Eintritt in die Schatzkammer: Swisswatches zu Besuch bei Cartiers Métiers d’Art
In einer weitläufigen Konstruktion fügen sich Beton und Glas zur Manufaktur von Cartier in La Chaux-le-Fonds zusammen, der zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannten Uhrmacherstadt. Auf der Glasfassade des nüchternen Gebäudes, durch die man nur einen winzigen Einblick in die Welt der Uhrmacherei auf der anderen Seite erhaschen kann, erstreckt sich das unverwechselbare, kursive Cartier-Logo. Neben dem Schriftzug steht: Manufacture de Haute Horlogerie. Es ist ein imposanter Anblick. Passanten, die über die Stadtautobahn fahren, die nach Le Locle führt, bevor sie sich über die angrenzende französisch-schweizerische Grenze schlängelt, staunen aus ihren Autofenstern. Oft halten sie auch an, um vom asphaltierten Parkplatz auf der anderen Seite der viel befahrenen Allée des Défricheurs ein Foto zu machen. An dunklen Winterabenden strahlt warmes Licht aus dem schneebedeckten Gebäude, während an lauen Sommermorgen dieses uhrmacherische Bauwerk in helles Licht getaucht wird. Im Inneren fertigen die Uhrmacher von Cartier einige der berühmtesten Uhrenmodelle aller Zeiten mit großer Sorgfalt: die Tank, die Santos, die Pasha und viele andere Design-Ikonen haben hier ihren Ursprung.
Beim Anblick dieser eindrucksvollen Manufaktur könnte man fast das urige Schweizer Bauernhaus links daneben übersehen. In den wärmeren Monaten wachsen an den Steinmauern rosarote Äpfel und pralle lila Pflaumen. Ein gut bewässerter, makelloser Rasen und üppige grüne Buchsbaumhecken umgeben das Anwesen. In seiner Blütezeit im 17. Jahrhundert galt das auf einer Höhe von rund 1.000 Metern gelegene Landgut als das berühmteste der Region. Jedoch zerstörte ein Brand am Valentinstag 1859 das Haus vollständig, woraufhin es 1872 wieder neu aufgebaut wurde – wenn auch in einer schlichteren Form. Heute beherbergt dieses charmante, traditionelle Bauernhaus mit seinen alten Holzläden und gepflegten Blumenbeeten die horologische Schatzkammer von Cartier: die Métiers d’Art.
Genau genommen befassen sich mehrere Uhrenhersteller – sowohl intern als auch mit externen Zulieferern – mit der Herstellung von Métiers d’Art-Uhren. Vacheron Constantin, gefolgt von Chopard, Hermès, Blancpain, Piaget und natürlich Cartier sind die ersten, die einem in den Sinn kommen. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff, für diejenigen von uns, die kein Französisch sprechen? Métiers d’Art bedeutet übersetzt „Meister der Kunst“. Bei den Métiers d’Art-Uhren werden jahrhundertealte traditionelle Techniken verwendet, die entweder fortgeführt oder in die Welt der Uhrmacherei integriert werden. Solche Uhren erfordern viele Stunden mühsamer, sorgfältig ausgeführter Arbeit. In der Regel handelt es sich um Stücke, die für die absoluten Top-Sammler der Uhrenwelt bestimmt sind. Damit sind die Zeitmesser unweigerlich von hohem Wert, sowohl finanziell als auch als bedeutende Stücke im Markenportfolio. Des Weiteren haben die Ateliers der Métiers d’Art einen hohen kulturellen Stellenwert, da sie handwerkliche Techniken bewahren, die ohne die Schweizer Luxusuhrenhäuser und ihre engagierten Handwerker längst in Vergessenheit geraten wären.
