Jeder, der etwas in der Uhrenwelt bewandert ist, wird beim Attribut tough für die Uhren von Richard Mille sicher mitgehen. Man denke nur an die RM 027-Modelle, welche den Aufschlaggeschwindigkeiten von über 200 km/h von Tennis-Superstar Rafael Nadal trotzt. Aber simpel? Was soll das mit den extravaganten Uhren der Schweizer Marke zu tun haben? Ist die superexklusive Marke doch bekannt für ihre Tourbillon-Vorliebe, technischen Innovationen, avantgardistischen Designs und die Verwendung von Hightech-Materialien wie Titan, Keramik, Aluminium, Vanadium, Elektroplasma-Legierungen, farbiges Saphirglas, und Karbonfasern. Einfach klingt das nicht.

Komplexe Technik und Materialität bedingen aber nicht zwangsläufig eine komplizierte Bedienung mit Samthandschuhen. Genau das Gegenteil kann der Fall sein, wie Richard Mille beweist.

Denn dem Unternehmen mit Hauptsitz in Paris geht es bei all den teils verrückt erscheinenden Zeitmessern um die Schaffung eines intuitiv händelbaren Mehrwerts, der den Herausforderungen seiner Trägerinnen und Träger jederzeit gewachsen ist. Dank cleverer und durchdachter Konstruktionen gelingt dies eindrucksvoll.

Und auch, wenn es im ersten Moment verwundert: Richard Mille folgt auf ganz eigene Weise dem Prinzip „Form follows Function“: „The concept defines the components, the components do not define the watch.“

Extravaganz trifft Praxistauglichkeit

Ich gestehe: In Sachen Richard Mille bin ich eine Spätzünderin und habe die Marke bislang eher etwas argwöhnisch aus den Augenwinkeln beobachtet. Bis zu dem Tag, als ich die Uhren erstmals in die Hand nehmen und anlegen durfte. Keith Millar, Head of Watchmaking bei Richard Mille EMEA, erläuterte mir die Besonderheiten der einzelnen Modelle und der technischen Details. Mit Stolz und viel Funkeln in den Augen. Wäre da nicht der Haken mit dem Preis, dann hätte ich mir in dem Moment mit Sicherheit eine Richard Mille gekauft.

Richard Mille – eine Marke, die polarisiert

Für manche ist es die Protzuhr der Superreichen, für andere das Statussymbol von Stars und Sternchen, die Extravagante unter den Sportuhren oder der ultrarobuste Zeitschreiber für die Handgelenke der Top-Athleten. Und für viele ist es sicher einfach nur eine echt teure Uhr.

An jedem dieser Vorurteile ist etwas dran. Ein schöner Side-Fact ist, dass sich auch die Status-Suchenden und Superreichen ihre Uhr höchstpersönlich in einer der wenigen physischen Verkaufsstellen der Marke – rund 40 weltweit, davon eine in Deutschland – abholen müssen. Scheich hin oder her …

Und dann gilt es, durchschnittlich 250.000 CHF auf den Verkaufstresen zu legen. Bei einer geschätzten Produktionsmenge – offizielle Zahlen gibt es nicht – von rund 5.500 Uhren jährlich ergibt dies einen Jahresumsatz von etwa 1,4 Milliarden CHF. Damit spielt die vergleichsweise junge Schweizer Marken bereits ganz oben in der Liga der Top-Luxus-Uhrenmarken mit.

Viel Prestige und viel Expertise

Den meisten Trägern einer Richard Mille geht es aber bei weitem nicht nur um Prestige und das Vorzeigen des eigenen materiellen Wohlstandes. Denn ein genauerer Blick auf die Uhren offenbart schnell deren innovativen, technischen und materiellen Reize, die wahre Uhrenkenner zu schätzen wissen. Und genau diese bezeichnen Richard Mille gerne als Manufaktur, was aber nicht ganz der Realität entspricht. Obwohl man eine respektable Fertigungstiefe von 80 Prozent vorweisen kann.

