Eine Einladung in die heiligen Hallen der Patek Philippe Manufaktur ist eine besondere Ehre – ein Uhrensammler aus unserer Community berichtet von seiner außergewöhnlichen Reise.
Vorfreude! Angeblich, so wird zumindest gern dahingesagt, ist es die schönste der Freuden. So gesehen waren es herrliche Jahre die Patek Philippe mir – aufgrund der Covid-Pandemie – bereitet hat. Es ist auf jeden Fall schon ziemlich lange her, dass der Patek-Philippe-Konzessionär meines Vertrauens anrief und fragte: „Sagen Sie, hätten Sie vielleicht Interesse und Zeit das neue Manufaktur-Gebäude mit uns zu besichtigen?“ Vielleicht? Selbstverständlich! Aber genau diese Art von feiner Zurückhaltung, diese Allgegenwärtigkeit von Form und Stil, auch sie macht den besonderen Charme dieser Manufaktur aus. Ich würde sagen: Es passt zu mir, wäre da nicht der Umstand, dass ich dazu neige ausgerechnet bei Patek Philippe all das zu vergessen. Darum antwortete ich: „Jawoll, selbstverständlich, wie toll ist das denn – wann geht es los?!
Mir wurde ein erster Termin genannt, und Patek Philippe sagte den Besuch dann doch wieder ab. Zwei Mal ging das so, aus Monaten wurden Jahre des Wartens. Es blieb: Vorfreude! Und Verständnis, denn der Schutz der Mitarbeiter und die Sicherstellung der Produktion war dann eben doch etwas wichtiger als Gäste nach Genf zu fliegen. Zugleich wurde jedes Mal das Versprechen gegeben: „Wir holen das nach!“ Und dann ist es tatsächlich doch so weit. Mit nicht ganz einem dutzend Sammler samt Begleitungen und zwei Mitarbeitern des Konzessionärs treffen wir uns am Flughafen. Genauer: Am General Aviation Terminal für Geschäftsflieger. Denn zum Patek-Philippe-Manufaktur-Erlebnis gehört auch die Anreise im Charter-Flugzeug. Linie fliegen? Macht Thierry Stern dem Vernehmen nach schließlich auch nicht.
Vor der Besichtigung des Genfer Patek-Philippe-Kosmos steht also erst einmal das Beäugen der Gleichgesinnten. Die meisten von ihnen kennen sich bereits, denn gute Konzessionäre bringen ihre Sammler immer wieder bei unterschiedlichsten Gelegenheiten zusammen, und bauen so Jahrzehnte überdauernde Bande der Verbundenheit auf. Allein der Autor dieser Zeilen ist noch recht neu dabei, was die Frage mit sich bringt, wie man denn Bitteschön auf so eine Traum-Reise für jeden Freund der Uhrmacherei eingeladen wird? Die Antwort: Es ist Ermessenssache der Gastgeber, also von Konzessionär und Patek Philippe. Ein besonders guter Kunde zu sein hilft selbstverständlich. Alternativ als Kunde mit Wachstumspotential betrachtet zu werden ebenso – hier würde ich mich selbst einordnen. Begeisterung für die Marke hingegen ist sicherlich Grundvoraussetzung.
Meine Mitreisenden präsentieren sich in den kommenden Tagen als maximal divers. Es mag zwar überdurchschnittlich viele Unternehmer unter ihnen geben, doch ansonsten eint sie allein die Passion für Patek Philippe. Von Anfang dreißig bis Ruhestands-Seniorität liegt die Altersspanne. Von Philipp Plein und Dolce & Gabbana bis Hermès und Loro Piana die Fashion-Vorlieben. Älteres trifft auf neueres Geld, hochmoderne Gentlemen auf Grandseigneurs alter Schule, und auch bei der Wahl der „Manufaktur-Reise-Uhr“ zeigen sich die unterschiedlichsten Geschmäcker: Ein Herr trägt eine Vintage-Calatrava, ersteigert vor vielen Jahren. Der andere hat seine neue Referenz 5204G, den dunkelgrünen Schleppzeiger-Chrono mit ewigem Kalender dabei. Einer sammelt ausschließlich Weltzeit-Uhren. Der andere hat eine gelbgoldene 5970J am Handgelenk, den klassischen Chronographen mit ewigem Kalender.
Ref. 5970J
Credit © Christies
Das erste Glas Champagner wird serviert, und einen Kurzstrecken-Flug später findet man sich beim Lunch in einem der Genfer Fünf-Sterne-Hotels, vor dem Yannick Michot, seines Zeichens seit Jahrzehnten Leiter der Deutschen Patek Philippe, als Empfangs-Komitee steht. Gemeinsam besucht unsere Gruppe am Nachmittag das Patek Philippe Museum, gemeinsam geht es zum Dinner in einem Spitzen-Restaurant mit Blick auf den Genfer See, und während die untergehende Sonne alles in ein rosarotes Licht taucht ist den Reisenden schon jetzt noch einmal etwas klarer: Ihre Sehnsuchts-Marke hat Klasse. Doch so schön der erste Tag war, die Spannung auf den kommenden ist noch größer.