Die Cartier Métiers d’Art: Alle guten Dinge sind drei
Wenn Personen des öffentlichen Lebens für Fernseh- oder Radiointerviews vorbereitet werden, raten PR-Manager ihnen oft, sich auf drei Kernaussagen zu beschränken. Dadurch sollen ihre Argumente prägnant, verständlich und zielgerichtet bleiben. In ähnlicher Weise hält das kleine, aber mächtige Cartier Métiers d’Art sein sorgfältig ausgewähltes Portfolio und seinen tadellosen Produktionsprozess aufrecht, indem es sich über drei Missionen definiert. Die erste ist die Bewahrung der Tradition: Cartier bildet seine Handwerker hier in zahlreichen Techniken aus, die man in der Uhrmacherschule nicht lernt. Die zweite ist das Teilen: Die Handwerker arbeiten hier manchmal gemeinsam an einem Produkt, vom Uhrmacher und Juwelier bis zum Edelsteinfasser und Emaillierer. Die dritte und letzte Mission ist die Innovation: Von der ersten Fliegerarmbanduhr bis zur Faltschließe liegt Cartier Innovation im Blut und das Unternehmen hat nicht vor, das in nächster Zeit aufzugeben – schon gar nicht in seinen kunsthandwerklichen Métiers d’Art.
Konzept und Kreation der Métiers d’Art
Die Hauptmanufaktur von Cartier wurde im Jahr 2000 gebaut, 2007 folgte der „Think Tank“ des Unternehmens, der sich hinter dem Gebäude befindet. Nachdem 2008 die Entscheidung gefallen war, eine Métiers d’Art-Abteilung einzurichten, wurde 2010 das benachbarte Bauernhaus samt dem umliegenden Grundstück erworben. Mit dem Kauf verpflichtete sich Cartier, das Bauernhaus trotz der geplanten umfangreichen Renovierungsarbeiten weitgehend unverändert zu lassen. So behielten die Architekten sogar den Grundriss und die Ausrichtung des ursprünglichen Bauernhauses bei. Zum Teil war es eine umweltfreundliche Entscheidung, damit die Bewohner der Métiers d’Art des 21. Jahrhunderts es während des eisigen Schweizer Winters warm haben.
Im Jahr 2014 war das renovierte Gebäude bezugsfertig und noch im selben Jahr wurde es mit dem Zweck zur Unterbringung „außergewöhnlicher Handwerkskunst“ eingeweiht. 2017 wurde die Abteilung für Luxusuhren in die Métiers d’Art integriert. Heute arbeiten Spezialisten aus mehr als 20 verschiedenen Handwerken daran, Cartiers außergewöhnlichste Stücke der Moderne zu erschaffen.
Eintritt in die Schatzkammer
Sobald man über die Schwelle auf einen Türvorleger mit dem Cartier-Logo schreitet, betritt man eine Welt voller Luxus, Geschichte und Handwerkskunst. Während das 350 Quadratmeter große Erdgeschoss früher von Bauern und Vieh genutzt wurde, hat es heute eine ganz andere Bedeutung. Die Architekten und Innenarchitekten von Cartier haben sich von den ersten ländlichen Uhrmacherwerkstätten im Jura inspirieren lassen, in die die Einwohner in den harten Wintermonaten strömten, um sich mit der Herstellung von zusätzlichen Zahnrädern und anderen Komponenten etwas dazu zu verdienen. Mit seiner bis ins kleinste Detail umgesetzten Inneneinrichtung verbindet der Raum Altes mit Neuem: traditionelles Holzmobiliar und Steinböden treffen auf große Glasflächen, die Tageslicht hereinlassen.
Die Umgebung in das Gebäude einzubeziehen war eine weitere Idee zur Gestaltung der Innenräume: Der Kalkstein ist aus Neuenburg, während das Holz für die traditionellen Einrichtungsgegenstände aus den ursprünglichen Nebengebäuden des Bauernhofs stammt. Um alte Holzpaneelen für die Wände und Decken zu finden, machten sich die Architekten von Cartier in der Umgebung und jenseits der Grenze auf die Suche nach Natursteinwänden und historischen Kaminen. Wo eine originalgetreue Ausführung nicht möglich war, setzte man auf klare moderne Materialien – von der offenen Stahltreppe bis zum Glasaufzug. Es ist ein Ort voller Eigenheiten: Im luftigen Raum, der sich zum Garten hin öffnet, hängt ein neugotischer Kronleuchter, der einst im Besitz von Yves Saint Laurent war. Bei der Versteigerung der Pierre-Bergé-Kollektion erwarb ihn schließlich der ehemalige Cartier-Chef Bernard Fornas.
