Als Axel Leuenberger und seine drei Mitstreiter 2017 Vanguart Watches ins Leben riefen, hatten sie ein ambitioniertes Ziel: Sie wollten Uhren schaffen, die „mehr als nur Produkte“ sind. Leuenberger, CEO von Vanguart Watches, beschreibt seine Rolle im Unternehmen mit bemerkenswerter Gelassenheit: „Ich springe zwischen verschiedenen Aufgaben hin und her und versuche, alles zusammenzuhalten“, erklärt er uns im Gespräch.
Axel Leuenberger, Co-Founder und CEO von Vanguart
Die kreativen Impulse kommen dabei von Jérémy Freléchox, dem technischen Leiter, der nicht nur die technischen Aspekte der Uhrwerke verantwortet, sondern auch für die ersten Ideen hinter jedem Modell zuständig ist. Leuenberger und Freléchox verbindet eine gemeinsame Vergangenheit bei Audemars Piguet Renaud Papi: Während Leuenberger dort als Konstrukteur in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung tätig war und direkt Giulio Papi assistierte, leitete Freléchox prestigeträchtige Projekte zur Entwicklung neuer Uhrwerke.
Jérémy Freléchox, Co-Founder und CTO von Vanguart
Für das Design ist bei Vanguart Thierry Fischer verantwortlich, der als Kreativdirektor eine futuristisch geprägte Vision verfolgt – ein Ansatz, der sich deutlich in den Kreationen des jungen Unternehmens widerspiegelt. Ergänzt wird das Team durch Mehmet Koruturk, den Vorsitzenden des Unternehmens, der sich primär um Marketing und Vertrieb kümmert.
Thierry Fischer, Co-Founder und Kreativdirektor von Vanguart
Zwei Kollektionen, streng limitierte Zeitmesser
Als wir uns mit Axel Leuenberger zum Interview treffen, trägt er eine der unverwechselbaren Uhren der Marke am Handgelenk: die „Orb“ aus Titan. Doch Vanguart-Uhren erkennt man nicht nur am Design, sondern auch an der überschaubaren Kollektion. Mit nur zwei Linien gehört das Portfolio von Vanguart zu den kleinsten und fokussiertesten im Bereich der unabhängigen Uhrmacherei. Die erste Kollektion, die „Blackhole“, wurde 2021 vorgestellt und umfasst drei Modelle, jeweils auf acht Stück limitiert. Die zweite Linie, schlicht „Orb“ genannt, wurde Anfang dieses Jahres eingeführt und enthält bisher zwei Modelle, die jedoch ohne Limitierung produziert werden.
Bereits in den ersten Jahren ihres Bestehens zeigt sich Vanguart als Vorreiter für vertikale Integration: Fast alle Produktionsschritte, einschließlich der aufwendigen Veredelung der komplexen Titan-Komponenten, werden intern durchgeführt. Weniger anspruchsvolle Finishing-Arbeiten werden allerdings aufgrund der begrenzten Kapazitäten ausgelagert, sodass sich das Team auf die herausfordernden Komponenten konzentrieren kann.
Ernad Turkanovic – Master Finisher bei Vanguart
Einer der führenden Master Finishers mit über 20 Jahren Erfahrung.
Das Unternehmen wächst stetig und plant, bis 2025 ein Team von 15 Mitarbeitern aufzubauen. Dazu sollen zwei Designer, drei technische Experten, zwei Finisher, drei Uhrmacher und zwei Meister-Finisher gehören – ein klares Bekenntnis zu Handwerkskunst und Innovation. Das übergeordnete Ziel von Vanguart ist es jedoch, mit seinen hochkomplexen Uhren „neue technische und sinnliche Wege zu schaffen, Zeit zu erleben“. Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die außergewöhnlichen Zeitmesser dieser jungen Marke.
Die Vanguart „Blackhole“
Die Kollektion „Blackhole“ richtet sich an Liebhaber futuristischer Designs – und das nicht zuletzt wegen ihres bemerkenswert fließenden und eleganten Erscheinungsbildes. Während die meisten mechanischen Schweizer Uhren ihre Schrauben und Stifte sichtbar lassen – bei manchen ikonischen Modellen wird dies sogar bewusst in das Design integriert – beeindruckt die „Blackhole“ durch nahtlose Formen, die trotz ihrer komplexen Gehäusekonstruktion elegant über das Handgelenk gleiten. Mit geschwungenen Linien und raffinierten Formen erschafft die Uhr eine einzigartige Ästhetik.
