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Omega-Abenteurer Victor Lance Vescovo: Der Mann, der aus der Tiefe kam

Omega-Abenteurer Victor Lance Vescovo: Der Mann, der aus der Tiefe kam

Victor Lance Vescovo ist in vielerlei Hinsicht ein besonderer Mensch. Auf Mykonos zum 75-jährigen Jubiläum der Omega Seamaster trifft Swisswatches diesen Hühnen von einem Mann, gertenschlank und mit seinem schlohweißen Bart und langen weißen Haaren, die nur von einem Haargummi gehalten werden wirkt er wie eine Mischung aus Moses, der vom Berg gestiegen kommt und einem Althippie. Einen echten Abenteurer stellt man sich anders vor. Und doch ist er genau das. Und ein ganz außergewöhnlicher noch dazu. Das er eher zufällig zum Omega-Botschafter wurde und zu mehreren Uhrenweltrekorden der Schweizer Manufaktur maßgeblich beitrug, macht ihn dabei nicht weniger sympathisch. 

Wer ist Victor Vescovo?

Zunächst einmal diente er 20 Jahre in der amerikanischen Marine und ging als Commander (in Deutschland entspricht das einem Fregattenkapitän) in den Ruhestand. Allerdings wäre Ruhestand leicht untertrieben: Er ist er einer von nur insgesamt 73 Menschen, die den sogenannten Explorers Grand Slam geschafft haben. Auch wenn ich vorher noch nie von dieser Art Grand Slam gehört hatte, das ist mindestens so beeindruckend wie einen Tennis-Grand Slam-Titel zu gewinnen oder sagen wir eher eine World-Tour: Denn Vescovo hat den jeweils höchsten Gipfel auf jedem Kontinent der Erde bestiegen und damit natürlich auch den Mount Everest. Zugleich ist er sowohl am Nord- und am Südpool gewesen, und zwar auf Skiern (man muss sich mindestens die letzten 100 Kilometer auf Skiern bewegt haben). Aber der ehemalige Marine-Offizier und Investor ist vor allem als Tiefseeforscher bekannt geworden: 2019 erreichte Vescovo im pazifischen Ozean in seinem selbst konstruierten U-Boot „Limiting Factor“ einen neuen Tiefenweltrekord mit 10.935 Metern. In der Erforschung der Tiefsee ist er bis heute der einzige Mensch, der in 17 von geschätzt 27 der weltweiten Tiefseegräben war und entdeckte zahlreiche neue Spezies. 2022 flog er mit der Rakete „New Shepard“ des Unternehmens Blue Origins ins Weltall. 

Victor, Sie sind kein gewöhnlicher Markenbotschafter. Wie kam die Zusammenarbeit mit Omega zustande?

Ich befand mich 2016 in einem Projekt, das dahin führen sollte, den Grund aller fünf Ozeane zu erreichen, was zuvor niemand je versucht hatte. Ich arbeitete mit dem Team von Triton Submarines zusammen, die ein passendes U-Boot entwerfen und bauen können. Es sollte das erste werden, dass alle Tauchgänge zusammen absolvieren konnte, denn zuvor hat niemals ein U-Boot mehr als einmal eine solche Tiefe erreicht. Ich suchte damals wirklich eine Taucheruhr, um genau zu sein einen Chronographen, mit dem ich präzise Zeitmessungen beim Auf- und Abstieg in der Tiefe durchführen könnte. Es war schlicht eine Sicherheitsmaßnahme, dass ein analoges Zeitmessinstrument an Bord sein müsste und nicht nur elektronische, welche nicht mehr funktionieren, wenn die Elektronik ausfällt. Ich besaß keine Taucheruhr. Also ging ich in meiner Heimatstadt Dallas, Texas, in die örtliche Omega-Boutique und kaufte dort wie jeder gewöhnliche Kunde eine Omega Seamaster aus Titan, demselben Material aus dem auch das Triton U-Boot besteht. Ich erzählte ihnen, was ich vorhatte, und ich bin mir bis heute sicher, sie glaubten mir nicht wirklich. Aber sie gaben mir einen 600-Meter-Chronograph aus Titan. Das ist bis heute die Uhr, die ich auf jedem meiner Tauchgänge mitgenommen habe. Und wie sie von Seeleuten kennen, tendiert man irgendwann zu Abergläubigkeit. Aber es ist eine Tatsache, dass ich einmal sogar die Vorbereitungen für einen Tauchgang abgebrochen habe, da ich meine Omega in meiner Kabine vergessen hatte.

