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Auf ein Lunch mit: Parmigiani Fleurier CEO Guido Terreni

Auf ein Lunch mit: Parmigiani Fleurier CEO Guido Terreni

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29. Juni 2022

Seit Anfang letzten Jahres führt Guido Terreni Parmigiani Fleurier. In dieser Branche, die sich gern auf Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte währende Traditionen und Erfahrungen beruft, ist das letztlich nur ein Wimpernschlag in der Geschichte der Uhrmacherei – für Parmigiani Fleurier jedoch einer von allergrößter Bedeutung. Denn so groß das Prestige der Manufaktur und seiner Erzeugnisse auch ist, und so legendär ihr Ruf in Sachen Restauration historischer Modelle: Nie zuvor bekam die Marke so viel Aufmerksamkeit wie in den vergangenen Wochen und Monaten. Dies liegt zu einem guten Teil an der neuen Modellreihe Tonda PF, die Terreni, der zuvor das horologische Renommeé von Bulgari prägte, gemeinsam mit seinem Team nur wenige Monate nach seinem Start im Val-de-Travers präsentierte. Entsprechend aufgeräumt und bester Dinge ist der italienische Manager, als er in seinem schwarzen Range Rover vor dem Restaurant Six Communes in Môtiers einparkt. Es gibt grünen Salat vorweg, und als Hauptgang Einblicke in die Arbeitsweise eines Managers, der in der Entwicklung herausragender, Marken prägender Uhren seine Bestimmung gefunden hat.

1. Was bedeutet für Sie eine mechanische Uhr, welche Uhr tragen Sie heute und welche Uhr tragen Sie am häufigsten?


Die Entscheidung für eine bestimmte mechanische Uhr ist immer eine extrem persönliche. Ich liebe an Uhren dabei besonders, dass sie in meinen Augen leben – sie haben ein Herz! Davon abgesehen ergibt sich natürlich eine besondere emotionale Verbindung aus dem Umstand heraus, dass mich meine Uhr immer und überall hin begleitet. Zudem ist die Wahl der Uhr immer auch ein Bekenntnis zur eigenen Persönlichkeit und zum eigenen Stil. Wenn Diamanten die beste Freundin einer Frau sind, dann ist die Uhr ganz klar der beste Freund eines Mannes. Zwanzig Jahre in dieser Branche haben obendrein mein Verständnis, meinen Respekt und die Begeisterung für die Komplexität hinter der Entwicklung jedes einzelnen Uhrwerks und Modells gesteigert.

Wissen Sie: In meiner Jugend liebte ich es, wie die Vacheron Constantin am Handgelenk meines Vaters aussah. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass sich Dinge der Vergangenheit nicht replizieren lassen. Mich interessiert die Vergangenheit darum vor allem um das Vermächtnis und die Traditionen einer Manufaktur zu verstehen. Als ich im Jahr 2000 in die Schweiz kam besaß ich bereits eine IWC. In meinen zwanzig Jahren bei Bulgari habe ich danach ausschließlich deren Uhren getragen. Seit ihrer Geburtsstunde trage ich nun die Tonda PF Micro Rotor. Für mich ist sie eine grundlegende Uhr, weil sie die Wiedergeburt unserer Marke symbolisiert. Ich fühle mich ihr emotional sehr verbunden, weil ich beim Blick auf die Uhr an das Team und unsere Arbeit und was wir gemeinsam gerade erschaffen denke.

Parmigiani Fleurier Tonda PF Micro Rotor

2. Auf der Watches & Wonders in Genf wurden Ihre Neuheiten äußerst positiv aufgenommen. Wie blicken Sie auf diese Tage zurück?