Vanguart Black Hole Tourbillon
Erhältlich in Weiß- oder Roségold sowie in Titan, bestechen die mikrogestrahlten Exoskelett-Gehäuse mit polierten Kanten durch eine fast unwirklich anmutende Glätte. Das Team von Vanguart testete über 100 verschiedene Formen, bevor es sich auf das finale Design einigte. Die 43 mm (diagonal gemessen) großen Uhren werden mit flexiblen, schnell wechselbaren Armbändern aus Kautschuk oder Leder in Anthrazit, Weiß oder Mintgrün kombiniert.
Ein fliegendes Tourbillon
Das Zifferblatt erzählt hingegen eine ganz andere Geschichte. Im Zentrum der „Blackhole“ befindet sich ein fliegendes Tourbillon, das vollständig in-house von Vanguart gefertigt wurde – keine Selbstverständlichkeit für die erste Uhr einer Uhrenmarke. Während herkömmliche Tourbillon-Uhren den Mechanismus meist bei 6 Uhr platzieren und die Stunden und Minuten in der Mitte anzeigen, bricht die „Blackhole“ mit den Normen der Uhrmacherei, indem sie das fliegende Tourbillon in der Mitte des strudelartigen Zifferblatts platziert. Im Übrigen besteht das Tourbillon aus 88 Teilen und wiegt dabei nur 0,225 Gramm.
Automaten-Zifferblatt
Die Anzeige von Stunden und Minuten erfolgt über ein dreistufiges „Automaten“-Zifferblatt, das eine lineare Zeitanzeige bietet und Gravitationswellen sowie die Krümmung des Raum-Zeit-Kontinuums nachahmen soll. Diese Automaten-Technik ist eine besondere Leidenschaft von Kreativdirektor Thierry Fischer, der seine Expertise auf diesem Gebiet eindrucksvoll unter Beweis stellt. Die Scheiben zeigen vom äußeren Rand zur Mitte hin die Stunden, Zehntelminuten und Minuten an. Sie drehen sich je nach Uhrzeit entweder im Uhrzeigersinn oder entgegen und erzeugen dabei ein dynamisches, faszinierendes Schauspiel. Die halb-instantane Bewegung der Scheiben benötigt lediglich 200 bis 500 Millisekunden.
Eine neuartige Methode zum Ablesen und Einstellen der Uhrzeit
Die handbemalten Stunden-, Minuten- und Halbstundenmarkierungen erscheinen auf einem gut lesbaren konzentrischen Zifferblatt, das je nach Modell in Anthrazit-PVD (Titan-Version) oder Silber-PVD (Edelmetall-Versionen) gestaltet ist. Die Uhrzeit kann vom Träger mit Hilfe eines hochpräzisen joystickähnlichen Einstellmechanismus eingestellt werden, der sich mit einer einfachen Drehung vor- und zurückbewegt und so intuitive Korrekturen ermöglicht. Auf der gegenüberliegenden Seite des Zeitmessers balanciert Vanguart das Gehäuse mit einer Gangreserveanzeige aus, die dem Träger solide 42 Stunden Laufzeit signalisiert. Bei 4 Uhr befindet sich schließlich eine Anzeige für den „umgekehrten Lauf des Countdowns“. Wenn man den „Joystick“ zum Einstellen der Zeit auf der Vanguart Black Hole Tourbillon verwendet, werden kleine Fenster rot dargestellt, um die Laufrichtung der Zeit zu kennzeichnen. Man kann mit dem „Joystick“ auch einen Countdown-Timer einstellen, bei dem sich die Anzeige rückwärts dreht, bis sie Null erreicht.