Im Headquarter von Omega wusste man also gar nichts von Ihren Plänen?

Nein, und dennoch denken immer wieder Menschen, Omega hätte meine Expeditionen alleine finanziert. Was einerseits falsch ist, da ich meine Expeditionen grundsätzlich selber finanziere, andererseits richtig: Der einzige Sponsor, den ich bin heute akzeptiert habe, war und ist Omega. Und zwar ganz einfach, weil ich ihre Armbanduhren mag und ihren Zugang zu Innovation und Technologien – und am Ende: Hey, die Leute sind professionell und sympathisch. Richtig ist natürlich: Sie bezahlen mich dafür, dass ich Botschafter bin, und diese Mittel flossen in den Betrieb und die Wartung des U-Bootes. Und sie haben eine ganze Menge Geld ausgegeben, um jedem Mitglied meiner Schiffsbesatzung eine Seamaster zu schenken, was eine großartige Geste war.

Wie kam es dann zu der Zusammenarbeit mit Omega und dazu, dass Sie für einige neue Tiefsee-Uhrenweltrekorde gesorgt haben?

Ich ging los und tauchte schließlich in der ersten der fünf Tiefen, im Puerto-Rico-Graben. Das war 2018, da merkten sie, dass ich es ernst meinte. Und dann bekam ich ein paar Anrufe von Omega, die sagten, oh, du machst das wirklich. Ich sagte: Ja. Ich bin in die Schweiz geflogen und habe mich mit Raynald und seinem genialen VP of Product, Gregory Kissling und einigen anderen getroffen, und sie waren ganz begeistert mir zu zeigen, wie innovativ sie waren. Sie sagten: Wir wollen eine Armbanduhr, die außerhalb der Druckkapsel bis auf den Grund des Ozeans gehen kann. Ich sagte: Wenn ihr sie baut, bringe ich sie dorthin.

Der Rest ist Uhrengeschichte. Daraus entstand die Seamaster Planet Ocean Ultradeep Professional, ein Meilenstein für Omega. Wie stellten Sie die Weltrekorde auf?

Sie bauten drei Konzeptuhren, drei Seamaster Planet Ocean Ultra Deep Professional, die außerhalb der Druckkammern in korrosivem Meerwasser und bei eiskalten Temperaturen überleben konnten und dabei einem Druck von zirka 1.000 Atmosphären (oder 16.000 psi) standhalten sollten. Aus dem gleichen Titan, das für den Bau des U-Boots verwendet wurde, haben sie in außerordentlicher Geschwindigkeit diese Uhren hergestellt, die für die volle Meerestiefe, also 10.935 Meter oder tiefer, ausgelegt sind. Zwei von ihnen befestigten wir am Roboterarm des U-Bootes, eine vorne und eine hinten und eine war an etwas befestigt, dass wir Lander nennen, ein wissenschaftliches Instrument, das eine Navigations-Beacon und Kameras enthält. Ich machte also den ersten Tauchgang in den Graben. Die Uhren überlebten problemlos und ich tauchte 12 Stunden später wieder auf.

Es hat nie Probleme mit den Uhren gegeben?

