehrfacher Hinsicht wirklich gefreut. Ist es wirklich Zufall, dass ausgerechnet dieses Jahr die Modelle, die die historische Verbindung zwischen Zeitmessung und Motorsport wie keine anderen Uhren von Lange & Söhne verkörpern, hier in Deutschland Jubiläum feiern beim ersten Concours of Elegance des Landes? Schmid: „Das ist tatsächlich Zufall, dass das dieses Jahr zusammenfällt. Es kam bei der Planung noch eine ganze Pandemie dazwischen. Wir fokussieren uns vollkommen darauf, unsere Uhren termingerecht zu unseren eigenen Jubiläen fertigzustellen. Wenn ein erster Concours of Elegance in Deutschland dann mit dem Jubiläum der Datograph zusammenfällt, umso besser.“
Der erste deutsche Concours of Elegance am Tegernsee
Schmid wäre selbst mit dem Auto gekommen
Wilhelm Schmid sagt das mit der nötigen Distanz eines CEOs, der am Ende auch Uhren verkaufen will, aber mit der persönlichen Begeisterung eines Auto-Sammlers, der selbst, wäre es ihm denn möglich gewesen, persönlich mit einem Auto teilgenommen hätte, dass in dieser Liga mitspielt: Er wäre mit seinem AC Ace Bristol angetreten, dem einzigen Überlebenden dieser Art. Vor 15 Jahren wurde er wiedergefunden und aufwändig restauriert.
Verbindung zweier Leidenschaften: Lange CEO Wilhelm Schmid mit einem Datograph Perpetual Tourbillon am Steuer seines 1957er Frazer Nash.
Die Messlatte liegt hoch – hält der Concours am Tegernsee was er verspricht?
Es ist fast schon bizarr: Wenn es überhaupt einen Markt gibt, der für Autos steht, dann ist es ja wahrscheinlich Deutschland und trotzdem hat es bisher noch kein Concours of Elegance in den internationalen Sammlerkalender geschafft, auch wenn es ohne Frage tolle regionale Veranstaltungen gibt. Aber Pebble Beach, Monterey Car Week, Villa D’este am Comer See und seit über einem Jahrzehnt auch Hampton Court – das ist die Messlatte und sie liegt hoch. In dieser Kategorie gibt es hierzulande nichts Vergleichbares.
Seit 12 Jahren: Der britische Concours
Der vor 12 Jahren erstmals organisierte Concours of Elegance im Vereinigten Königreich zielte von Beginn an darauf ab, mit Veranstaltungen wie dem Concorso d’Eleganza in Villa d’Este gleichzuziehen, indem man die feinsten Automobile an einem erstklassigen Ort präsentierte. Es ist heute zugleich der erste Concours der Welt, der in einer Millionenmetropole stattfindet. Los ging es 2012: Zu Ehren des 60. Thronjubiläums von Königin Elisabeth wurden 60 ganz besondere Autos ausgewählt, die im Innenhof von Windsor Castle ausgestellt worden waren. Danach fand die Veranstaltung unter anderem im St. James’s Palace, dem Palace of Holyroodhouse und den Fountain Gardens des Hampton Court Palace statt, wo man seit 2017 residiert. Swisswatches berichtete ausführlich über den Concours of Elegance in Hampton Court.
Concours of Elegance in Hampton Court
Concorso d’Eleganza in Villa d’Este
Von den Wittelsbachern zu Michael Käfer
Nun also Gut Kaltenbrunn. Das ist ein im Kern aus dem 14. Jahrhundert stammender denkmalgeschützter Vierseithof am Nordufer des Tegernsees nahe dem Städtchen Gmund am Tegernsee. Kein Schloss, aber eine ideal gelegener Veranstaltungsort, wie sich schon nach wenigen Minuten des Besuchs herausstellt. Das Gut gehörte ursprünglich dem Kloster Tegernsee (Dort wird bis heute ein tolles Bier gebraut, sollten Sie mal vorbeischauen wollen). 1821 erwarb diesen Gutshof der bayerische König und er blieb, bis er 1975 verkauft wurde, im Eigentum der Wittelsbacher. Wenigstens ein Hauch von Hochadel weht durch die ehemaligen Rinderställe.
