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Auf ein Lunch mit: Biver CEO Jean-Claude Biver

Auf ein Lunch mit: Biver CEO Jean-Claude Biver

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Merken Sie sich schon mal diesen Namen für ihre Urenkel: B wie Biver.

Mit dem Mann, der diesen Namen trägt, ein Lunch zu haben, ist schon für sich genommen eine kleine Sensation. Nicht, weil sich Jean-Claude Biver nicht Zeit nehmen würde. Die hat sich der Großmeister der Schweizer Uhrenindustrie immer genommen für Medien und die nimmt er sich auch mit 74 Jahren und besonders heute. Es ist eine Sensation, weil man 50 Jahren Schweizer Uhrengeschichte gegenübersitzt und er so verdammt viel weiß: Dieser Mann hat Blancpain aus dem Nichts wiederauferstehen lassen, hat Omega zu James Bond und Hollywood-Testimonials in die Uhrenindustrie gebracht. Er hat aus einer Nischenmarke der 80er Jahre, Hublot, ein globales Unternehmen geformt, das heute selbst jeder Fußballfan auf der Welt kennt, und später als Chef der Uhrensparte bei der LVMH-Gruppe Zenith und TAG Heuer ins 21. Jahrhundert katapultiert. Und dieser Mann, der alles erreicht hat, will es noch einmal wissen: Und begeht, gerade für seine Kritiker, den größten Fehler seines Lebens: Er gründet eine eigene Uhrenmarke!

Für Swisswatches nimmt er sich direkt nach der Watchers & Wonders 2023 zwei Stunden Zeit. Vor der Messe hatte so ziemlich die gesamte Uhrenindustrie gespannt auf seine erste Uhr unter eigenem Namen gewartet, die er, Marketinggenie, der er nun einmal ist, am Vorabend der wichtigsten Uhrenmesse der Welt lancierte. Die Erwartungshaltung war enorm, dann gab es digital viel Kritik: Wir wollen von ihm wissen: Was ist dran an der Kritik und macht sie ihm etwas aus? Oder sind es vor allem die Neider, die ihm noch einen weiteren großen Erfolg in seinem letzten Lebensabschnitt nicht mehr gönnen? Dazu, das ist unsere Philosophie, muss man zunächst seine erste Carrillon Tourbillon Biver am Arm tragen. Ein Vergnügen, dass nur 35 Menschen auf der Welt dauerhaft vergönnt sein wird. 29 sind schon verkauft – soviel zur Kritik. Die kommt wohl überwiegend von Menschen, die eben keine 520.000 Euro ausgeben für eine mechanische Minutenrepetition.

Wir treffen Jean-Claude-Biver daher ziemlich entspannt in seiner Eck-Suite im zweiten Stock des legendären Four Seasons Hotel de Bergues. Das am 1. Mai 1834 eröffnete Hotel war damals das größte und eindrucksvollste Hotel der Schweiz. Der Ort scheint in jeder Hinsicht mit Bedacht gewählt: Vom Balkon aus sieht man das Gründungshaus von Patek Philippe gegenüber an der Rue du Rhone, jene Firma, die dieser Mann verehrt wie kein zweiter. Sein 22-jähriger Sohn und Mitgründer der neuen Uhrenmarke, Pierre Biver, hat mehrere Jahre die spannende Uhrensammlung von Biver selbst kuratiert.  

Pierre, der Sohn kann heute leider nicht, aber wir nehmen die Einladung auch mit dem Vater allein gerne war. Wobei das nicht ganz stimmt: Die französische Bulldogge ist dabei, die Familie geht ein und aus. Persönlicher kann man dem Mensch Biver kaum kommen. Auch mit dabei: Seine treu und stets charmante PR-Begleiterin Marine Lemmonier-Brennan. Zum Essen kommt man trotz feinem Salat, Fisch und Sandwiches kaum.

Glückwunsch zum großen Stepp in die Unabhängigkeit. Jede neue Uhrenmarke hat es heute schwer..