Nun, das wurde eine interessante Geschichte. Dann kam ich nach meinem zweiten Tauchgang wieder hoch, dem ersten Wiederholungstauchgang zum tiefsten Meeres-Punkt der Erde überhaupt. Aber eine Uhr befand sich am Lander, der nicht hochkam. Sie saß also auf dem Grund des Ozeans fest. Wir waren ziemlich enttäuscht, weil wir dachten, wir hätten das Landegerät und die Uhr verloren. Aber dann wurde uns klar, dass wir mit dem Tauchboot wieder hinunterfahren und nach ihr suchen könnten. Also machten wir in den nächsten Tagen einen Plan, das U-Boot hinunterzuschicken, um nach dem Lander zu suchen, dessen Batterie nun leer war. Wir konnten nicht mit ihm kommunizieren. Um es kurz zu machen, nach langer Suche fanden wir das Instrument und die Uhr. Und wir benutzten den ausgefahrenen Greifarm, um das Landegerät aus dem Schlamm zu schieben, das dann zu steigen begann. Der Lander schaffte es bis an die Oberfläche. Wir setzten ihn aufs Schiffs-Deck und siehe da, der Zeitmesser arbeitete nach zwei Tagen bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und nach 16.000 Pfund pro Quadratzoll Belastung einwandfrei. Das ist einfach extrem außergewöhnlich.

Am selben Abend schrieb ich eine Email in die Schweiz, in der ich den Erfolg bekannt gab und fragte, ob ich beim nächsten Tauchgang nochmal alle Uhren mit runternehmen sollte? Omega meinte damals: Nein, wir sind fein.

Eine der Uhren ist aber Ihre und kann eine ganz besondere Geschichte vorweisen.

Ja, Omega sagte mir: Du hast ja noch eine Uhr. Deine Uhr kannst du jederzeit mit runternehmen. Also nahm ich das gute Stück in den kommenden Jahren 11-mal von 15 Tauchgängen mit in die Challenger-Tiefe. Das ist ein absolut außergewöhnliches Stück Ingenieurskunst. Sie hält nicht nur den Weltrekord des längsten Tauchganges am tiefsten Punkt der Ozeane. Sie war und wird für immer Teil der tiefsten Meeresbergung der Geschichte sein. 

Wo befinden sich die drei Uhren heute?

Also, die beiden Uhren, die Omega hat, davon ist eine in ihrem Museum und die andere bewahren sie sicher auf, nehme ich an. Meine liegt in einem Bankschließfach in Dallas, Texas aber funktioniert immer noch perfekt. Und ich denke, das ist sinnbildlich für das Engagement von Omega, nicht nur innovativ zu sein, sondern seine Uhren so gut zu machen, dass sie nicht nur einmal, sondern immer wieder zuverlässig funktionieren, egal ob im Weltraum oder auf dem Meeresgrund.

Ihre Expeditionen haben mit mechanischen Uhren gemeinsam, dass Sie Ihre Unterseeboote ebenfalls wiederverwenden. 

Genau. Das haben wir auch mit dem Tauchboot gemacht, das um die ganze Welt bis auf den Grund des Arktischen Ozeans gekommen ist und bis wir schließlich die Five-Deeps-Expedition 2019 abgeschlossen hatten. Danach sind wir noch deutlich öfter getaucht. Wir waren bis jetzt auf dem Grund von 17 Tiefseegräben. Und es gibt weltweit, glaube ich, 26 oder 27, je nachdem, wie man sie zählt. Die letzten zehn machen mir immer noch zu schaffen. Wahrscheinlich werde ich die nächsten Jahre versuchen, sie zu finden, denn sie sind überwiegend nicht kartographiert.

Ist das nicht absurd mitten im 21. Jahrhundert, dass einige Stellen der Erde nicht mal genau kartographiert sind?

Im Moment sind sogar noch rund 25 Prozent der Ozeane völlig unerforscht. Und die Ozeane machen 70 Prozent der Oberfläche unseres Planeten aus! Wenn man also nachrechnet, ist mehr als die Hälfte unseres Planeten noch völlig unerforscht, was außergewöhnlich ist. Und einer der Gründe dafür ist, dass wir einfach keine Fahrzeuge haben, mit denen wir leicht auf den Grund des Meeres gelangen und ihn erforschen können. Und ich habe die gesamte Expedition bei der Entwicklung des Tauchfahrzeugs selbst finanziert, ich hatte keine Sponsoren aus der Wirtschaft. Ich hatte immer nur einen – und das ist Omega. Nicht, weil ich ihn wirklich brauchte, sondern weil ich ihre Werte wirklich bewundere – und ich mag ihre Uhren. 