So werden unter anderem die verwendeten Werke von Guenat SA Montres Valgine (GMV) in Les Breuleux entwickelt und hergestellt. Das Unternehmen, welches auch für den Vertrieb zuständig ist, besteht seit über drei Generationen und ist seit über 110 Jahren im Kanton Jura ansässig. 1986 wurde das Unternehmen in Familienbesitz an Dominique Guenat übergeben, der 1999 gemeinsam mit dem Namensgeber die Marke Richard Mille schuf. Die Verbindung ist also immens eng.

Dennoch versteht sich Richard Mille selbst nicht als 100-Prozent-Manufaktur, da dazu die Inhouse-Fertigung aller Teile von A bis Z gehören würde, so die Auffassung der Marke. Folgt man dieser strengen Definition, dann gibt es sicher weitaus weniger Uhrenmanufakturen, als gemeinhin kommuniziert wird.

So viel ungefragte Selbsterkenntnis findet man selten in der Uhrenindustrie, wo man mit dem nicht geschützten Begriff Manufaktur recht großzügig umgeht.

Komplexe Konstruktionen – einfache Bedienung

Ein rein ästhetischer Ansatz kommt für Richard Mille nicht infrage. Jede Schraube, jedes Rädchen, jede Feder und jeder Hebel müssen eine klar zugewiesene Aufgabe nach höchsten Standards erfüllen. Komplexe Technik allein um der Technik willen findet man bei Richard-Mille-Uhren nicht. Dafür aber Konstrukte, von denen man oftmals gar nicht wusste, dass sie für den Einsatz im Alltag überaus nützlich und hilfreich sind.

Mich beeindrucken genau diese Raffinessen und Innovationen, welche dank diffiziler Konzepte einen alltagstauglichen Mehrwert für Trägerin und Träger schaffen. Einige dieser ausgeklügelten Konstruktionen möchte ich Ihnen hier vorstellen.

Kein Ziehen und Drücken der Krone dank Funktionswähler

Einige Modelle von Richard Mille sind mit einem Funktionswähler ausgestattet. Ähnlich wie bei einem Autogetriebe ermöglicht ein Drücker die Auswahl zwischen Aufzugs-, Neutral- und Zeigerstellungsfunktion. Ein Zeiger verweist auf den gewählten Modus: W (Winding/Aufzug), N (Neutral/Leerlauf) und H (Hands/Zeigerstellung), welcher dann durch einfaches Drehen der Krone ausgeführt wird. Dadurch werden die verschiedenen Kronenstellungen überflüssig.

Das schont die Fingernägel, die Nerven – da man immer den gewählten Modus sieht – und nicht zuletzt die Aufzugswelle. Auch kann man nicht mehr vergessen, die Krone wieder hereinzudrücken oder zu verschrauben, was zu Wasserschäden führen kann.

Selbstbestimmte Aufzugsgeschwindigkeit dank Schmetterlings-Rotor

Der von Richard Mille patentierte Schmetterlingsrotor ist zweigeteilt und kann durch einen Drücker in den sogenannten Sportmodus versetzt werden.

Dadurch wird die Rotorgeometrie verändert, indem beide Rotorteile um 180 Grad gespreizt werden, wodurch der Schwerpunkt in die Mitte verlagert und die Aufzugsleistung reduziert wird. Auf diese Weise wird eine Beschädigung des Aufzugssystems durch Überlastung infolge heftiger Armbewegungen bei Sportarten wie Tennis oder Golf verhindert. Ob der Sportmodus aktiviert ist, lässt sich auf dem Zifferblatt bei 6 Uhr ablesen.

Variable Geometrie für einen variablen Aufzug

Auch Richard Milles Rotor mit variabler Geometrie dient der Anpassung des Aufzugs an das Aktivitätsniveau des Trägers.

Hierfür befinden sich auf jeder Seite des Rotors sechs Vertiefungen, mittels derer die sogenannten Rippen eingestellt und so die Trägheit des Rotors verändert werden kann. Dies beschleunigt entweder den Aufzugsvorgang bei minimalen Arm- oder Handbewegungen oder verlangsamt ihn bei bewegungsintensiven Sportarten.