Die Cartier Métiers d’Art sind Etage für Etage, Abschnitt für Abschnitt durchdacht organisiert, wobei jeder Mitarbeiter – vom Leiter der Produktentwicklung bis zum Intarsienexperten – eine ganz spezifische und unverzichtbare Rolle spielt. Damit die verschiedenen Professionen zusammenkommen, gemeinsam konzipieren und gestalten können, dreht sich die Architektur des Gebäudes bewusst um Offenheit. Begeben wir uns nun in den ersten Stock der Cartier Métiers d’Art.
In der ersten Etage arbeiten die erfahrenen Edelsteinfasser von Cartier an einigen der innovativsten und einzigartigsten Stücke der Métiers d’Art. Eine herausragende Uhr, die seit ihrer Einführung viel Aufmerksamkeit erregt hat, ist die Ballon Bleu mit ihren patentierten, vibrierenden Diamanten. Jeder Diamant ist auf einer Mikrofeder gesetzt, wobei die Federn so konstruiert sind, dass sie alle mit der gleichen Frequenz schwingen. Diese patentierte Innovation von Cartier beinhaltet auch einen Stoßdämpfer, der dafür sorgt, dass sich die Diamanten auch bei Erschütterungen perfekt synchron weiterbewegen können.
Im ersten Stock der Métiers d’Art glitzern von allen Seiten Edelsteine, als die Kunsthandwerker eine farbenfrohe Crash Tigrée Métamorphoses mit funkelnden Steinen besetzen oder einen Jaguarkopf, der für eine Panthère Entrelacé Stundenuhr bestimmt ist, mit leuchtenden Smaragdaugen versehen. Für die Schmuckuhren, von denen viele mit dem Panther, dem Markenzeichen von Cartier, spielen, werden die Silhouetten zunächst von Hand skizziert. Nach der Anfertigung eines Prototyps aus Papier wird eine Wachsskulptur erstellt. Diese wird dann entweder durch traditionelles Gießen oder per Computer in Edelmetall umgewandelt – bei letzterem wird ein 3D-Druck mit einem speziellen Wachs durchgeführt. Nach dem Gießen der Form werden die Edelsteine von Hand eingesetzt. Farbkodierte digitale Zeichnungen unterstützen die Kunsthandwerker dabei, sicherzustellen, dass die richtige Größe und Form der Edelsteine verwendet wird. Nachdem die Stellen markiert wurden, an denen die Edelsteine eingesetzt werden sollen, werden die Löcher für die Edelsteine mit speziellen Werkzeugen gesetzt. Klebstoff ist strengstens untersagt. Die anspruchsvollste Arbeit bei den Métiers d’Art ist das so genannte „unsichtbare Fassen“ von Edelsteinen. Neben einer äußerst präzisen Ausführung, erfordert diese Technik, dass der Kunsthandwerker Rillen in die Diamanten schleift, um einen schwebenden Effekt zu erzielen. Einige der Steine, mit denen die Spezialisten von Cartier tagtäglich arbeiten, haben nur einen Durchmesser von 0,6 mm.
Auch für die Coussin (Kissen) Uhrenmodelle, die mit einem Goldgeflecht ausgestattet sind und von Cartiers Forschungs- und Innovationsteam in enger Zusammenarbeit mit Zulieferern entwickelt wurden, braucht es einen Experten. Glücklicherweise ist dieser in den Métiers d’Art zu finden. Zunächst wird das Gitter für das äußere Gehäuse in 3D gedruckt. Anschließend wird die Struktur im Inneren von einem Juwelier gelöst – allein dieser Vorgang dauert eine Woche. Dann stellt der Juwelier sicher, dass das Gehäuse glatt ist, bevor ein Polymer eingefügt wird, um den flexiblen, federnden Effekt des Gittergehäuses zu erzeugen. Zu guter Letzt müssen Hunderte – bei einigen limitierten Auflagen sogar über Tausend – Diamanten eingefasst werden, was die Zahl der Arbeitsstunden für die Herstellung eines einzigen Zeitmessers weiter erhöht.