Es war eine wunderbare Zeit, die mir im Nachhinein fast surreal erscheint. Wir alle arbeiten schließlich hart um unserer Marke eine unverkennbare Identität zu geben, und wenn sich das in Anerkennung durch die Medien, den Handel und natürlich vor allem auch durch die Endkunden auszahlt, dann ist das die schönste Belohnung. Es war dabei sicherlich ein Risiko die Tonda PF bereits im September letzten Jahres erstmals zu präsentieren. Intern wurde das als ziemlich kühne Vorgehensweise diskutiert, weil die Modellreihe letztlich die Evolution einer Uhr ist, die schon damals ziemlich gut angenommen wurde – der Tonda GT. Ich aber bin davon überzeugt, dass die Marke etwas brauchte, was ihre Identität in besonders präziser und anspruchsvoller Weise definiert und widerspiegelt. Hätten wir die Uhr nicht schon damals präsentiert, dann wäre die Messe eine komplett andere geworden. Gerade in Deutschland hat sich dadurch zum Beispiel bereits Ende letzten Jahres ein gewisses Momentum aufgebaut, was wichtig ist, denn ich schätze die Kunden in Deutschland wegen ihrer hohen Wertschätzung für Handwerkskunst und Verfeinerung. Auch in den USA, in Singapur und Japan wurde die Modellreihe gut angenommen – und auch hier ist der Sinn für horologische Kultur besonders ausgeprägt.

Meinem Empfinden nach wurde Parmigiani Fleurier als Marke darum gar nicht neu positioniert, sondern lediglich neu aktiviert. Wir interpretieren den Stil von Parmigiani Fleurier und der neuen Tonda PF Kollektion nun für unterschiedliche Funktionen. Mit der Einführung der Rattrapante GMT ist uns dabei eine wahrhaftige Weltpremiere gelungen. In der Geschichte der Uhrmacherei hat sich bislang niemand vorstellen können die Rattrapante-Funktion jenseits eines klassischen Chronographen einzusetzen. Dabei ist unsere Lösung so intuitiv und naheliegend! Wir weigern uns einfach zu akzeptieren, dass angeblich schon alles erfunden ist. Dieser Grundgedanke prägt doch letztlich die Schönheit von Nischenmarken im Allgemeinen: Wir können Dinge wagen und experimentieren, wir können die Grenzen verschieben! Und das wird bei uns gerade bestens angenommen. Um ein Gefühl für den Erfolg zu bekommen: Wir haben heute vier mal so viele Bestellungen als wir im vergangenen Jahr Uhren verkauft haben.

3. Werden Sie der großen Nachfrage denn gerecht werden können?


Das ist die große Herausforderung – und letztlich ein absolutes Luxusproblem. Wir mussten unsere Produktionskapazitäten schon vor der Messe verteilen und konnten nur ahnen, wie sich die Nachfrage für die einzelnen Kollektionen entwickeln würde. Dass das begehren nach dem Micro Rotor nun vier mal größer ist als die aktuelle Produktion, und dass die skelettierte Variante drei mal stärker nachgefragt wird – das sahen unsere kühnsten Erwartungen nicht vorher. Den größten Engpass haben wir dabei bei den Werken. Letztes Jahr noch hatten wir davon eigentlich mehr als genug, nun aber werden wir unsere Kunden um etwas Geduld bitten müssen. Glücklicherweise ist Parmigiani Fleurier eine Manufaktur der die Kunden den Erfolg wünschen und gönnen. Es wird vielleicht etwas dauern, aber wir werden liefern. Wir wollen schließlich mit unseren Partnern und für deren Kunden arbeiten, und nutzen dafür Sanftmut, Höflichkeit und Respekt. Das sind schließlich die Werte, die mit dem Grundgedanken von Understatement einhergehen, und das ist es doch genau, wonach wir streben.

4. Sie sprachen eben von der großen Kraft der Nischenmarken. Was machen Parmigiani Fleurier & Co. denn anders – oder was fehlt den Großen?