Keine Überspannung dank auskuppelbarem Rotor

Diese Mechanik stoppt den Aufzug automatisch beziehungsweise trennt den Rotor vom Aufzugssystem, sobald die maximale Gangreserve aufgebaut ist. So wird eine Überspannung des Federhauses vermieden und die Genauigkeit erhöht.

Zusätzlich ist dieser Mechanismus mit der Gangreserveanzeige verbunden, optimiert die Aufzugskontrolle und bewahrt ein konstantes Drehmoment/konstante Leistung, um bestmögliche Gangergebnisse zu gewährleisten. Vier Jahre haben die Konstrukteure von Richard Mille für die Entwicklung des auskuppelbaren Rotors benötigt.

Rechenschieber für Piloten dank E6-b-Lünette

Der E6-b ist ein analoger Navigationsrechner für die Luftfahrt, auch bekannt als „Drehmeier“. Trotz moderner Alternativen wird er weiterhin in der Flugausbildung genutzt. Er ermöglicht es Piloten, während des Fluges verschiedene Berechnungen durchzuführen, wie zum Beispiel Treibstoffverbrauch, Flugzeit und Geschwindigkeit.

Bei Richard Mille übernimmt diese Funktion eine beidseitig drehbare Lünette und ein innerer Ring mit Skalen, sodass verschiedene Berechnungen direkt auf der Uhr durchgeführt werden können.

Trägheitsgewicht für die G-Kräfte-Anzeige

Die Ingenieure von Richard Mille führten mehrere Studien durch, um den G-Sensor zur Messung von Beschleunigungskräften zu entwickeln, denen die Uhr während sportlicher Aktivitäten oder beim Motorsport ausgesetzt ist.

Das Prinzip basiert auf einem auf zwei Schienen geführten Trägheitsgewicht. Das Uhrwerk nutzt die gemessenen Werte, um die Gangreserve, die Amplitude der Unruh und andere Parameter anzupassen, die die Genauigkeit der Uhr beeinflussen, sodass sie auch unter extremen Bedingungen präzise läuft.

Keine Fehlbedienung dank Verriegelungskrone

Die von Richard Mille patentierte Verriegelungskrone schützt die Chronographen-Drücker und die Krone selbst vor unbeabsichtigter Bedienung. Dies ist besonders unter Wasser oder bei starken Erschütterungen wichtig. Die Krone besteht aus einem Ring um die Krone. Durch Drehen können Drücker und Krone verriegelt werden. Ein grüner beziehungsweise roter Pfeil zeigt an, ob der Mechanismus aktiviert ist.

Rotierende Schwungmasse für diskreten Alarm

Der Vibrationsalarm von Richard Mille wird durch ein spezielles Weißgoldelement im Uhrwerk erzeugt. Die Frequenz dieser Vibration ist auf 5.400 Schwingungen pro Minute eingestellt, um eine spürbare, aber nicht störende Wirkung auf das Uhrwerk zu gewährleisten.

Die Alarmfunktion wird über einen Drücker aktiviert und kann minutengenau über 24 Stunden eingestellt werden, wobei die maximale Vibrationsdauer zwölf Sekunden beträgt. Fünf Jahre Forschungszeit bedurfte es für diese praktische Innovation.

Richard Mille – das Ergebnis einer Freundschaft

Hinter dieser innovativen Kraft steckt gebündelte Kompetenz und Expertise. Namensgeber Richard Mille machte nach seinem Marketingstudium in der französischen Uhrenstadt Besançon schnell Karriere in der Uhren- und Schmuckbranche.

Im Jahr 1988 kam es dann zu einer wegweisenden Begegnung mit Dominique Guenat vom Familienunternehmen Montres Valgine. Ihre Verbindung ging über das Geschäftliche hinaus. Durch die gemeinsame Begeisterung für Automobile, Luftfahrt und Maschinen aller Art entstand eine enge Freundschaft.

Und so kam es, dass Dominique Guenat, welcher 1991 den Posten des CEO bei Montres Valgine übernommen hatte, Richard Mille zur Seite stand, als dieser die Uhr seiner Träume verwirklichen wollte: Sie gründeten 1999 ihre eigene Marke mit dem Ziel, die Grenzen der bisherigen Uhrmacherei technisch und optisch zu überschreiten, ohne die große Tradition der Schweizer Haute Horlogerie zu ignorieren.