In den Métiers d’Art werden auch die geheimnisvollen Uhren von Cartier hergestellt, wie die kürzlich konzipierte und hochgelobte Masse Mystérieuse. Neben mehreren ätherischen Mystery-Modellen werden in der ersten Etage auch andere exquisite skelettierte Modelle hergestellt. Von der Santos bis zu Pashas mit offenem Uhrwerk, die im Haus entwickelt und in Perfektion vollendet werden.
Emaillemalerei
Wenn man an Emailzifferblätter denkt, denkt man als Erstes an die traditionelle Kunst eines wunderschön bemalten Zifferblatts, das vielleicht eine idyllische Szenerie zeigt (Stichwort: Pateks jüngste Rare Handcrafts Ausstellung in Japan) und mit Hilfe von Glaspulver und einem Brennofen hergestellt wurde. Bei Cartier werden solche spezialisierten Emaille-Zifferblätter heutzutage von einer jungen, ehemaligen Kunststudentin angefertigt. Wir sitzen hoch oben im hölzernen Loft der Métiers d’Art und beobachten leise, wie sie behutsam eine Crash Tigrée Métamorphoses mit Hellblau bemalt. Die Atmosphäre auf dem Dachboden ist ruhig, abgesehen vom Summen, Kratzen und Surren der verschiedenen Werkzeuge. Sie ist nicht allein, sondern wird von einer Reihe von Spezialisten umgeben, die auch andere, verwandte traditionelle Techniken beherrschen, von Cloisonné, Champlevé, Plique-à-Jour und Grisaille-Email bis hin zu den erst kürzlich wiederbelebten, für das Haus einzigartige, Techniken wie die Goldpaste-Emaillierung, Filigran-Emaillierung oder Emailgranulation. Jede davon ist atemberaubend und sucht ihresgleichen in der Branche.
Bei der uralten Filigrankunst, die vor etwa 3.000 Jahren in Mesopotamien (dem heutigen Irak) zum ersten Mal auftauchte, formen Kunsthandwerker feine Gold- oder Silberdrähte sorgfältig zu Mustern aus winzigen, gewellten Ringen, die dann vorsichtig zu einem Motiv zusammengelötet werden. Cartier baut bei seinen Métiers d’Art auf diese Kunst auf, indem andere begehrte Materialien wie Platin und sogar Diamanten hinzugefügt werden. Die Arbeit mit den eigens von Cartier hergestellten Mikrodrähten ist natürlich reine Handarbeit. Sie erfordert ein Höchstmaß an Fingerfertigkeit und künstlerischem Geschick. Allein die Herstellung eines einzigen Zifferblatts kann einen Mitarbeiter schon einen Monat lang beschäftigen.
Cartiers Philosophie: Die Schönheit der geteilten Weisheit
Etruskische Granulation
Auch das Filigranisieren von Gold, das Granulieren von Goldperlen und das Gravieren sind wichtige Verfahren im Repertoire von Cartier. Die etruskische Granulationstechnik wurde von den italienischen Etruskern in der Antike (etwa zwischen dem 8. und 3. Jahrhundert v. Chr.) entwickelt, als sie die Totenmasken ihrer Könige mit fein verzierten Kronen schmückten. Bei dieser Technik werden winzige Kugeln oder Körnchen in komplexen Mustern auf einer Grundplatte befestigt.
Das Granulieren von Goldkugeln ist besonders herausfordernd; nicht zuletzt, weil der Kunsthandwerker sowohl mit Goldkugeln, die aus einem langen Goldstab gefertigt werden, als auch mit einer Grundplatte aus Gold arbeitet. Da beide Goldkomponenten von Natur aus den gleichen Schmelzpunkt haben, stellt sich die Frage: Wie konnten die Etrusker mit beiden gleichzeitig arbeiten? Um dem Geheimnis dieser Technik auf die Spur zu kommen, arbeitete Cartier mit dem Louvre-Museum in Paris zusammen. Man entdeckte, dass die Etrusker eine spezielle verschwindende Substanz verwendeten, um den Schmelzpunkt zu verändern und alle Goldbestandteile intakt zu halten. Als berühmtestes Beispiel ist die 2008 von Cartier Métiers d’Art kreierte Rotonde de Cartier zu nennen, die als Katalysator für die Gründung der Métiers d’Art diente.