Großen Marken fehlt es an nichts, aber sie bedienen ein anderes Publikum. Das führt dazu, dass sie insgesamt weniger anbieten, weil die meisten Menschen nach den gleichen Dingen streben. Das war in der Autoindustrie in den 1950er Jahren nicht anders. Ursprünglich gab es hunderte Marken, aber die Menschen haben sich letztlich auf einige wenige konzentriert. Nun ist die Autoindustrie deutlich kompetitiver, weil dort Innovation und die Evolution von Technologien ein Schlüsselfaktor für Erfolg sind, während man in der Uhrmacherei in mancherlei Hinsicht die Innovation sogar ablehnt. Gleichzeitig ist die Haute Horlogerie in der Schweiz heute auf dem höchsten Niveau aller Zeiten. Da geht es dann auch nicht um Verkaufspreise, Uhrmacherei auf höchstem Niveau hat andere Werte, und es ist wichtig, dass Menschen das verstehen. Um diesen Geist am Leben zu erhalten ist es wichtig, sich treu zu bleiben. Wir müssen jene respektieren die auf unsere Uhren warten, aber auch jene, die sie bereits gekauft haben. Qualität ist in diesem Zusammenhang alles, vom Vertrieb bis zur Kommunikation. Wir verkaufen keine einzige Uhr wegen einer Anzeige in einem Magazin oder weil ein Prominenter sie trägt. Das Geschäft entsteht vielmehr aus einer Verschmelzung von Geschmack und Qualität.

Einige Marken bearbeiten dafür ihre Vergangenheit neu. Man sieht zum Beispiel aktuell viele Re-Editions aus den 1970er Jahren, was manche Menschen interessant finden. Ich tue es nicht. Glücklicherweise gibt es eine Menge Menschen die wie ich der Meinung sind, dass Luxus danach streben sollte sich weiter zu entwickeln, statt die Vergangenheit zu kopieren. Das sind hochgebildete Menschen, die genau wissen was sie wollen, und was sie vom Durchschnittskunden unterscheidet und abhebt. Früher war genau das der Kern des Luxusgeschäfts. Durch den Zuwachs an Kaufkraft und die gewachsene Käuferschaft wurde daraus aber eine Sehnsucht sich anzupassen und mit einem Statussymbol zu zeigen, dass man es im Leben zu etwas gebracht hat. Das ist letztlich auch nachvollziehbar. Gleichzeitig ist durch diese Entwicklung aber eine Art „Anti-Haltung“ entstanden. Das sind Menschen, die diese Art von Luxus ablehnen, und die nicht an einem Tisch mit fünf Leuten sitzen wollen, die alle die gleiche Uhr tragen.

Genau hier kommen dann junge Nischenmarken ins Spiel. Deren Gründer sind noch am Leben und bieten etwas komplett einzigartiges an, so wie Max Büsser bei MB&F. Oder Laurent Ferrier, der sehr klassisch arbeitet, und doch seinen ganz eigenen Stil hat. Parmigiani Fleurier bewegt sich irgendwo zwischen diesen Independents und den ganz großen Marken. Wir haben das Potential größer zu werden – wie sich gerade zeigt – aber das ist nicht das Hauptziel. Das Hauptziel muss es immer sein, das Feuer in uns am Leben zu erhalten, das die Marke interessant macht. Darum machen wir Kreationen wie die GMT Rattrapante. Sie ist ein Statement. Wir weigern uns einfach zu glauben, dass Uhrmacher schon alles gemacht haben.

5. Als Geschäftsführer einer vergleichsweise kleinen Marke müssen Sie besonders sorgsam planen und kalkulieren. Wie unterscheidet sich Ihre Arbeit bei Parmigiani Fleurier von der Arbeit für Bulgari?


Meine Erfahrungen bei Bulgari waren tatsächlich komplett anders. Es war einfach eine andere Marke, andere Kunden und eine andere Unternehmensgeschichte – ich war bei einem italienischen Juwelier. Selbst nachdem wir sieben Weltrekorden aufgestellt haben wurde Bulgari noch immer vor allem als solcher wahrgenommen. Es dauert einfach Jahrzehnte um das Fundament zu schaffen um einen Uhrenhersteller nachhaltig neu zu positionieren.

Parmigiani Fleurier ist das komplette Gegenteil, denn die Marke wurde von einer lebenden Legende in Sachen Restauration gegründet. Wir befinden uns also quasi schon auf dem Gipfel. Für mich ist die Restauration die höchste mechanische Kunstform, und die dafür benötigten Fähigkeiten einzigartig. Michel Parmigiani ist der Mann, der diese Kunstform heute verkörpert, und das schon seit fünfzig Jahren, inklusive jener Zeit als alle anderen Richtung Quartz liefen. Mann muss diese kulturelle Relevanz verstehen, selbst die UNESCO betrachtet die traditionelle Uhrmacherei als Kulturerbe der Menschheit.