Die neue Manufaktur PP6
Die Manufaktur ist schließlich der Ort, wo die Wunschträume der Sammler zu Wirklichkeit werden, und das neue Gebäude „PP6“ steht für alles, was Patek Philippe in den letzten Jahrzehnten geschaffen hat: Das Wachstum, die steten und erheblichen Investitionen in die Produktion und die Qualität. Ein Ort, der hochmodern anmutet, und gleichzeitig der langen Tradition des Hauses gerecht wird.
Zehn Stockwerke, vier davon unterirdisch, 189 Meter lang, 67 Meter breit, über 130.000 Quadratmeter. Viel Glas, viel Licht, ein paar hundert Millionen Franken Bauvolumen. Ein Gebäude mit klaren Linien und weitläufigen Räumlichkeiten. Einige Etagen haben die sterile Anmutung einer Klinik, andere eher den Charme eines Luxus-Penthouses.
Die Führung beginnt im zweiten Stock, wo Gehäuse und Teile für Armbänder mit Hilfe von CNC-Maschinen entstehen und danach montiert und handpoliert werden. Der Anblick all der Nautilus-Armbänder und Gehäuse lässt einen kurz vergessen, wie rar das Modell im Verhältnis zur jährlichen Produktion ist. Und ist das dort drüben in den Sortiergittern etwa ein Gehäuse, das es in der Kollektion bislang noch nicht gibt? Bevor man genauer schauen und vergleichen kann geht es leider schon weiter in den ersten Stock, wo Bauteile für die Uhrwerke finissiert werden.
Die vierte Etage wiederum ist den „Rare Handcrafts“ gewidmet, den dekorativen Handwerkskünsten wie Gravur und Guillochierung. Diese Räume sehen wir heute nicht, es wird schließlich gerade an einer neuen Kollektion gearbeitet, dafür wird uns in einem Präsentationsraum dieses Handwerk näher gebracht – gefolgt von einem absoluten Höhepunkt: Die Vorlage fast aller aktuell in Produktion befindlichen Minutenrepetitionen. Allein die recht neue 5316/50P-001 fehlt, aber die habe ich mir glücklicherweise schon am Vortag bei einem Blitzbesuch im Salon an der Rue du Rhone angehört und angesehen.
Minutenrepetitionen gelten als typisch Patek Philippe, Seniorchef Philippe Stern hat diesen Teil der Kollektion über Jahrzehnte gepflegt und aufgebaut, exklusiver wird es kaum. Jede Minutenrepetition, die das Haus verlässt, geht heute durch die Hände von seinem Sohn Thierry Stern, dem heutigen Präsidenten des Hauses, der die Klangqualität prüft. Zugegebenermaßen war ich bis zu diesem Zeitpunkt immer etwas ratlos wenn darüber gesprochen wurde. Die ein oder andere Minutenrepetition unterschiedlicher Häuser war mir über die Jahre schon begegnet, und für sich allein genommen faszinierte eigentlich jeder Klang. Oft rühmten die Besitzer ebendiesen als erstklassig, mitunter auch relativierend als „fast so gut wie eine Minutenrepetition von Patek Philippe!“
Patek Philippe Minutenrepetition Referenzen obere Reihe: 5078, 5178, 5531, 5374, 5208
Untere Reihe: 5207, 5316, 6002
Was damit gemeint ist, das erfahre ich hier in dieser Präsentation. Erst nebeneinander ausgelöst, vorzugsweise vor einem Blatt Papier, erschließt sich die Magie des von Referenz zu Referenz und von Edelmetall-Gehäuse zu Edelmetall-Gehäuse variierenden Sound. Den Versuch die herausragende Klangqualität dieser Glockenspiele fürs Handgelenk in Worten zu beschreiben erspare ich mir an dieser Stelle. Eine höchst subjektive Favoritenliste aber folgt: Die skelettierte, roségoldene Referenz 5303 klingt in meinen Laien-Ohren am vollkommensten, dicht gefolgt von der weißgoldenen 5178.
Ref. 5303R
Ergänzende Komplikationen wie Ewige Kalender und Chronographen und deren zusätzliche Bauteile haben selbstverständlich Einfluss auf den Klangkörper und somit die Akustik, die bei Patek Philippe dennoch ein einzigartiges Niveau hat. Kein Wunder, dass Sammler um die wenigen produzierten Stücke von Referenzen wie die 5208 (mit Chronograph und Ewigem Kalender), 5374 (mit Ewigem Kalender und Mondphase) oder eben 5316 (mit Tourbillon, Ewigem Kalender und retrogradem Datum) wetteifern. Seit diesem Besuch klingen die allerallermeisten Minutenrepetitionen von anderen Manufakturen allemal weniger eindrucksvoll. Zwanzig Minuten Präsentation haben mich zu einem „klingt fast so gut wie eine Patek Philippe“-Snob gemacht.