..Moment, das stimmt doch gar nicht. Denn es herrscht ein Mangel an Produktion bei den Top-Marken. Es gibt viele große und bekannte Marken, die können überhaupt keine Produkte liefern, und deren Kunden sind derzeit sehr frustriert. Und wenn man frustriert ist, dann kauft man vielleicht doch eine Marke, die man vielleicht vorher gar nicht kannte, eine, für die der Verkäufer argumentiert hat. Und die Käufer haben somit die Möglichkeit, ganz neue Marken zu entdecken. Also, die Lage ist gar nicht so schlecht für einen Neustart.

Es heißt, Sie hätten viele der Uhren bereits verkauft?

Viel, das sind für uns 29 der insgesamt 35 Uhren. Wir hätten alle verkaufen können. Warum also nicht mehr?  Wir haben bei 29 gestoppt, weil wir einfach nicht möchten, dass Kunden auch bei uns länger als zwei Jahre auf ihre Uhren warten sollten.

Sie wollen 29 Minutenrepetitionen in zwei Jahren ausliefern? Das ist enorm bei einer solch komplizierten Uhr!

Nicht ganz genau, da wir erst im September anfangen werden zu produzieren, aber ab September wird es maximal zwei Jahre dauern, bis auch der letzte Kunde seine erste Biver bekommen hat.

Wer sind die Kunden, die mindestens 520.000 Euro für eine Uhrenmarke ausgeben, die noch nie eine Uhr gebaut hat?

Kunden, die unsere Uhren kaufen, haben ihren ganz eigenen Charakter und sind überwiegend Persönlichkeiten. Die brauchen kein Auto mehr und schon gar keine Armbanduhr, nur, um ein bisschen glaubhafter zu werden. Es geht auch nicht mehr darum, von einer bestimmten Gruppe erkannt zu werden. Wenn man eine Rolex Daytona Rainbow am Arm trägt, dann erkennt das ein bestimmter Personenkreis. Unsere Uhren machen vielleicht schon bestimmte Menschen neugierig, aber selbst diese erkennen noch lange nicht unbedingt, was das ist, was ihr Gegenüber am Arm trägt. Es fällt vielleicht vielen Menschen schwer, sich das vorzustellen, aber wir befinden uns hier in einem Bereich völlig außerhalb von Statussymbolen.

Eine Uhr für über eine halbe Million Euro ist ja nicht gerade ein dezentes Understatement?

Es geht schon um Persönlichkeit, aber vor allem um Kennerschaft. Damit will ich nicht ausschließen, dass wir vielleicht eines Tages ein Statussymbol werden könnten, aber das versuchen wir nicht zu sein und das steht auch nicht in unserer Macht. Wir sind froh, in diesem Segment mitspielen zu dürfen. Wir haben zum Beispiel viele Kunden, die große Kunstsammler sind. Wer Kunst sammelt weiß, dass das ein etwas anderes Statussymbol ist als Autos oder Uhren.

Wie viele Ihrer Kunden kennen Sie persönlich?

Ich kenne sie mehr oder weniger alle, wobei man zwischen Händlern und den Endkunden unterscheiden muss. Ich kannte natürlich nicht alle Endkunden. Bei den Händlern war es einfach, da wir nur mit fünf Händlern auf der Welt zusammenarbeiten und sie mich teils seit Jahrzehnten begleiten

Sie verkaufen ausschließlich über diese fünf Händler? Wer sind sie und warum nur fünf?