Michel hat die Reinheit des Handwerks erhalten und gepflegt seitdem er 25 Jahre alt ist, er hat hunderte Zeitmesser für das Patek Philippe Museum und auch für die Sandoz Familienstiftung restauriert. Meine ganze Arbeit dreht sich also rund um dieses kulturelle Wissen und seine Bedeutung. Und wir müssen verstehen: Bei der Restauration geht es immer darum, dass der ursprüngliche Schöpfer einer Uhr und dessen horologische Original-Idee immer sichtbar sein muss. Das prägt die DNA unserer Marke, weil wir nie eine Marke für jemanden sein werden, der angeben will.

6. Ist die Freude am „minimalistischen Luxus“, den Parmigiani Fleurier propagiert, denn ein größerer Trend?


In mancherlei Hinsicht schon. Es gibt meines Erachtens drei Faktoren. Erstens: Das Luxusgeschäft wird immer größer und größer. Wenn das passiert, dann droht die Beliebigkeit, dann wird Luxus zu Mainstream. Darum gibt es Menschen, die vom klassischen Luxusverständnis gelangweilt sind, von den großen Logos und den allgegenwärtigen Marken. Es sind meist sehr gebildete Kunden und es geht ihnen nicht um Materialismus, es ist vielmehr eine besondere Art auf das Leben zu blicken und Luxus zu genießen. Das ist sicherlich eine Nische, aber diesen Leuten geht es gerade darum: Um Marken, die nicht überall bekannt sind, und dafür mit Kompetenz überzeugen. Das bringt uns in eine gute Position. Außerdem hat die Pandemie geholfen: Die Menschen waren Zuhause, und hatten mehr als genug Zeit nach neuem zu suchen.

Ganz grundsätzlich bin ich der Überzeugung, dass uns ein Zeitalter unglaublicher Kreativität in der Uhrmacherei bevorsteht – vergleichbar höchstens mit den siebziger Jahren. Davon werden diese Kunden profitieren. Und zu guter letzt ist es eine Frage des Stils: Wenn man diese Sehnsucht danach nicht Mainstream zu sein gut interpretiert, und eine Seele hat die man wahrhaftig zeigt, dann funktioniert es auch. Es muss nicht unbedingt unser Stil und unsere Seele sein – Laurent Ferrier oder auch Urwerk sind zum Beispiel ganz anders als wir, und doch Marken mit Seele und Erfolg – dafür sind Authentizität und Wiedererkennbarkeit ganz wesentlich.

7. Erst haben Sie Bulgari horologisch groß gemacht, nun Parmigiani Fleurier. Wie nähern Sie sich persönlich der Frage was eine Marke braucht, was ihre Seele ausmacht und wie die Uhren für deren Zukunft zu sein haben?


Ganz einfach: Ich habe viel recherchiert und über Parmigiani Fleurier gelernt. Dabei ist es natürlich ein großes Glück, dass Michel als Gründer und Namensgeber noch da ist. Sehr komprimiert gibt es für mich zwei prägende Parmigiani Fleurier-Säulen: Zum einen eine enorme und tief verankerte Kompetenz in der Uhrmacherei, die auf Michels Expertise in der Restauration alter Uhren beruht. Zum anderen sind wir immer demütig und bekennen uns zum Understatement. Diese beiden Gedanken prägen alles was wir machen, wie wir auftreten, und wie wir uns verstehen. Wir sind nie laut, nichts ist „in your face“. Es ist zwar alles da was man sich wünschen kann, aber es ist oft nicht sichtbar.

Die Guillochierung auf dem Zifferblatt der Tonda PF GMT Rattrapante zum Beispiel: Sie ist so kleinteilig und fein, dass man sie kaum sieht, aber die Textur des Blattes macht den Besitzer der Uhr glücklich. Man fühlt sich damit reich ohne dabei angeberisch zu sein. All diese Details sind in der Herstellung wahnsinnig aufwendig, und in ihrer Ästhetik extrem subtil. Wenn man aber einen Sinn für die Schönheit von Dingen hat, und für handwerkliche Arbeiten deren Besonderheit sich oft erst auf den zweiten Blick erschließt, dann ist Parmigiani Fleurier vermutlich attraktiv für einen.