Auf die Spitze getrieben: Das Beste aus zwei Welten

„Die Marke steht mit einem Bein im 19. Jahrhundert, da sie der großen Schweizer Uhrmachertradition hochkomplexer, von Hand montierter und gefertigter Uhrwerke treu bleibt. Mit dem anderen Bein ist sie jedoch fest im 21. Jahrhundert verwurzelt“, erläutert Dominique Guenat.

Als Einstieg in die Welt der Uhrenhersteller hatte man nichts Geringeres als die Spitze des Luxus-Uhrenmarktes gewählt. Bis heute hat man diese Position nicht wieder aufgegeben und sich dort in nur wenigen Jahren als geschätztes Enfant Terrible etabliert.

Gleich die erste Uhr, welche 2001 erschien, legte die Messlatte hoch. Denn man trat mit ihr alles andere als bescheiden und zurückhaltend auf – in jeglicher Hinsicht. Stattdessen machte die RM 001 Tourbillon unmissverständlich deutlich, womit man es bei der Marke Richard Mille zu tun hatte: technisch ebenso wie in puncto Design und Preis. Unterstützung kam damals übrigens von dem Uhrwerkespezialisten Renaud et Papi, eine Tochtergesellschaft von Audemars Piguet. Die Marke hält bis heute einen Minderheitsanteil von zehn Prozent an Richard Mille.

Richard Mille startet mit einem Knall – und bleibt laut

Die RM 001 ist das Fundament der Marke, auf dem bis heute viele Designs beruhen. Die Kombination aus einem gewölbten Tonneau-Gehäuse, einem Zifferblatt mit 3-D-Effekt und einem Kaliber, das auf der Vorder- und Rückseite sichtbar ist, war für die damalige Zeit ein gewagtes Unterfangen.

Zudem begnügte man sich nicht mit einem Dreizeiger-Modell oder Chronographen. Nein, die Nummer 1 war ein Tourbillon – 2001 die ultimative Komplikation. Und auch der Preispunkt dieses auf 17 Exemplare limitierten Neulings in der Uhrenwelt – mit 145.000 € das teuerste Tourbillon seiner Zeit – ließ die ersten Betrachter auf der Baselworld 2001 ungläubig staunen.

Große Augen gab es auch, als man die Uhr zur Demonstration ihrer Robustheit vor den Augen der Weltpresse ungeniert auf den Boden der Messhalle schleuderte. So viel Chuzpe musste man sich in der vor gut 20 Jahren noch sehr konservativen Uhrenwelt erst einmal getrauen. Und so reichten die Reaktionen von Entsetzen bis Begeisterung.

Was blieb, ist die Furchtlosigkeit vorm Schockieren im positiven Sinn, welche mittlerweile in über 130 Modellen ihren Niederschlag gefunden hat. Und zahlreiche Liebhaber.

Diese bilden ein illustres Völkchen: von betuchten und echten Uhren-Nerds über extrovertierte Neureiche bis hin zu Superstars aus der Welt des Sports und der Kultur wie Rafael Nadal, Bubba Watson, Shelly-Ann Fraser-Pryce, John Malkovich, Pharrell Williams und Jessica von Bredow-Werndl.

Richard Mille: Die neue Generation

Die beiden Gründer Richard Mille und Dominique Guenat haben mittlerweile den Staffelstab an die nächste Generation weitergereicht. Amanda Mille ist Brand- und Partnership-Direktorin und ihr Bruder Alexandre Mille ist kaufmännischer Direktor. Cécile Guenat ist verantwortlich für den Kreativ- und Entwicklungsbereich, während Maxime Guenat als Generaldirektor der Manufaktur Montres Valgine fungiert. Das Quartett setzt auf Kontinuität in der Welt der Ultra-Luxusuhren, die simpel und tough zugleich sind. Und genau damit völlig anders als die übrigen Zeitmesser ihrer Preisklasse sind.

Alle Bilder: Mit freundlicher Genehmigung von Richard Mille


richardmille.com

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