Kaliber T-1701
Das Herzstück der Uhr ist das hochkomplexe Kaliber T-1701, das aus über 750 Einzelteilen besteht, darunter zwei Federhäuser und Zahnräder. Während eines dieser Federhäuser als regulierendes Organ dient, ist das andere für die Automaten-Anzeige verantwortlich. Das Uhrwerk, dessen Entwicklung zwei Jahre in Anspruch nahm, wurde in mühevoller Handarbeit verziert und weist sowohl traditionelle als auch moderne Schweizer Veredelungen auf, darunter Mikrostrahlung, Satinierung, Schwarzpolitur und handgeschliffene Komponenten. Die Platine und Brücken bestehen aus Titan Grad 5 und verleihen dem Werk eine zeitgemäße Optik. All dies ist durch den offenen Gehäuseboden sichtbar.
Doch hier liegt der Clou: Von den drei verfügbaren Varianten wurden jeweils nur acht Exemplare gefertigt. Das verdeutlicht, wie begrenzt die Produktion in der Manufaktur derzeit ist, auch wenn wir hoffen können, dass die Stückzahlen in naher Zukunft langsam aber sicher ansteigen werden. Besonders beeindruckend war bereits die Sonderedition „Blackhole Tourbillon Yas Special Edition“. Dieses Einzelstück, das den Beitrag der islamischen Kultur zu Wissenschaft und Kunst ehrt, verfügt über ein handgraviertes „Automaten“-Zifferblatt, das über 150 Stunden Arbeitszeit erforderte.
Die regulären, streng limitierten „Blackhole“-Modelle bewegen sich preislich zwischen 320.000 Schweizer Franken für die Titan-Version und 350.000 Franken für die Gold-Varianten. Werfen wir nun einen Blick auf die zweite Kollektion von Vanguart, die im Gegensatz zur „Blackhole“ nicht explizit limitiert ist.
Die Vanguart „Orb“
Mit der Einführung der „Orb“ im Jahr 2024 setzt Vanguart seine Mission fort, „neue technische und emotionale Wege im Umgang mit der Zeit“ zu erschließen. Als zweite Kreation des Hauses vereint diese außergewöhnliche Uhr mechanische Handwerkskunst mit einem futuristischen, von Science-Fiction inspirierten Design, bei dem Funktionalität und unverwechselbarer Stil gleichermaßen im Mittelpunkt stehen.
Eine harmonische Form, die Relikte der Vergangenheit und Visionen der Zukunft heraufbeschwört.
Kreativdirektor Thierry Fischer über die Orb
Symmetrie, Balance und Tiefe im Design
Das Design der Vanguart „Orb“ legt besonderen Wert auf Symmetrie, Balance und Tiefe. Mit einer Gehäusehöhe von lediglich 10,5 mm weicht die Uhr von der klassischen Anordnung ab, bei der das Zifferblatt oben und das Uhrwerk darunter liegt. Stattdessen ist das gesamte Design – von der soliden Lünette über die Zeiger bis hin zum Uhrwerk – nahtlos in die Architektur der Uhr integriert. Dieser mehrschichtige Ansatz ermöglicht es dem Träger, vollständig in die Uhrmacherei einzutauchen, fast so, als würde er eine Virtual-Reality-Brille tragen und eine Tour durch die gesamte uhrmacherische Kreation machen. Ein durchbrochenes Uhrwerk und ein offen gestaltetes Zifferblatt ermöglichen dem Träger den bestmöglichen Einblick.
Vanguart Orb Flying Tourbillon
Das Gehäuse, das wahlweise in einer seltenen Kombination aus Roségold und Titan oder vollständig in Titan erhältlich ist, spiegelt mit seinen mikro- und sandgestrahlten Oberflächen sowie polierten Kanten die Tiefe des Zifferblatts wider. Wie bei der „Blackhole“ stören weder Schrauben noch andere Komponenten das Erscheinungsbild des schlanken, modernen 41-mm-Modells, das dennoch bis 30 m wasserdicht ist.