Wir haben uns für die meiner Meinung nach fünf besten Händler der Welt für dieses Segment entschieden. Um ehrlich zu sein: Wir hätten vielleicht zehn insgesamt haben können. Aber es geht auch mit fünf sehr gut: In Asien vertrauen wir Yoshida in Japan, den kenne ich seit 50 Jahren. Das ist der größte Patek-, Audemars Piguet-, Bulgari- und Hublot-Händler Japans. Er dominiert fast ganz Japan. Für South East Asia, Singapur, Malaysia, Indonesien und Vietnam, verlassen wir uns auf The Hour Glass. Das ist für mich die Referenz in der Region. Für den Mittleren Osten war es klar, mit Seddiqi zusammenzuarbeiten. Den kenne ich persönlich, seit ich 14 Jahre alt bin, da er in der Schweiz seine Schulausbildung absolviert hat. Bucherer vertritt uns in der Schweiz und Europa. Das muss man auch niemandem erklären. In den USA arbeiten wir mit Material Good im New Yorker Stadtteil Soho zusammen. Den kennt nicht jeder, der liegt im 70. Stock, aber das gefällt mir für die USA, dieses Understatement.

Warum verkaufen Sie nicht direkt an Endkunden?

Wir sitzen hier weitab in der Schweiz, aber wir können natürlich auch Menschen, die zu uns kommen die Uhren zeigen oder für vorhandene Kunden auch direkt die Uhren warten. Aber vor allem besprechen wir mit Kunden direkt bei mir vor Ort eine bestimmte Ausführung, die sie sich wünschen. Denn was die Kunden bei uns bestellen, ist auf eine Art und Weise immer individuell, je nach Land. Aber der Preis wird an den Händler gezahlt, und der Juwelier liefert, die kennen ihre Topkunden viel besser.

Wie schwierig fällt es Ihnen als einer der bekanntesten Uhren-Manager der Welt, loszulassen und an Ihren Sohn abzugeben?

Ganz ehrlich: Ohne ihn hätte ich gar nicht angefangen, diese Marke zu machen. Das fällt mir also überhaupt nicht schwer, ich will die Marke ja weitergeben! Ich bin jetzt 74 Jahre alt. Sie können sich vorstellen, dass ich das nicht nur für mich mache, denn mir bleibt nicht mehr die Zeit dafür, dass alleine aufzubauen. Ich werde diese Marke auch nicht mehr genießen können und sehr wahrscheinlich vor dieser Zeit sterben. So ist das nun mal. Ich habe sie aber auch wegen meiner Leidenschaft gegründet und deshalb sitzen wir hier: Es beschäftigt mich täglich und es freut mich. Aber das Weitergeben ist Teil meines Plans: Biver ist für meinen Sohn. Daher ist es auch essentiell, dass ich nicht alle Entscheidungen für ihn treffe, dann wird es nicht lange funktionieren. Ich kontrolliere derzeit vielleicht Dinge nach, aber ich muss ihm das Steuer überlassen: Wenn man Fliegen lernt, kann man auch nicht lange das Steuer teilen. Ich muss lernen, neben ihm zu sitzen, aber eher in der Rolle wie ein Fluglehrer.

Hat Pierre bereits Erfahrungen mit anderen Schweizer Uhrmachern gesammelt?

Er ging nach London und hat zwei Jahre beim Auktionshaus Phillips gearbeitet und auch später meine Uhrensammlung gemanagt und hat die total restrukturiert. Er war 15 oder 16 Jahre jung als er begonnen hat, sich für Uhren zu interessieren.

Welche Prinzipien geben Sie ihm mit, die Sie gelernt haben?

Das Wichtigste als Unternehmer ist, Sicherheit zu gewinnen, Entscheidungen zu treffen. Denn das macht eine Führungskraft oder einen Leader im Kern aus: Ständig Entscheidungen zu treffen. Aber Entscheidungen müssen guten Führungskräften leichtfallen und keine Sorgen bereiten. Man muss Freude dabei empfinden Entscheidungen zu treffen. Das zählt. Das sehe ich als meine wichtigste Aufgabe: ihn in die Lage zu bringen, sich zu trauen, Risiken einzugehen, die er überblicken kann. Oft sind Chefs heute zu bestimmend und geben ihrem Nachwuchs nicht genügend Raum, selbst Entscheidungen zu treffen. Die Furcht etwas falsch zu machen, beherrscht viele Köpfe. Ich sage meinen Mitarbeitern immer: Das ist nicht schlimm. Mach es einfach und ich hoffe, Du machst es falsch! Denn nur dann wird man etwas lernen. Und in meinem Business gibt es vielleicht 50 Fehler und irgendwann hat man alle 50 gemacht, und danach kann man unbeschwert arbeiten.