Nachdem Cartier die etruskische Granulation durch den Austausch mit Kunsthistorikern, Kunsthandwerkern und Fachleuten gemeistert hatte, fügten sie ihre eigene Variante hinzu, indem sie die „Emaille-Granulation“ entwickelten. Dabei werden die Goldperlen durch Emailperlen ersetzt. Der Unterschied zu anderen Emailliertechniken besteht darin, dass die Emailperlen nicht im Brennofen, sondern mit einer Lötlampe hergestellt werden. Das atemberaubendste und bekannteste Beispiel für diese Technik ist die faszinierende, limitierte Ballon Bleu de Cartier Uhr mit Emaille-Granulation. Sie wurde auf dem SIHH 2016 lanciert und stellte die Leistungsfähigkeit der damals gerade eröffneten Métiers d’Art unter Beweis.
Den Métiers d’Art ist auch die Kreation der atemberaubenden Cartier Grisaille-Uhren mit ihren beeindruckenden Tier-Motiven zu verdanken. Wir halten inne, um ein „blonde Limoges“ Zifferblatt zu bewundern, das einen sinnlichen Tiger zeigt. Der Titel „blonde Limoges“ bezieht sich auf die französische Stadt Limoge, die für ihre historische Produktion von dekoriertem Porzellan bekannt ist. Für die Grisaille-Uhren von Cartier wird dasselbe Kalziumpulver verwendet, das dem Porzellan beigemischt wird, um das reinste Weiß für die besonderen Zifferblätter zu erzeugen. Auf einem tiefschwarzen Zifferblatt werden die „blonde Limoges“-Schichten nacheinander aufgetragen. Zwischen den einzelnen Schichten wird das Zifferblatt in den Brennofen gelegt. Eine oder zwei Schichten mit den dazugehörigen Brennvorgängen führen zu einem Grauton, während nicht weniger als acht intensive Brennvorgänge erforderlich sind, um den sehr weißen Farbton zu erzielen, der am Ende erreicht wird. Der gesamte Prozess erfordert viel Fingerspitzengefühl und Geduld seitens des Handwerkers.
Bei anderen Zifferblättern gehen die Métiers d’Art von Cartier noch einen Schritt weiter, indem sie das „blonde Limoges“ durch etwas noch Kostbareres ersetzen: Gold. Doch wie schon bei der etruskischen Granulation stellte der Schmelzpunkt ein Hindernis dar. Wie kann man ein so kunstvoll gestaltetes Zifferblatt in einen Ofen legen, ohne dass das aufgetragene Gold darin schmilzt? Als Meister der Innovation suchte Cartier natürlich bei den Leuten nach einer Antwort, die ihr eigenes künstlerisches Wissen weitergeben konnten.
Zwar arbeitet die Maison häufig mit Wissenschaftlern und Ingenieuren zusammen, doch die Lösung fand sich nicht in einem wissenschaftlichen Labor. Ganz im Gegenteil: in der Kirche. Cartier reiste zu französischen Benediktinermönchen, die in der Abtei Ligugé leben, einem Kloster, dessen Wurzeln bis ins 4. Jahrhundert zurückreichen, und die den Schlüssel zum Verständnis der Goldgrisaille-Technik hatten. Im Gegenzug für die Bewahrung ihre Savoir Faire gaben die Mönche ihre handwerklichen Geheimnisse preis (die das ehrenwerte Haus Cartier bis heute nicht preisgibt).
Wie bei dem Bauernhaus selbst, geht die alte Kunst der Intarsienarbeit auf das 17. Jahrhundert zurück, als diese Technik in der Kunst und sogar für Möbel verwendet wurde. Im 19. Jahrhundert wurde sie auch in Paris populär, wo es bei wohlhabenden französischen Familien zur Mode wurde, ganze Wände mit Intarsienarbeiten zu verkleiden. Erst im 20. Jahrhundert – überraschend spät – fand die Intarsienarbeit zur Uhrmacherei und präsentierte sich vor allem auf Tischuhren. Traditionell wird Stroh als preisgünstiges Material verwendet (aber auch andere Materialien wie Perlmutt oder Stein). Bei diesem Verfahren öffnet man das Stroh mit einer Klinge und glättet es dann mit einem Knochenwerkzeug. Anschließend kann der Kunsthandwerker das gewünschte Muster auf das Stroh zeichnen, bevor es gereinigt und zusammengesetzt wird.