Einzigartiges Design: Ein fliegendes Tourbillon nimmt den Platz im Hintergrund ein
Auch die „Orb“ ist mit einem fliegenden Tourbillon ausgestattet, doch in diesem Modell nimmt die Vorrichtung eine eher dezente Rolle ein. Stattdessen setzt Vanguart neue technische Maßstäbe, indem bei 12 Uhr eine innovative, diamantbesetzte Schwungmasse integriert wurde, die es dem Träger ermöglicht zwischen automatischem und manuellem Aufzug zu wechseln. Wird die Uhr über die Krone von manuell auf automatisch umgestellt, erwacht die 2-mm-Schwungmasse zum Leben und beginnt sich scheinbar schwerelos um ihre Achse zu drehen. Im manuellen Modus wird sie hingegen fixiert. Diese einzigartige Innovation ist nicht nur ein technisches Highlight, sondern auch ein visuelles Schauspiel.
Trotz der Komplexität bleibt das Design der „Orb“ klar und übersichtlich. Skelettierte Stunden- und Minutenzeiger sowie mit Super-LumiNova gefüllte Stundenmarkierungen sorgen für optimale Ablesbarkeit. Diese befinden sich vor einem abgeschrägten, PVD-beschichteten Titan-Lünettenring, der die optische Tiefe der Uhr zusätzlich betont. Das Federhaus kann schließlich bei 12 Uhr über das Zifferblatt bewundert werden und befindet sich unterhalb der Anzeige für die Einstellung des Aufzugs.
Mehr Gangreserve, weniger Komponenten
Im Inneren der „Orb“ arbeitet ein offen gestaltetes Uhrwerk aus Titan Grad 5, das mit einer mikrogestrahlten Oberfläche, handpolierten Kanten und satinierten Veredelungen verziert wurde. Das Werk, das mit einer Frequenz von 3 Hz arbeitet, bietet eine beeindruckende Gangreserve von 60 Stunden. Das Uhrwerk ist schlanker als das bereits erwähnte Kaliber T-1701 und besteht aus 395 hochglanzpolierten Komponenten.
Klare Eleganz und einfache Handhabung
Trotz der beeindruckenden Mechanik bleibt die „Orb“ subtil und funktional. Dies ist nicht zuletzt dem aufgeräumten Design und der integrierten Anzeige in der Krone zu verdanken. Die nahezu bandanstoßlosen Modelle werden mit einem integrierten weißen oder schwarzen Kautschukarmband geliefert, das dank eines Schnellwechselsystems auch durch Lederarmbänder in denselben Farben ersetzt werden kann. Zwei Knöpfe auf der Gehäuserückseite ermöglichen den Wechsel der Armbänder ohne Werkzeuge, während massive Dornschließen für sicheren Halt sorgen.
Die Preise für die „Orb“ beginnen bei 150.000 CHF für das Titanmodell und liegen bei 180.000 CHF für die Variante aus Edelmetall.
Vanguart – Das Fazit
Obwohl wir uns bei Swisswatches nicht häufig auf vergleichsweise junge Marken konzentrieren, haben wir stets ein besonderes Interesse an ihnen. Vanguart gehört definitiv zu den Marken, die man im Auge behalten sollte. Eine Meinung, die wir ebenfalls schon lange vertreten, lautet: Ein Teil des Sammlerdaseins besteht darin, eine Art „fundiertes Wagnis“ einzugehen – eine junge Marke oder ein spezifisches neues Uhrenmodell mit vielversprechendem Potenzial zu identifizieren und auf diese Vision zu vertrauen.
Natürlich sind die Modelle von Vanguart nicht für jeden Sammler geeignet. Trotz ihrer enorm innovativen, mechanischen Schweizer Uhrmacherkunst sind die bisher vorgestellten Zeitmesser weit entfernt von den klassischen Luxusuhren. Vielmehr sind diese Grenzen überschreitenden Kreationen, die unerwartete uhrmacherische Elemente kombinieren, für Menschen gedacht, die zukunftsorientiert denken und bereit sind, die traditionellen Vorstellungen von „Luxus“ zu hinterfragen.
Luxusmarken wie Greubel Forsey und MB&F haben den Weg für futuristische Zeitmesser geebnet – warum sollte Vanguart nicht in ihre Fußstapfen treten? Obwohl noch neu am Markt, zeigt die unabhängige Uhrenmarke keinerlei Scheu davor, mit starken und einfallsreichen Designs aufzutreten, die darauf abzielen, eine neue Ära der Uhrmacherkunst einzuläuten. Wie es so schön heißt: „Das Glück ist mit den Mutigen.“
Photos by alexteuscher.com