8. Wie würden Sie Ihren Management-Stil beschreiben?


Für mich entwickelt sich eine Marke immer aus ihrem Produkt heraus. Die Seele einer Marke muss sich dabei dann letztlich im Akt der Transaktion materialisieren. 35.000 Euro für eine einzelne Uhr sind beispielsweise eine ganze Menge Geld, und wenn ein Kunde dieses in einen unserer Zeitmesser investiert, dann müssen wir das mit viel Geld und Kreativität ehren. Kreativität ist dabei eine ganz besondere Kunstform.

In meiner Zeit bei Bulgari, die bekanntermaßen früher mit Gerald Genta zusammengearbeitet haben, konnte ich im Archiv die besten seiner Entwürfe anschauen, und er hat wirklich jede denkbare Richtung ausprobiert. So aber baut man keine Marke auf, weshalb auch nicht alle Entwürfe umgesetzt wurden. Das Talent war also da, aber wenn man das Talent einfach machen lässt was es will, dann ist das für die Marke nicht unbedingt das Beste. Meine Rolle ist es darum Parmigiani Fleurier eine bestimmte Richtung zu führen, und eine beständige Identität zu verleihen. Dafür bringe ich meine persönliche Sensibilität ein, weil ich auch über das Design und den Stil entscheide. Ich frage dafür mein Team: Wer sind wir? Wem wollen wir dienen? Was sind unsere ästhetischen Codes? In meinem Job werden die bereits bestehenden Zutaten quasi zum Hauptdarsteller. Wie zum Beispiel bei der Entscheidung unser Siegel zum Markenlogo zu machen – es hat einfach verdeutlich, dass unsere Uhren sehr persönliche Objekte sind. Jetzt haben wir darum dieses wunderschöne Logo, das ursprünglich lediglich als poincon de maitre gedacht war, als Verantwortlichkeitsmarke also, die eigentlich nur die Herkunft des Produktes nachweisen soll. Normalerweise verwendet man darauf kaum Mühe, aber Michel Parmigiani hat es einfach so einzigartig gestaltet.

Zutaten wie diese schaffen eine Identität. Ich muss dabei die Führung übernehmen und den Mix verantworten, und mein großes Glück bei alldem ist, dass wir alles In-House produzieren. Anders wäre es auch nicht möglich gewesen, und es war auch einer der Hauptgründe, dass ich zu Parmigiani Fleurier gewechselt bin.

9. Sie scheinen Parmigiani Fleurier zeitlos zu planen – gewisse Trends wie grüne Zifferblätter ignorieren Sie bislang beharrlich. Warum?


Eine Marke kann man nur aufbauen indem man ihr eine eigene Identität gibt. Die Farben die wir verwenden sind dabei kein Zufall. Gestern erst hatte ich mit Leuten aus einem unserer Märkte eine Diskussion. Ein Kunde hatte ein Einzelstück angefragt, und uns das Pantone-Farbmuster einer gewissen Rolex geschickt. Ich habe entschieden, dass wir so etwas niemals machen werden. Das ist letztlich wie bei der Verwendung des hellblau von Tiffany & Co.. Warum bitteschön sollte man Tiffany-blau für eine andere Marke verwenden? Ich verstehe es natürlich, wenn Patek Philippe und Tiffany & Co. eine gemeinsame Geschichte haben, aber warum um alles in der Welt sollten zum Beispiel wir einen solchen Farbton auf einer Parmigiani Fleurier haben? Nur über meine Leiche! Man muss seine Marke respektieren.