Käfer Gut Kaltenbrunn am Tegernsee
Autos und Uhren in perfekter Harmonie
Davor präsentieren Autos und Uhren in perfekter Harmonie, wie die Bilder zu diesem Text zeigen. Angereist sind nicht nur Top-Sammler. Sondern auch Topfahrzeuge, der Kern einer solchen Veranstaltung. Hinzu kommt ein angenehm flamboyantes Publikum, fernab von bayerischer Lederhosengaudi.
Der 1.971-ccm Sechszylinder-Motor des Le Mans ist ebenso beeindruckend wie das aus 576 Teilen bestehende Kaliber L132.1, das den Triple Split antreibt.
Treffen mit dem Concours Direktor
Ich treffe einen langjährigen Freund und den Chef von Classic Driver, zugleich Concours Direktor: Jan Philip Rathgen. Er zeigt mir unter anderem das erste Auto der Welt, auf dem das Cavallino Rampante zu sehen ist, besser bekannt als Ferrari-Logo. Ein 1932er Alfa Romeo 8C 2300 Spyder Zagato. Ein Alfa mit Ferrari-Logo? „Ferrari war damals ein Rennstall und noch keine Automobilfirma,” klärt mich Rathgen geduldig auf. Apropos launig: Er führt, gemeinsam mit seinem britischen Kollegen Richard Charlesworth, durch den Nachmittag.
Jan Philip Rathgen (links), CEO Classic Driver und Concours Direktor und Richard Charlesworth (rechts), Vorsitzender des Lenkungsausschusses
Fotocredit © Tim Scout Fluid
Die Teilnehmer-Kategorien
Es gibt zahlreiche Kategorien, die man nicht wirklich kennen muss, wenn man sich vor allem für Uhren interessiert, aber es macht Spaß, zwischen all diesen Preziosen hindurch zu wandern und sich technische Details ins Ohr säuseln zu lassen, die mal nichts mit Uhren zu tun haben. Außerdem kann man hier in die Mechanik nicht nur schauen, sondern sie hautnah erleben. Es raucht und rattert, es qualmt und brummt während einem katalysatorlose Abgasrohre den ersten (Benzin-)Rausch des Tages verpassen.
Rathgen und sein britischer Kollege stellen reihenweise die Teilnehmerautos vor, aber nicht oberlehrerhaft, sondern launig. Anlässlich des 70. Geburtstags sind drei berühmte Mercedes Benz SL Flügeltürer eingetroffen, nebenbei trifft man alte Bekannte. Der Direktor erklärt mir anschließend die etwas verwirrende Anzahl an Gewinner-Kategorien: „Neben dem Best of Show Award zeichnen wir für jedes wichtige Jahrzehnt von 1920 bis 1970 weitere Fahrzeuge aus. Neuere Fahrzeuge werden in der Kategorie Future Classics gewürdigt.“ Sein Kollege und Chairman Richard Charlesworth darf seinen eigenen Preis verleihen, den Chairmans Award. Neben einem Ladies‘ Concours für Frauen (wir erinnern uns kurz: Mit Bertha Benz war es immerhin zunächst eine Frau, die das erste Automobil fuhr) zeichnet A. Lange & Söhne für einen weiteren interessanten Preis verantwortlich: „30 Under Thirty“ würdigt junge Eigentümer, bei denen die einzige Teilnahmebedingung ist, dass sie unter 30 Jahre alt sind und wirklich in Besitz ihres Fahrzeuges sind. Man hat hier vor allem das Gefühl: Wer hier teilnimmt, gehört so oder so schon zu den Gewinnern im Leben.
Der Preis „Dreißig unter 30“ für Eigentümer unter 30 Jahren wurde an den Besitzer einer perfekt erhaltenen BMW Isetta verliehen.