Würden Sie sagen, dass Sie beide einen ähnlichen Geschmack in Bezug auf Uhren haben?

Wir haben überhaupt nicht denselben Geschmack, zum Glück! Er hat den Geschmack der Gegenwart und ich den von meiner Jugend. Ich hatte zum Beispiel einen Mercedes 300 SL Flügeltürer und einen Mustang Shelby GT 350. Diese Automobile haben mich angesprochen, weil sie mich an meine Jugend erinnert haben. Er hat einen völlig anderen Geschmack: Für ihn sind das ohne Zweifel schöne Fahrzeuge, aber sie sprechen ihn nicht an, aber dafür hat er einen Lancia Delta Integrale, der mal die Rallye Monte-Carlo gewonnen hat. Jeder verehrt andere Epochen. So ist das Leben.

Wie gehen Sie bei Meinungsverschiedenheiten miteinander um?

Meistens höre ich ihm zu oder um es anders zu formulieren: Er hat auf jeden Fall einen Einfluss auf die Entscheidung. Manchmal liegt sein Einfluss bei 100 Prozent, manchmal bei weniger, da haben wir keine Regel.

Fotocredit © Sébastien Agnetti

Sie sprachen davon, dass Ihr Sohn Ihre Sammlung kuratiert hat. Sammler wissen: Sie lieben Uhren von Patek Phillipe. Gab es historische Stücke, die Sie inspiriert haben?

Ja, aber verzeihen Sie, ich weiß die Referenz nicht mehr. Aber mich haben vor allem die Modelle beeindruckt, die eine konkav, also nach innengewölbte Lünette haben. Visuell ist das sehr pur, sehr reduziert und sehr streng, das macht Uhren optisch leichter und lässt sie kleiner wirken. Aber es sind nicht nur Patek Phillipe Uhren: Alles, was mich in meinem Uhrenleben interessiert hat, steckt in dieser Armbanduhr.

Was bedeutet für Sie eine mechanische Uhr?

Mechanische Uhren sind für mich reine Emotion. Die Zeitangabe? Ist mir ehrlich gesagt ein bisschen egal. Es geht um die Emotion, die ich für das Objekt bekomme. Die Gefühle hängen mit der Art der Herstellung zusammen, mit der Qualität, das ist ein Gesamtkunstwerk. Meine Frau zum Beispiel trägt Uhren, die immer falsch gehen, auch ihr geht es um die Schönheit des Objektes, nicht um die Ganggenauigkeit. Für sie ist eine Uhr ein Schmuckstück und für mich auch ein bisschen.

Welche Uhr tragen Sie eigentlich am häufigsten, außer Ihrer eigenen?

Das ist einfach, seit ich nicht mehr bei der LVMH-Gruppe arbeite. Früher habe ich meine Blancpain Black Tourbillon getragen, die wir damals entwickelt hatten. Und dann bekam ich von Recep von Akrivia eine ganz besondere Uhr geschenkt: Seine Nummer eins, das Platinmodell mit weißem Blatt. Das Geschenk hat mir nicht nur enorm gefallen (lacht), ich habe sie an jedem Tag in den letzten vier Jahren getragen. Recep und ich sind Freunde geworden. Ich habe ihn unterstützt. Heute ist das erste Mal, dass ich diese Uhr nicht trage, verständlicher Weise.

Die erste Biver, die Sie am Arm tragen, wird heiß im Internet diskutiert. Interessieren Sie Reaktionen auf Social Media?