Seit etwas mehr als einem Jahrzehnt gibt es bei Cartiers Métiers d’Art die Einlegearbeiten. Im Jahr 2012 beauftragte das Uhrenhaus einen freiberuflichen Spezialisten mit der Kreation einer Rotonde de Cartier, die einen Koala in einem 35-mm-Gehäuse mit Diamantlünette zeigt. Seitdem hat Cartier eine Vielzahl von Intarsienkreationen geschaffen, von Tischuhren bis hin zur farbenfrohen Jaguaruhr Clé de Cartier mit einem funkelnden Smaragdauge. Heute nutzt Cartier als stets experimentierfreudiges Unternehmen Einlegearbeiten aus verschiedenen natürlichen Materialien wie Stroh, Holz und sogar Blumen. Wir bewundern ein wunderschönes Zifferblatt mit Blumeneinlegearbeiten, das derzeit hergestellt wird, wobei Rosen aus Ecuador verwendet werden. Die Kunst der Blumeneinlegearbeit wird exklusiv von Cartier genutzt und ist erst vor einigen Jahren eingeführt worden.
Zifferblätter sind Schauplätze des handwerklichen Zusammenspiels, wobei Intarsien, Emaille und Miniaturmalerei manchmal sogar zusammen auf einem einzigen Zifferblatt zu finden sind. Als wir das Loft der Manufaktur besuchen, ist Cartiers Intarsien-Spezialist gerade mit seiner „Marquetry de Vries“-Technik beschäftigt, die nach dem gleichnamigen Künstler benannt ist. Bei dieser Technik werden mehrere Strohhalme genommen und in die Mitte ein 24-karätiges Goldblattes gelegt. Die hölzernen Stellen werden dann abgetragen, so dass verschiedene Holztöne und blitzende Goldschimmer zum Vorschein kommen. Bei Cartier werden verschiedene Holzarten verwendet – von den rosafarbenen Tönen des Tulpenbaums bis hin zum seltenen, dunklen Makassar-Ebenholz. Dadurch entsteht eine Vielfalt an Farben und Nuancen.
Die Herstellung von Intarsienzifferblättern dauert etwa 50 Stunden, in denen der Handwerker etwa 200 Halme bearbeitet. Der Lieferant von Cartier versorgt die Maison mit rund 60 verschiedenen Farben. Während manche Hölzer besonders farbenfroh sind, weil sie eingefärbt sind, werden andere nur durch Hitze abgedunkelt. Um das Holz auf natürliche Weise zu färben, wird das Stroh vorsichtig in heißem Sand eingelegt, wodurch sich die Farbe des Materials über bestimmte Zeiträume hinweg verändert. Am Ende des Intarsienprozesses wird ein Lack hinzugefügt, um der Alterung des Strohs entgegenzuwirken. Somit sind die natürlichen Materialien gegen UV-Strahlen resistent.
Während das Licht durch die Holzbanken und die Glasscheiben strömt, die den Blick auf die melancholische Schweizer Landschaft mit ihren tiefhängenden Wolken freigeben, wird mir hier in diesem ruhigen kleinen Loft klar, dass die Intarsienkunst der perfekte Ort ist, um unseren Rundgang durch die Schatzkammer von Cartiers Métiers d’Art zu beenden. Vor vierhundert Jahren diente das Stroh, aus dem die prächtigen Uhrenkunstwerke gefertigt werden, als Futter für das Vieh, das seine Hufe auf denselben Steinböden stampfte. Die Chronik dieses kleinen Schweizer Bauernhauses hat sich gewandelt und haucht alten, über die Jahrtausende hinweg erhaltenen Handwerkskünsten neues Leben ein, während Cartier unerschütterlich in die Zukunft schreitet.
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