Eine Jury aus Sammlern
Apropos Teilnahmebedingungen: Die Regeln sind denkbar einfach, wie mir der Direktor erklärt: „Es gibt keine klassische Jury, sondern die Teilnehmer bewerten die von Experten eingeladenen Fahrzeuge selbst. Das hat sich als sehr solide und vor allem faire Methode erwiesen, da die Sammler oftmals mehr wissen als jede Fachjury und viel besser Auskunft geben können. Das Steuerungskomitee um Rathgen und Charlesworth stellt allerdings sicher, dass ein Fahrzeug, sobald es auf der Veranstaltung gezeigt wurde, erst nach einem Jahrzehnt wieder gezeigt werden darf.
Wer bekommt den Best of Show Award?
Die beiden Gentlemen zusammen küren am Folgetag auch den Best of Show Gewinner für 2024 vor rund 2500 Gästen: Ein seltener Lancia Astura Pinin Farina Cabriolet von 1939 gewinnt den begehrten Preis und setzt sich gegenüber 80 nicht weniger exquisiten Autos durch, die von Klassikern bis hin zu modernen Hypercars reichen.
Fotocredit © Tim Scout Fluid
Gewinner der Kategorie „Best in Show“: Lancia Astura Pinin Farina Cabriolet von 1939
3,35 Millionen für ein 14 Jahre altes Auto
Wer möchte, kann sogar ein Fahrzeug kaufen, das nötige Kleingeld vorausgesetzt: Neu geht das bei Bentley, die ebenso neue Fahrzeuge ausstellen wie Ferrari. Mit Spannung erwartet wird natürlich die Auktion von Co-Partner RM-Sotheby’s, das renommierte Auktionshaus lädt am Samstag zur ersten “Tegernsee-Auktion”. So geht an dem Tag immerhin ein extrem seltener Mercedes Benz SLR McLaren Stirling Moss für 3,35 Millionen Euro weg, der allerdings noch eingefahren werden sollte: Auf dem Tacho zeigt er 45 Kilometer an (alle weiteren Auktionsergebnisse hier).
Mercedes Benz SLR McLaren Stirling Moss
Der Datograph Auf/Ab am Arm
Während gekühlter Rosé langsam die Wangen rötet und die Sonne wertvolle Karossen zum Glühen bringt, bleibt Zeit für eine Runde mit dem neuen Datograph Auf/Ab. Der 1999 eingeführte Säulenrad-Chronograph mit Flyback-Funktion, einem exakt springenden Minutenzähler und dem Lange-typischen Großdatum steht bis heute für das Innovationsstreben der Manufaktur. Anlässlich des Jubiläums wurde die Datograph-Familie um zwei Modelle erweitert: Die neue Version des Datograph Auf/Ab in Weißgold mit blauem Zifferblatt könnte nicht besser zu den ausgestellten Fahrzeugen passen.
Das (bisherige) Highlight der Baureihe: Die Datograph Lumen
Mit einem Gläschen wohltemperierten Laurent Perrier-Champagner in der Hand spreche ich mit dem Produktionsleiter von A. Lange & Söhne, Tino Bobe über die Geschichte des Datograph. Sie wird dieses Jahr gekrönt von der bisher kompliziertesten Uhr dieser Reihe – der Datograph Perpetual Tourbillon Honeygold “Lumen“. Lumen steht für zahlreiche mit Leuchtmasse ausgelegte Elemente dieser Super-Uhr, deren Anzeigen leuchten wie ein weiß hinterlegter Automobiltacho in der Nacht.
Joern F. Kengelbach (links) und Tino Bobe (rechts)
Datograph Perpetual Tourbillon Honeygold “Lumen“
Das Defilee der Fahrzeuge
Am besten gefällt einem hier: Man kommt ins Gespräch. Sei es beim Defilee der Fahrzeuge am Biergarten vorbei oder an den Fahrzeugen selbst. Hat der Concours Tegernsee eine Chance? Fragen wir den Gewinner doch selbst: Hans Jörg Hubner, Besitzer des Best in Show gewinnenden Lancia Astura Pinin Farina Cabriolet, sagt: „Wir waren sowohl bei der Ausfahrt als auch bei der Veranstaltung dabei, und es war eine außergewöhnliche Erfahrung bei unserem ersten Besuch in den bayerischen Alpen – sehr gut organisiert.” Er wünschte, es gäbe solche Veranstaltungen in ganz Europa, um seine Leidenschaft und seine Schätze zu feiern.