Nein, überhaupt nicht! Ich schwöre es Ihnen. Warum? Weil es keine Bedeutung hat. Auch wenn ich der erste war, der Social Media bereits 2005 massiv für Hublot eingesetzt hat. Facebook wurde 2004 erst gegründet. Ein paar Jahre später bekam ich dann viel Kritik aus dem Internet über Hublot, dieses sei falsch, jenes nicht perfekt. Da seien keine guten Werke drin und so weiter, das ganze Programm, um nicht zu sagen: den ganzen Scheiß! Dann habe ich mir gesagt: ich mache jetzt eine kleine Werbekampagne im Netz und habe zehn Leute aus dem Web eingeladen in die Schweiz: Mit Flugzeug und Übernachtung und allem Drum und Dran: Alle meine schlimmsten Kritiker waren darunter: Als sie wegflogen, waren sie die besten Botschafter geworden. Damals habe ich eine wichtige Lektion gelernt: In der Anonymität des Internets fühlen sich viele sehr stark. Daher gebe ich nicht viel auf Social Media. Ich sage übrigens damit nicht, dass Social Media schlecht ist, im Gegenteil, es hilft Marken zu enormer Bekanntheit.

Auf wen hören Sie dann?

Wenn mir heute jemand einen Brief von Hand schickt und mir seine Schatulle mit einer Minutenrepetition zurückschickt, weil er findet, es sei nicht in Ordnung, dass für eine Uhr so viele Bäume abgeholzt werden, dann ist das eine Lehre für mich. Das ist mir übrigens bei Hublot passiert. Es ist etwas ganz anderes, ob Ihnen ein Kunde schreibt oder jemand, der nur Aufmerksamkeit will.

Ein Biver macht nichts unüberlegt, was sind die Gründe für dieses Design? Einige Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass die erste Biver tatsächlich modisch aussieht!

Modisch finde ich eine interessante Reaktion. Ich habe nichts dagegen, ich bin lieber in Mode als out of Fashion. Ich finde hingegen viel eher, dass die Uhr absolut klassisch ist. Aber da klassische Formen im Trend sind, ist sie vielleicht modisch, das wäre dann nur folgerichtig (lacht laut). Nein, im Ernst: Finden Sie die Uhr modisch? Ich sehe die Uhr wirklich als klassisches Design, vielleicht mit ein bisschen Pfeffer. Also klassisch mit moderner Handschrift.

Und das passt auch zur Entstehungsgeschichte. Zum Design bin ich mit genau der Person gekommen, die mir die erste Blancpain gezeichnet hat. Meine jetzige Marke ist gestalterisch klar eine Rückbesinnung auf meine erste Marke, Blancpain.

Man sieht die Ähnlichkeit selbst an den Buchstaben im Logo, den Versalien und dem großen B und dem R. Wer ist der Designer?

Das war früher nichts Ungewöhnliches. Mein Urgroßvater hat im 19. Jahrhundert in seinem Schuhgeschäft ebenfalls ein großes B und ein großes R benutzt, so wie Blancpain heute ein großes B und ein großes N benutzt.

Der Entwurf der stammt von Firma M Design, die von Miodrag Mijatovic und seinem Leiter für Produktdesign Philippe Girard gegründet wurde, mit denen wir seit der Blancpain-Ära zusammenarbeiten. Miodrag kannte ich ewig und er hat die Uhr von A-Z gezeichnet, auch das Band.  Er hat fast alles für mich gezeichnet: für Blancpain und Omega, dann für Hublot, später ein bisschen für Zenith und dann für TAG Heuer. Wir hatten auch nicht viele Änderungswünsche im Design. Ich habe ihm lediglich den Hinweis gegeben, wie bei einigen Patek-Referenzen nach innen gewölbte Flächen zu verwenden. Leider ist Miodrag Mijatovic verstorben, sein Cousin war übrigens ein großer Fußballspieler.

Sie sind mit einem sehr hohen Preis von etwa einer halben Million eingestiegen. Sehr mutig oder sehr gut überlegt. In diesem Bereich kennt man sich in der Regel persönlich: Wird Biver nur in dem Segment spielen oder auch in anderen Segmenten?

Nach fünfzig Jahren im Business kann ich einfach nicht von unten anfangen. Ich habe schlicht die Zeit nicht!