Das Kartographieren wird Jahre dauern. Welche Herausforderungen nehmen Sie währenddessen an?

Inzwischen habe ich mein Tauchsystem an den amerikanischen Milliardär Gabe Newell verkauft, der versprochen hat, in den nächsten fünf Jahren nur noch wissenschaftliche Forschung zu betreiben, was großartig ist, denn der Betrieb des Systems ist extrem teuer. Ich gehe jetzt sozusagen zurück ins Labor, um herauszufinden, wie wir ein noch leistungsfähigeres Tauchfahrzeug für diese Meerestiefen bauen können, das zuverlässiger und möglicherweise sogar billiger ist und noch mehr gute Wissenschaft und noch bessere Kartierung leisten kann. Wir sind dabei, einige andere Expeditionen zu planen, über die ich leider nicht sprechen kann. 

Warum? Brauchen Sie keine PR?

Ganz einfach: ich mache gerne Dinge und spreche erst dann über sie, wenn sie erfolgreich waren und nicht umgekehrt. Das erhöht nämlich enorm den Druck, erfolgreich sein zu müssen. Und da das, was ich tue, nicht zu den sichersten Dingen der Welt gehört, will man diesen zusätzlichen Druck einfach nicht, um ein Ziel zu erzwingen. Ich habe immer nach der Devise gehandelt: Wenn die Konditionen nicht gut sind, das Equipment nicht funktioniert, will man einfach keinen zusätzlichen Druck von außen. Es ist auch eine Frage der Sicherheit. Wenn Leute eine wirklich große Ankündigung machen, etwas zu tun, was besonders riskant ist. Wie wirkt sich das auf die Psyche des Einzelnen und des Teams aus? Es gibt einen wirklich starken Druck, es zu tun und bis dahin die Sicherheitsbestimmungen zu umgehen. Bergsteiger erleiden das immer wieder. Oh, ich werde es bis zum Gipfel schaffen, ich werde nächstes Jahr den Everest besteigen. Nun, wenn man auf dem Berg ist, das Wetter wirklich schlecht ist und man sich nicht wohl fühlt, baut man diesen enormen Druck auf, es tatsächlich zu tun, auch wenn es nicht vollkommen sicher ist. Ich komme also eher aus einer Mentalität, in der ich einfach nur die Mission erfüllen will. Und es ist mir egal, wie lange es dauert. Ich breche eine Mission ab und versuche es an einem anderen Tag. Ich mag es also nicht, wenn die Erwartungen von Außenstehenden meine Entscheidungen beeinflussen, und ich denke, das ist ein Grund, warum ich immer noch hier bin.

Apropos Erfolgsdruck: Wie haben Sie das Unglück um das Tauchboot Titan am Wrack der Titanic erlebt? 

Der Franzose Paul-Henri Nargeolet, der bei diesem Unfall mit ums Leben kam, war der technischer Berater für unser Tauchboot. Und während der Expedition war er mein Sicherheitsbeauftragter. Wir beide haben in der Marine unserer Länder gediente und beide Schiffe kommandiert. Ich spreche Französisch, er ist Franzose. Und dann habe ich natürlich auch meinen Freund Hamish Harding verloren. Er und ich sind auf den Grund von Challenger Deep hinabgestiegen, und wir waren tatsächlich länger dort als je ein Mensch zuvor, nämlich vier Stunden und 15 Minuten. Und wir sind auch zusammen ins All geflogen. Das war einfach sehr tragisch.

Unser aufrichtiges Beileid. Was lernen Sie daraus?