Fotocredit © Miriam Mayer
Wilhelm Schmid gibt sich britisch zurückhaltend als CEO, zumal er nicht vor Ort ist: „Als deutsche Marke schauen wir uns das sehr genau an. Bisher waren alle Versuche hierzulande nicht von Erfolg gekrönt. Aber es wurde im Vorfeld wirklich alles getan, um den Concours am Tegernsee zum Erfolg werden zu lassen.“
Tegernsee 2025? Yes please!
Wenn nächstes Jahr die Flieger gehen und niemand krank wird, steht einem zweiten Concours of Elegance an diesem Standort jedenfalls von unserer Seite nichts entgegen. Gerade die extrem professionelle Abwicklung gepaart mit der britischen Lässigkeit haben beeindruckt. Wer jetzt spontan noch Lust hat, das Vorbild kennenzulernen: Die diesjährige Veranstaltung in Großbritannien findet vom 30. August bis zum 1. September statt. Durch den Hof Heinrichs des VIII von England zu flanieren, sollte man einmal im Leben gemacht haben, vor allem wenn er zum teuersten Parkplatz Europas umfunktioniert wird.
Fotocredit © Tim Scout Fluid
Fotocredit © Miriam Mayer
Eine Concours-Edition von A. Lange & Söhne?
Und wer bei vier Concours-Veranstaltungen (Villa D’Este in Italien, Hampton Court in England, Audrain Newport in den USA und nun am Tegernsee in Deutschland), auf denen Lange sich nun mit dem Automobil verbindet, denkt: Wäre es nicht Zeit für eine Concours-Edition von Lange & Söhne, der irrt: Laut Wilhelm Schmid wird es bei wenigen, ganz besonderen Uhren bleiben: „Bei der Villa d’Este ist die Uhr für den Best of Show eine Tradition. Eine, die wir nicht am Tegernsee oder woanders einführen werden.” Natürlich werde man durchaus mal wieder Einzelstücke produzieren, die man dann für einen guten Zweck versteigert. Recht hat er, wenn man sich die vielen erfolglosen Versuche anderer Marken ansieht, sich direkt mit Automarken einzulassen. Dinge, die Automobilsammler oft nicht im Ansatz interessieren.
Warum A. Lange & Söhne so gut zu diesen Automobilen passt
Nicht so bei den Modellen von A. Lange & Söhne, die man an vielen Armen während der zwei Tage am Tegernsee erspähen kann – darunter vor allem die legendäre Lange 1, die dieses Jahr ihr großes, 30-jähriges Jubiläum am 25. Oktober begeht. Warum das so ist? Vielleicht weil A. Lange & Söhne und die Autosammler nicht so sehr diese Veranstaltung verbindet, sondern die Begeisterung für ästhetische und mechanische Exzellenz. Das muss und will man bei A. Lange & Söhne auch nicht ändern. Wilhelm Schmid sagt zum Schluss: “Wir ordnen unser komplettes Handeln einem Prinzip unter: Die Art, wie wir Uhren konzipieren, entwickeln und bauen, das wollen wir erhalten. Alles andere kann und muss man manchmal sogar verändern, damit wir das Vorhergesagte eben nie ändern müssen.”
Auch Top-Uhrensammler kommen an den Tegernsee
Der Blick geht über das Tegernseer Tal und ich steige zum Abschied noch mal in ein Ausnahme-Automobil: Den 1953 produzierten Ferrari 166 MM eines Auto- und- Uhren begeisterten Sammlers. Ein Auto, das eine eigene Geschichte wert wäre. Am Arm des Sammlers: eine Off-Catalogue Patek Philippe Nautilus. Auch das ist eine andere Geschichte. Aber das Auftauchen von Uhr und Auto beweisen: Die Premiere ist geglückt, die Zielgruppe am Tegernsee passt.