Ist die nächste Uhr bereits geplant? Planen Sie jährliche Neuheiten?

Jährlich auf keinen Fall, das würden wir nicht verkraften derzeit. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir schon letztes Jahr gestartet, leider haben wir dieses eine Jahr verloren, wir müssen also ein bisschen bremsen. Ich darf Ihnen aber verraten: Das zweite Biver-Werk wird Stunde, Minuten, Sekunde haben, eine klassische Dreizeiger-Uhr. Das genaue Gegenteil von dem Carillon Tourbillon: Eine Automatikuhr mit Mikrorotor. So können wir extrem flach werden in Zukunft. Dieses Modell kommt im September 2024 raus.

Wird sie auch so aufwendig verarbeitet werden wie das Carillon Tourbillon Biver?

Es wird eine sehr schlichte Uhr, aber die Dekorationen werden genau so aufwendig. Ein Beispiel: Die zwei Zeiger der ersten Biver kosten 8.000 Schweizer Franken, und natürlich bekommt die zweite Biver-Uhr dieselben Zeiger. Die Qualität muss immer identisch sein.

Egal welches Werk, die Finnissage bleibt bei Biver immer gleich. Wir machen es nicht wie einige Autohersteller oder andere Uhrenhersteller, die dann ihren teuren Namen auf industriell hergestellte Werke setzen.

Welche Supplier sind für Sie die wichtigsten und warum? Wie sieht die Zusammenarbeit mit denen aus?

Es ist wie beim Design, ich kenne alle persönlich und teilweise auch seit 50 Jahren. Das Verhältnis ist so gut, dass ich mit Verspätung anfangen und dennoch fast pünktlich auf den Markt kommen konnte. Das Gehäuse kommt von EFTEOR, das Band von UM2. Das Zifferblatt kommt von LM Cadrans, die Zeiger von Blandenier und die Werke sind von Dubois Dépraz. Entwickelt hat es Le Cercle des Horlogers, mein Inhouse-Konstrukteur.

Was war technisch die größte Herausforderung bei einer Minutenrepetition?

Die größte technische Herausforderung war in der Tat der Klang. Der Klang ist das schlimmste Kind. Denn an der einen Uhr klingt es so, an einer anderen ganz anders. Alle Minutenrepetitionen klingen anders. Ich war zwischendurch wirklich verzweifelt, weil wir zum ersten Mal eine wirklich wasserdichte Minutenrepetition auf dem Markt gebracht haben: wir sind 50 Meter wasserdicht, bisher gab es nur bei A. Lange & Söhne eine mit 30 Metern. Ich war so verzweifelt, dass ich meinen Konstrukteur gebeten habe, den dämlichen Dichtungsring wegzulassen und die Wasserdichtigkeit aufzugeben. Aber er war hartnäckig und hat zur Recht dafür gekämpft.

Woher haben Sie die Inspiration für das Sodalith-Zifferblatt genommen? Rolex ist die einzige andere uns bekannte Schweizer Uhrenmarke, die gelegentlich mit diesem Material arbeitet, zum Beispiel bei einigen sehr seltenen Daytona- und Datejust-Editionen?

Das Zifferblatt soll zum Markenzeichen werden, es geht uns hier mehr um den spirituellen Wert. Einen Stein kann man nicht wiederholen. Jede Uhr wird so zu einem Unique Piece.

Wir können mit unserer Auswahl an Sodalith ganz unterschiedliche Uhren kreieren. Zum Beispiel eine mit einem sehr hohen Weißanteil und welche mit sehr hohem Blauanteil. Nach Piaget in den siebziger Jahren macht heute niemand mehr wirklich Steinzifferblätter, das hat uns gereizt, weil es ein Erkennungsmerkmal werden kann.

Sie haben die Marke nach sich selbst benannt: Biver. So wie auch ihr Sohn heißt. Auf dem Uhrwerk steht aber ihr Namenskürzel, JCB. Ist das logisch oder werden die Kaliber JCB heißen?