Das ist eine Situation, die eintreten kann, wenn die richtigen Vorsichtsmaßnahmen und Sicherheitsprotokolle nicht befolgt werden. Es kann ein schwieriges Gleichgewicht sein, wenn man versucht, innovativ zu sein, Dinge besser und billiger zu machen. Aber manchmal sind alte Konventionen besser und sicherer. Im Fall der Titan war die Konstruktion des Tauchbootes zylindrisch und nicht kugelförmig. Und sie haben drei verschiedene Materialien in der Kapsel verwendet: Kohlefaser, Epoxidharz und Titan. Jeder Maschinenbauingenieur wird Ihnen sagen, dass sich die Materialien im Laufe der Zeit abnutzen und verändern können, wenn man sie unterschiedlichen Belastungen aussetzt. Und ein Zylinder ist nicht die stärkste Form, um Druck zu widerstehen. Eine Kugel schon. Nehmen Sie das Material Titan: Bei jedem Tauchgang, der in die Tiefe führte, wurde dieser Teil sogar noch stärker, weil das Metall quasi geschmiedet wurde. Aber bei einem Zylinder versucht der Druck, die Schwachstelle zu finden. Und bei ungleichen Materialien gab es schließlich eine und Druck ist absolut unnachgiebig. Er wird die eine Schwachstelle am Tauchfahrzeug finden und dann versuchen, hineinzukommen. Und genau das ist passiert. 

Es wurde versucht, das U-Boot zu finden, und die Leute glaubten, Geräusche zu hören.

Wenn das Schlimmste passiert und man auf dem Meeresgrund gefangen wäre, müsste man alle 30 Minuten an die Bootshülle klopfen, idealerweise im Morsecode, um den Leuten an der Oberfläche zu signalisieren, dass man noch am Leben ist. Wenn es ein zufälliges Geräusch ist, würde man es vielleicht ignorieren. Es könnte eine biologische Aktivität, ein Erdbeben oder etwas anderes sein. Aber wenn etwas genau alle 30 Minuten passiert, dann muss es menschlich sein. Das ist einer der großen Vorteile einer sehr zuverlässigen, sehr genauen mechanischen Uhr. Deshalb habe ich meine Omega Seamaster immer dabei.

Kritiker werfen Menschen wie Ihnen gerne vor, dass es reiner Nervenkitzel ist, der Sie antreibt.

Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Astronaut war, dem diese Frage gestellt wurde – und er hatte eine brillante Antwort, die lautete: Erforschung ist Neugier in Aktion. Alle Entdecker, die ich je getroffen habe, sind äußerst neugierige Menschen, fast bis zu dem Punkt, an dem wir neugieriger sind, als wir uns um unsere eigene Sicherheit sorgen. Wir wollen einfach wissen, was hinter dem Hügel ist. Was ist in dem nächsten Graben? Es ist ein Zwang. Ich wäre nicht glücklich, wenn ich nicht auf Entdeckungsreise gehen würde. Vielleicht ist es genetisch bedingt. Das Gefährlichste, was mir je passiert ist, war, dass meine Eltern mir ein Fahrrad geschenkt haben. Als ich sechs Jahre alt war. Gut, dass meine Mutter Krankenschwester war, denn ich wurde ein paar Mal verletzt.

Mit Ihren Tauchfahrten dokumentieren Sie auch den Zustand der Ozeane in ihren entlegensten Winkeln. Wie schlimm ist die Verschmutzung der Tiefsee?

Es ist eine Tatsache. Schon innerhalb der ersten 15 Minuten nach meinem ersten Tauchgang auf dem Grund von Challenger Deep entdeckte ich menschliche Einflüsse. Ich fuhr auf dem Grund herum und erkundete ihn, als ich einen sehr scharfen rechten Winkel sah. Das macht die Natur nicht. Ich steuerte das U-Boot hinüber, und da war ein kleines Stück – nennen wir es menschliche Kontamination. Wahrscheinlich war es Plastik, aber ich bin mir nicht sicher, weil ich es nicht auffangen konnte. Aber es war auf jeden Fall ein verblasster Schriftzug darauf. Es sah aus wie ein großes S. Ich habe es fotografiert und es wurde analysiert. Das war wie ein Schlag in die Magengrube. Ich möchte aber darauf hinweisen, dass die Menschen zwar oft über die sichtbare Verschmutzung besorgt sind, das eigentliche Problem aber das Mikroplastik ist. Sobald Plastik mit dem Meer in Berührung kommt, wird es durch eine Kombination aus Salzwasser und ultraviolettem Licht zersetzt. Und wenn Mikroplastik erst einmal ins Meer gelangt ist, bleibt es dort, denn es gibt keine Möglichkeit, es herauszufiltern und gelangt in die Nahrungskette. In jedem der 17 Tiefseegräben, die wir erforscht haben, haben wir Mikroplastik gefunden. Nur in etwa der Hälfte davon fanden wir sichtbare Verunreinigungen. Mikroplastik ist das wahre Problem. 

Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja, bei unseren Erkundungen konnten wir den tiefsten Oktopus, den tiefsten Fisch, den tiefsten Tintenfisch und den tiefsten Amphipoden sehen und fotografieren. Und in all diesen Fällen war der Tiefenbereich, in dem wir sie gefunden haben, tiefer, als die Wissenschaftler dachten, dass sie dort überleben können. Was großartig ist, denn das bedeutet, dass der Bereich, in dem sie leben können, viel größer ist, als wir angenommen haben. Das bedeutet, dass es mehr von ihnen gibt. Es könnte also sein, dass sogar mehr Leben in den Ozeanen existiert, als wir noch vor fünf Jahren dachten, was heisst, dass es sich um eine größere Kohlenstoffsenke handeln könnte. Wir wissen immer noch nicht genau, wie die Ozeane funktionieren, weil wir nur die ersten 1.000 oder 2.000 Meter erforscht haben, weil das alles ist, was wir erreichen konnten. Wie die Tiefsee mit der Umwelt interagiert – das versuchen wir immer noch herauszufinden, was Auswirkungen auf Klimamodelle und die Analyse der Kohlenstoffsuche haben könnte. Die Erforschung der Tiefsee ist also eine Sache, die mir sehr am Herzen liegt. Es ist etwas, das wir weiterhin tun müssen. 

Wieviele Tiefseeboote bräuchte man um die Ozeane hinreichend zu erforschen?

Derzeit gibt es auf der ganzen Welt nur zwei Tauchboote, die zum tiefsten Punkt der Meere runtergehen können: Unsere „Limiting Factor“ und die chinesische „Fendhouzhe“. Das war’s. Wie viele U-Boote können unter 6.000 Meter tauchen? Ich glaube, es gibt vielleicht fünf…das war’s dann auch schon. Wenn man sich also die relativen Budgets der Weltraumforschung und der Meeresforschung ansieht, sind sie um Größenordnungen unterschiedlich. Wir würden sofort eine Milliarde Dollar für eine Weltraummission ausgeben. Aber eine Milliarde Dollar für die Meeresforschung wäre schon außergewöhnlich. Es ist ja öffentlich, dass die Entwicklung meines gesamten Systems, der Bau des Tauchfahrzeugs, des Begleitschiffs und die Reise um die Welt, um auf den Grund aller fünf Ozeane zu gelangen, etwa 50 Millionen Dollar gekostet hat. Das ist weniger als der Preis für einen Gulfstream-Privat-Jet. Und Sie sehen selbst, was wir erreicht haben.

Was denken Sie, ist die Ursache für dieses riesige Ungleichgewicht?

Wir haben auf dem Expeditionsschiff viel darüber gesprochen. Wir hatten einen Schiffsarzt, einen Psychologen, der meinte, die Menschen hätten eine instinktive Angst vor dem Meer. Ich glaube mich zu erinnern, dass ich einmal gelesen habe, dass Babys mit zwei angeborenen Ängsten geboren werden: Fallen und Ertrinken. Menschen schauen auf den Ozean und können nicht in ihn hineinsehen. Wenn man einmal einen richtig schlimmen Sturm auf dem Meer erlebt hat, vergisst man das nie. Es fühlt sich gefährlich an und sieht gefährlich aus. Daher glaube ich, dass das Betreten des Meeres eine gewisse Urangst hervorruft. Unterhalb von 6.000 Metern, so der Fachbegriff für diesen Bereich des Ozeans, liegt die Hadal-Zone, abgeleitet von dem Wort Hades, was so viel wie Hölle bedeutet. Wir haben den tiefsten Punkt des Ozeans nach der Hölle selbst benannt. Wenn das nicht ausdrückt, wie wir instinktiv über den Ozean denken, dann weiß ich es nicht.