Referenzen: 5208 (mit Chronograph und Ewigem Kalender), 5374 (mit Ewigem Kalender und Mondphase), 5316 (mit Tourbillon, Ewigem Kalender und retrogradem Datum)
Der Chef kommt zum Mittagessen
Nicht unerwähnt bleiben darf auch das Mittagessen. Unter dem Dach von „PP6“ findet sich die Kantine für die Mitarbeiter. Von hier oben blickt man auf die Genfer Landschaft um einen herum herab, und fühlt sich an der Spitze der edelsten Uhrenmarke der Welt angekommen. Hier finden sich auch die die VIP-Salons, in die wir nun geführt werden. Die Räumlichkeiten sind in sanften Farbtönen gehalten, die Tische eingedeckt wie in einem Drei-Sterne-Restaurant, und auf einmal steht Thierry Stern im Raum, der in vierter Generation das Haus leitet. Er kommt in Begleitung von Claude Peny, dem früheren Generaldirektor des Unternehmens, und beide Herren plaudern während des Dreigang-Menüs über die Schönen und die Teils Fordernden Aufgaben bei der Führung eines Hauses wie Patek Philippe.
Credit @Studio Schöttger
Zur Sprache kommen Ideen für Uhren, die nie realisiert wurden, und auch die stete Suche nach qualifizierten Mitarbeitern sowie die Folgen des Trends zum Home-Office. Stern und Peny stellen sich sämtlichen Fragen, und es ist offensichtlich, dass sie trotz des großen Erfolges der Marke nie damit aufhören, sich ihre Kunden ganz genau anzuschauen und ihnen zuzuhören. Regelmäßig kommen Kundengruppen aus aller Welt in die Manufaktur, das ist nicht nur ein Erlebnis für die Gäste, es ist auch die beste Form der Marktforschung, und so jovial Thierry Stern auch auf den ersten Blick wirken mag, er analysiert zutreffend und schnell, und vergisst dabei keine Sekunde für und mit Patek Philippe zu denken.
Ein letzter Höhepunkt wartet auf die Besucher unmittelbar vor der Abreise: Wir betreten Räume, die in dunklem Patek-Philippe-braun gehalten sind, und in Regalen sehen wir unzählige Buchbände. In ihnen finden sich die Referenzen und Seriennummern aller jemals hergestellten Uhren des Hauses, es ist ein Archiv über all das, was die Manufaktur in all den Jahrzehnten zu dem gemacht hat, was sie heute darstellt. Von hier aus werden wir in einen abgedunkelten Raum geführt, in dem wir uns im Kreis um Präsentationstische stellen. Hier werden uns sämtliche in Produktion befindliche Referenzen gezeigt: Von der Calatrava bis zum Ewigen Kalender mit Chronographen-Funktion und Rubin-Lünette. Wer lästern möchte kann nun denken: Wir sind am vertriebsorientierten Teil der Reise angekommen. Tatsache aber ist: Abgesehen vom Genfer Salon kenne ich keinen einzigen Konzessionär, der im Normalfall so viele Uhren zur Vorlage im Tresor hat. Dies hier ist die einmalige Gelegenheit wirklich alles zu sehen, nebeneinander zu vergleichen, und ja, sicherlich hilft es dabei weitere oder auch nur konkretere horologische Träume zu entwickeln. Unsere Begleiter vom Konzessionär haben allemal ein wohlwollendes Auge darauf, was besonders gut gefällt.
Ref. 5270J-001
Am Ende bleibt: Das Gefühl die Manufaktur seines Herzens erlebt zu haben, und die Marke und ihre Menschen noch besser zu kennen und zu verstehen. Natürlich, so ein Besuch schafft besondere Verbundenheit, darum organisieren ihn die netten aber eben auch umsatzorientierten Gastgeber. Gleichzeitig ist es alles andere als eine Verkaufsreise, es geht mehr um das Gefühl für die Manufaktur. Ich blicke beim schreiben dieser Worte auf meine Calatrava Ref. 6119G-001 am Handgelenk, und wünsche mich nach Genf zurück.
Ref. 6119G-001
Ja, so ein Besuch im Herzen des Hauses Patek Philippe würde vermutlich fast jeden zu einem Verehrer dieses besonderen Unternehmens machen. Dass ich schon vorher einer war, das ist kein Geheimnis. Selbst muss ich nun leider in Erinnerungen schwelgen. Unter Sammlern wird zumindest kolportiert, dass Patek Philippe seine Konzessionäre dazu ermutigt Kunden mitzunehmen, die noch nie in der Manufaktur waren. Hinter meinem Namen steht nun ein Haken. Das macht extrem glücklich, und zugleich blicke ich auf die Jahre der Vorfreude vor diesem Besuch noch einmal anders – als einen besonderen Wert für sich.