JCB ist für uns ein Markenzeichen und wird ein eigens Qualitäts-Siegel. Wir haben direkt unser eigenes Siegel entwickelt. Ich dachte erst ein B reiche aber nun macht ein B keinen schönen Stempel. Da ich derjenige bin, der sich diese Siegel ausgedacht hat, macht es Sinn, es nach mir zu benennen. B kann alles sein. JCB bin ich. Wir bieten das Siegel allen Marken an, die es verwenden wollen. Dabei ist es teils deutlich strenger als das Genfer Siegel selbst, eines der strengsten Siegel der Welt. Sonst wäre es ja auch zu einfach, ein solches Siegel zu erfinden.

Hatten Sie nie darüber nachgedacht, endgültig aufzuhören mit den Uhren? Ihre Erfolge sind kaum zu überbieten.

Ich wollte nicht wieder anfangen, daher hatte ich auch nichts im Kopf was eine eigene Uhrenfirma angeht. Erst als mein Sohn auf mich zukam, wurde die Entscheidung getroffen. Erst als er zu mir kam, war für mich klar, das macht Sinn. Da war ich 100 Prozent sicher, dass ich das sogar machen muss. Ich bin ehrlich mit Ihnen: Ich wollte wirklich nicht den Fehler meines Lebens begehen, und einen Schritt zu viel zu machen. Denn es stimmt: Man sollte immer aus einer Position der Stärke aufhören. Mein Vorbild war immer der französische Skirennläufer Jean-Claude Killy, der Rolex Botschafter war. Als zweitem Skirennläufer nach Toni Sailer gelang es Killy, in allen drei damals ausgetragenen Disziplinen die Goldmedaille zu gewinnen. Nach drei Goldmedaillen hat er einfach aufgehört mit Mitte Zwanzig. Das war genial! Die Firma bringt mir schon heute extrem viel: Ich langweile mich nicht mehr, ich bin beschäftigt. Und ich bleibe jung und aktiv.

In welche Richtung verändert sich die Uhrenindustrie?

In eine gute Richtung! (Lacht) Weil sie gesehen wird, weil sie wahrgenommen wird als Industrie. Bedenken Sie wo wir vor 50 Jahren standen: Nehmen Sie Magazine wie die Times, den Spiegel oder große Wirtschaftstitel, da gab es nichts davon zu lesen. Heute sind wir in jeder Ausgabe mindestens einmal vertreten. Wir gehören zur Welt dazu. Über Uhren hat die Welt nie geschrieben. Nun haben wir Aufmerksamkeit. Wir werde allerdings auch missbraucht als extremes Statussymbol, um auf die Rolex Daytona Rainbow zurückzukommen. Aber Sichtbarkeit hat ihren Preis.

Hat Ihr Ausscheiden aus der Konzernwelt bei LVMH Ihre Sichtweise auf die Industrie verändert?

Ein Luxuskonzern im Rücken wie LVMH oder die Swatchgroup hat viele Vorteile, in der Produktion aber auch in den Finanzen und vor allem in der Distribution. Aber: Man verliert oft das zwischenmenschliche Gefühl. Man wird sehr rational. Jeder der mich kennt weiß: Ich bin allerdings nicht wirklich rational, ich hasse Rationalität, so dass ich viel mehr in ein kleines Unternehmen passe als in einen Konzern. Daher haben wir komplett bei Null angefangen. Wir sind 12 Mitarbeiter. Nur als kleines Beispiel: Es gibt kein Mittagessen, dass wir nicht gemeinsam machen. Das ist mir wichtig. Alle kommen mittags immer zusammen. Wir sind eine Kommune. Jeder hilft mit, jeder teilt. Ich baue eigentlich eine Kommune, wie aus meiner Hippie-Zeit.  Ich lebe meine eigene Kultur. Mein Sohn kann das dann gerne ändern und seinem Lebensstil anpassen.

Interessiert Sie überhaupt noch was Ihre alten Marken machen?