Sie sprachen Arten von neuem Leben an, die man in der Tiefee findet..

Wir haben praktisch bei jedem Tauchgang neue Arten gefunden, weil noch nie jemand an diesen Orten gewesen ist. Und wenn man sich die Tiefseegräben genauer ansieht, sind diese isoliert. Dadurch haben sich im Laufe der Jahrmillionen verschiedene Evolutionszweige entwickelt. Ich könnte Ihnen zum Beispiel Lebewesen aus dem Mariannengraben auf meinem Handy zeigen. Das Tolle an ihnen ist, dass sie keine Pigmentierung haben. Sie sind sogar völlig transparent, weil es kein Licht gibt, brauchen sie keine Pigmentierung. Man kann also ihr Inneres sehen. Und sie treiben einfach so herum. Im Marianengraben wimmelte es von Leben. Ich sah Seegurken und Flohkrebse, sogar Würmer, die überall aus dem Boden kamen. Ein solcher Druck, die Kälte und das Leben findet dennoch einen Weg. Ich wette, die sahen mich an und dachten, ich sei ein Außerirdischer.

Man möchte mit Ihnen in ein U-Boot-Steigen oder es zumindest einmal lernen.

Ich hatte das Glück, nicht wenige Menschen mit hinunter nehmen zu können, aber viele bekommen schnell Platzangst, daher ist das oft kein so guter Vorschlag. Die längste Tauchmission, die uns zur Challenger Tiefe führte, dauerte allein beim Abtauchen vier Stunden und 15 Minuten, und der Aufstieg dauert noch mal 3 Stunden. Wir waren insgesamt in diesem U-Boot für über 13 Stunden. Und es war verdammt kalt dort.

Wie ist das Gefühl am Grunde der Ozeane?

Es ist in der Tat sehr emotional. Ich war nun in 17 Tiefseegräben und mit Ausnahme des Mariannen-Grabens war ich überall der erste Mensch dort unten. Es fühlte sich beim Tauchen an wie im Weltall zu sein. Und bei jedem Tauchgang finden wir neue Spezies, neue Informationen über die Tiefsee, schlicht, weil niemand je dort gewesen war. 

Sie waren bereits im Weltall, auf dem höchsten Berg der Welt, am Nord- und Südpol. Was ist der Unterschied zur Tiefsee?

Gute Frage: Die meisten wollen ja immer wissen, was besser ist. Was ich nicht beantworten kann. Es ist ein Dreieck an Extremen, erkläre ich immer: Die Tiefsee ist dunkel, sie können maximal 30 oder 40 Meter weit mit Scheinwerfern sehen. Aber es fühlt sich paradoxerweise an wie eine historische Umgebung. Wenn man die tektonischen Platten direkt vor sich zusammenstoßen sieht, ist das ein unglaubliches Gefühl, aber vor allem etwas sehr sehr Altes, um es umgangssprachlich auszudrücken. Wenn man auf den Mount Everest steigt, fühlt sich das an wie ein Todeskampf mit den Göttern. Die Winde und das Wetter sind so tosend laut um einen herum, dass man gar nichts mehr hört. Man befindet sich in einer Todeszone, weil man beim Pausieren schlicht langsam stirbt. Das ist mental und physisch unglaublich auszehrend. Das Weltall hingegen fühlte sich dagegen für mich an wie Karneval. Nicht falsch verstehen, aber das waren die intensivsten 15 Minuten meines Lebens. Sie gehen vertikal mit Mach 3 nach oben, nach drei, vier Minuten trennen sie sich von einem 10-stöckigen Gebäude aus Sprengstoff unter sich, gleiten kurz in Schwerelosigkeit, sehen die Erde unter sich, die Sonne ist unglaublich hell vor dem pechschwarzen Firmament, dann müssen Sie sich auch schon wieder anschnallen und dann brettern Sie mit 5-fachen G-Kräften der Erde entgegen. Und Sie fragen sich dabei nur: Wo sind die Fallschirme? Und sind sehr erleichtert, wenn Sie diese dann außerhalb ihrer Kapsel aufgehen sehen. Eine unglaubliche Erfahrung aber sehr anders zu allen anderen. Und glauben Sie mir: Ich fühle mich unglaublich privilegiert, wahrscheinlich der erste Mensch gewesen zu sein, der diese Erfahrungen gemacht haben durfte.