10. Wie also wählen Sie Farben aus?


Diskretion, Rafinesse, niemals laut – das sind unsere Werte. Aber was bedeutet das für unsere Farbwahl? Le Corbusier, einer der bedeutendsten Architekten der Schweiz, hat 1931 eine Palette von Farben gestaltet, die all das repräsentieren. Er war eine Quelle der Inspiration. Wir haben diese Palette also als stilistische Leitlinie, darüber hinaus müssen wir aber immer schauen welchen Effekt die Farben gemeinsam haben. Wenn ich die Farbtöne all unserer Zifferblätter gemeinsam betrachte, die aktuellen sowohl als jene die noch kommen, dann haben sie alle die gleiche Seele. Zum Beispiel das Milano-blau unserer GMT Rattrapante: Das ist kein normales blau, es hat auch einen grauton der es elegant und anspruchsvoll macht. Oder unser graues Blatt – wir haben drei Monate lang an diesem Farbton gearbeitet! Diese Farbnuancen sind allesamt sehr wichtig für mich, weil sie zeigen wie man etwas zugleich wichtiges und bestehendes erschafft.

11. Nun wird einem in dieser Branche meist gepredigt, dass die Entwicklung einer Modellreihe Jahre dauert. Die Tonda-PF-Kollektion aber wurde nur wenige Monate nach Ihrem Antritt in Fleurier präsentiert.


Ja, darüber habe ich neulich auch mit meinem Entwicklungschef gesprochen. Er meinte, ich hätte dem Team meine Wünsche gleich am Anfang quasi diktiert. Und das stimmt: Die Marker hatte ich in einer älteren Kollektion entdeckt, und bei der Minutenanzeige hatte ich mich von einer Makroaufnahme einer Trompe l’oeil Zeichnung inspirieren lassen. Andererseits hatte ich die Marke natürlich bereits in den Monaten zuvor, in der Recruiting-Phase für die Aufgabe des CEO, intensiv studiert. Man könnte also auch sagen, dass ich Parmigiani Fleurier an meinem 80. Tag mit der Firma übernommen habe. Danach haben dann Design und Produktentwicklung ganz hervorragende Arbeit geleistet und nach nur drei Wochen hatten wir einen ersten Entwurf. Das zeigt auch die Kraft der Grundidee: Wenn man sich ewig im Kreis dreht, Entwürfe ständig verwirft und neu anfängt, dann ist es vielleicht besser die Idee als solche in Frage zu stellen als den Entwurf.

Meine Erfahrung ist: Je schlichter und einleuchtender die Ideen sind, desto stärker und nachhaltiger sind sie meist. Ein wirklich wegweisendes Modell wird wahrscheinlich nur alle zehn Jahre geschaffen, und ich hoffe, dass wir mit der Tonda PF so eine Uhr geschaffen haben. Ich muss dabei aber auch feststellen, dass ich eigentlich nichts neues Erfunden habe. Die Bedeutung von unterschiedlichen „Zutaten“ wie dem Tragekomfort beim Armband, oder die Guillochierung der Blätter – all das gab es alles auch vorher schon, es war nur etwas untergegangen. Ich musste es lediglich hervorholen, neu mixen und etwas modernisieren. Ohne das Team wäre das alles unmöglich gewesen.

12. In welche Richtung bewegt sich Ihrer Meinung nach die Uhrenindustrie?


Das wunderschöne an unserer Welt ist ihre Größe und ihre Vielfalt. Es gibt Platz für so ziemlich jeden im Uhrengeschäft, und der Stil kann dabei sehr unterschiedlich sein. Manche mögen laut sein, andere etwas feiner. Es gibt die verschiedensten Ansätze. Ich selber hoffe – und das ist durchaus mit den Erfahrungen durch Covid-19 und den aktuellen Zeiten verbunden – dass die Menschheit insgesamt mehr tiefe im Leben sucht.

Wenn ich mir beispielsweise meine 17-jährige Tochter und ihre Generation anschaue, dann engagiert man sich dort für extrem noble Werte. Wenn diese Grundhaltung besteht, und diese Generation sich diese reinen Werte auch nicht vom mitunter fordernden Lebensalltag korrumpieren lässt, dann wird die Welt der Zukunft eine deutlich tiefgründigere. Oberflächlichkeit im Sinne des Darstellens von sozialem Status durch das zur Schau stellen von Reichtum sollte dann verschwinden, und ein rein quantitativer Blick auf das Leben wird nicht länger erstrebenswert sein. Ich glaube Parmigiani Fleurier passt sehr gut in diese Gedankenwelt und ihre Werte, in der man minimalistischer und diskreter denkt.


parmigiani.com