Nein, das ist interessiert mich relativ wenig. Ich habe einen großen Nachteil: Ich hasse die Wiederholung

Es war immer wieder zu lesen, dass Sie es bereut haben Blancpain zu verkaufen. War das der Fehler ihres Lebens?

Ich habe das nie vergessen können und immer bereut. Es war ein Fehler, ja. Zehn Jahre lang besaß ich Blancpain und den Verkauf habe ich nie wirklich verdaut. Ich habe es oft in Interviews gesagt. Mit meiner eigenen Marke bin ich nun dabei das endlich zu überwinden. Die Marke Biver ist der logische Nachfolger des für mich persönlich gestorbenen Blancpain. Dank meiner neuen Marke kann ich irgendwann diesen Fehler vergessen.

Was wäre Ihr größter Wunsch, wie die Marke Biver in 100 Jahren wahrgenommen werden soll?

Sie sollte dann für Wahrheit, für Substanz, für Ehrlichkeit und für Qualität stehen.


Der Prototyp: Biver Carillon Tourbillon in Titan – ein großer Wurf?

Vorne BIVER hinten JCB: zur Lancierung seiner eigenen Uhrenmarke schuf der Firmengründer ein eigenes Qualitätssiegel namens JCB. Es übertrifft sogar die Anforderungen der Genfer Punze.

Nach dem Interview betrachten wir die Uhr und sind sofort einer Meinung: Ein großer Wurf. Das Armband ist optisch und haptisch wunderbar und wirkt wie ein wertiger Armreif. Alles, aber auch alles an dieser Uhr ist gut gestaltet. Das Werk mit seinen goldenen Brücken lässt einen auf den ersten Blick an Greubel Forsey denken, das Gehäuse erinnert entfernt an Patek, ist aber in vielerlei Hinsicht doch ganz anders. Die Zifferblätter sind einzigartig und wirken viel feiner als auf den leider nicht sehr guten Presse-Renderings. Am Arm wirkt die Uhr geradezu dezent und kann auch von schmalen Handgelenken sehr gut getragen werden. Danach geht es zur Klangprobe. Der ist kristallklar, aber mit einem erstaunlichen Volumen, trotz vieler Personen im Hotelzimmer, das dank Teppichen und Vorhängen zudem noch extrem viel Schall schluckt.

Jean-Claude Biver verabschiedet sich von Swisswatches mit dem Hinweis, dass er nun zu seinen Kunden müssen. Japan, Arabien, USA. Biver geht wieder auf Welt-Tournee. Wie wir eingangs erwähnten, diesen Mann zu treffen, ist an sich schon eine kleine Sensation.


Ein absolutes Einzelstück

Die Uhr, die JCB am Arm trägt, wird es nur einmal geben: Ein einzigartiger Prototyp einer Tourbillon-Armbanduhr mit Minutenrepetition aus Titan, Obsidian-Zifferblatt und -Armband.

Dieser Biver-Prototyp wird während der Phillips Frühjahrsauktion am 13. und 14. Mai 2023 versteigert.

Aurel Bacs, Phillips in Association with Bacs & Russo
Fotocredit © phillips.com

Die Uhr mit dem Titangehäuse verfügt über die Königskomplikation: eine Minutenrepetition. Aber nicht irgendeine Repetition, sondern ein Carrillon Glockenspiel mit drei Hämmern, d.h. die Viertelstunden werden von drei Hämmern geschlagen, die drei Gongs mit drei verschiedenen Tönen anschlagen.

Die vorliegende Uhr wird auch in ihrer Konfiguration einzigartig sein, da sie die einzige Biver-Uhr aus Titan mit einem Zifferblatt aus silbernem Obsidian sein wird. Nie wieder wird diese Konfiguration für jemand anderen als den Besitzer dieser Uhr verwendet werden. Er oder sie hat auch die Möglichkeit, seine/ihre nächsten Biver-Uhren in Titan/Obsidian in Auftrag zu geben – so werden diese Uhren einzigartig bleiben.

Pierre Biver und Jean-Claude Biver
Fotocredit © Sébastien Agnetti


jcbiver.com