Inwieweit haben Sie frühere Entdecker inspiriert?

Sehr! Der Norweger Roald Amundsen ist mein Held. Von diesen Menschen lernen Sie, was Sie unbedingt vermeiden sollten und wo Sie etwas lernen können. Und da es bei Expeditionen immer um Leben und Tod geht, ist es extrem wichtig, diese Learnings nicht selbst machen zu müssen.

Roald Amundsen war zum Beispiel extrem gut darin, Dinge vorab zu studieren und zu analysieren. Er ging methodisch vor und testete Ausrüstung und Theorien, bevor er sie einsetze. Er übte viel. Als er zum Südpol aufbrach, gab es eigentlich kein Drama, da er alles berechnet hatte. Selbst als Dinge schiefliefen, hatte sein Team Ausweichmöglichkeiten. So plant man Expeditionen. Sie sollten im besten Fall so langweilig wie möglich sein, auch wenn man daraus keine guten Bücher macht. Wenn Helden in Expeditionen auftauchen, hat man falsch geplant. Mich hat mal ein Sportreporter gefragt, ob ich nicht bei einer Expedition sterben wollen würde, weil ich doch so sehr liebe, was ich mache. Und ich habe geantwortet: Nein, weil ich dann weiß, dass ich gescheitert bin. Ich will zuhause in meinem Bett sterben. Echtes Entdeckerleben bedeutet, das Risiko auf ein absolutes Minimum zu reduzieren.

Heute fahren Menschen mit Kreuzfahrtschiffen in die Antarktis. Was denken Sie, was Menschen in 100 Jahren über ihre Expeditionen denken werden? Und bleiben überhaupt noch Expeditionen übrig bei Ihrem Eifer?

Schauen Sie sich die Luftfahrt an. Vor 100 Jahren hatten wir die Gebrüder Wright, heute Überschallflugzeuge. Es gibt immer neue Grenzen. Für die Ozeane hoffe ich sehr, dass es viele U-Boote gibt, die die Challenger-Tiefe erreichen können. Ich habe keine Idee, wie das möglich sein wird, aber ich hoffe dass das, was wir tun, den Ball technologisch nach vorne spielt um den Weg dafür zu bereiten. 

Haben wir dann morgen in der Tiefsee nicht das gleiche Problem wie bei den Kreuzfahrtschiffen heute? Noch mehr Umweltverschmutzung?

Es bleibt die Hoffung: Je mehr Menschen die Ozeane und die Tiefsee kennen und schätzen lernen, umso mehr werden sie diese Welt schützen. Denn die Menschen schützen nur, was sie lieben. Und derzeit behandeln wir die Ozeane furchtbar. Denn im Gegensatz zu den Küsten, schauen viele Menschen die Ozeane nur oberflächlich an. Aber ohne die Welt der Tiefsee würden wir schlicht nicht existieren.

Apropos Existenz. Wenn Sie die Chance hätten, zum Mars zu fliegen, würden Sie es machen so wie etwa Elon Musk unbedingt möchte?

Ich würde keine Sekunde zögern. Und auch wenn es im Gegensatz zum eben gesagten stehen mag: Selbst wenn es ein One-Way-Trip wäre, weil es zum jetzigen Zeitpunkt wahrscheinlich gar nicht anders möglich wäre, wäre ich sofort dabei.


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