Sie lieben Zeitmesser und machen daraus kein Geheimnis. Unsere Horologie-Fachsimpler Philippe und Alexander im Gespräch über die Watches & Wonders 2025 und die Nachwirkungen der Messe.
Alexander: Es sind nun schon ein paar Tage seit der „Watches & Wonders“ vergangen – was hast Du an bleibenden Eindrücken mit nach Hause genommen?
Philippe: Zum einen ganz klar: Wie großartig es auch abseits der Messehallen in diesen Tagen ist! Die „Watches & Wonders“ macht aus der ganzen Stadt Genf eine Art „Open House“ der Uhrmacherei. Ich weiß, dass Du praktisch die ganze Woche in den Messehallen verbracht hast, aber ich kann wirklich nur dazu raten sich mindestens einen Tag auch all den anderen kleinen Manufakturen und Independents vor Ort zu widmen. Von Rexhep Rexhepi über Simon Brette hin zu Sylvain Berneron und den Jungs von MB&F. Bei denen geht es zu einem guten Teil vor allem darum die Leidenschaft für Uhrmacherei zu teilen und zu verbreiten.



Die Sammler in diesem Segment sammeln auch anders. Wenn man das so sagen kann: Da sind die Beweggründe und die jeweilige Ratio warum man eine Uhr kauft meinem Eindruck nach ganz anders als bei den großen Marken. Entsprechend entspannt war auch überall die Stimmung dort, bei deren geringen Stückzahlen haben selbst US-Zoll-Nachrichten kaum Eindruck hinterlassen. Man wird bei solchen Herstellern durch die Uhr einfach Teil einer Familie. Ich werde zum Beispiel vielleicht nie in meinem Leben eine Rexhep Rexhepi kaufen dürfen, und trotzdem habe ich als eine Art freiwilliger Guide in der Altstadt vor den Werkstätten Leuten die zufällig vorbeikamen von Rexhep‘s besonderen Uhren vorgeschwärmt.

Gleichzeitig fand ich aber auch den Besuch der „Watches & Wonders“ unfassbar beeindruckend. Da muss man sich nur die „Solaria“ von Vacheron Constantin anschauen: Was für eine Uhr! So kompliziert, und trotzdem – zumindest theoretisch – in einem tragbaren Format und Design. Glaubst Du, dass sich Thierry Stern von Patek Philippe bei der Nachricht von dieser kompliziertesten Uhr der Welt an seinem Espresso verschluckt hat?

Alexander: Nein, der ist glaube ich nicht so leicht aus der Ruhe zu bekommen. Zum einen hat Patek Philippe eine sehr breit gefächerte und starke Auswahl an Neuheiten präsentiert, zum anderen kommuniziert die Marke insgesamt anders als beispielsweise Vacheron Constantin. Tatsächlich war ich aber unfassbar beeindruckt von deren Messe-Auftritt: Angefangen bei der „Solaria“, aber auch die anderen Neuheiten rund um das 270-jährige Jubiläum waren konsequent und richtig gut. Es kann wirklich nicht überraschen, dass Vacheron Constantin in den letzten Jahren so stark gewachsen ist. Gleichzeitig darf man nicht übersehen: Die „Solaria“ ist ein Einzelstück, dass in der Entwicklung extrem aufwendig gewesen sein muss. Thierry Stern wiederum produziert Referenzen wie die 6300 als Teil seiner regulären Kollektion, und auch wenn die Stückzahlen gering sind, dürfte der Preis von 3,1 Millionen Euro und mehr gute Umsätze generieren.



Philippe: Absolut. Für mich waren die Neuheiten von Patek Philippe totale Sammler-Zeitmesser. Es war vielleicht nicht die eine Sensation dabei, mit der man das Internet lahmlegt, dafür aber eine ganze Reihe von Modellen, die für Fans der Marke spannend sind. Die Platin-Calatrava „Referenz 6196P“ zum Beispiel ist für mich ein totaler Showstopper gewesen – persönlich suche ich bei Uhren nach etwas anderem, aber wenn man klassische Dresswatches mag, dann führt an dieser Neuheit eigentlich kein Weg vorbei. Oder die „Referenz 6159G“, der Ewige Kalender mit retrograder Datumsanzeige und dem Zifferblatt aus Saphirglas: Die Komplikation als solche hat mich bei den Vorgänger-Referenzen nie angesprochen, die waren mir einfach zu senior. Diese Variante ist nun in meinen Augen die perfekte, moderne Patek.


Alexander: Unbedingt! Insgesamt lässt sich nach den Genfer Tagen festhalten: Die Marken und Manufakturen haben Lust voranzugehen. Das macht die Jagd auf Rekorde natürlich besonders gut sichtbar: Von Vacheron Constantin haben wir schon gesprochen, Ulysse Nardin hat die leichteste Taucheruhr der Welt präsentiert, Bulgari das flachste Tourbillon, Grand Seiko mit der „Spring Drive U.F.A. SLGB003“ aus der „Evolution 9 Kollektion“ ein Modell, dessen Gangabweichung nicht mehr in Tagen oder Monaten gemessen wird, sondern bei 20 Sekunden pro Jahr liegt.



Und dann gibt es zahlreiche Indikatoren dafür, dass auch jenseits von Rekordjagden großer Ehrgeiz allgegenwärtig ist: Nomos baut mit der „Club Sport Neomatik Weltzeit“ nicht nur einen erstaunlich flachen Worldtimer zu einem fairen Preis, man wagt sich mit dem agilen Modell auch in ein eher ungewohntes Terrain. IWC veredelt unterdes die „Ingenieur“ in Goldvarianten und mit einem Ewigen Kalender. Und Rolex hat mit der „Land-Dweller“ bekanntermaßen die Messlatte besonders hoch angelegt: Mit einer komplett neuen Modellreihe und einem Maßstäbe setzenden Werk.



Philippe: Eine tolle Uhr – auch wenn ich mich in die neuen „Daytona“-Varianten mit Oysterflex-Band und Meteoritenblatt noch etwas mehr schockverliebt habe! Im Gegensatz zu Dir habe ich die „Land-Dweller“ auch noch nicht am Handgelenk gehabt – falls man bei Rolex das im nächsten Jahr anders halten will: Ich stehe bereit! – aber die Uhr zeigt für mich das Beste aus beiden Welten: Der Look ist von der Vergangenheit inspiriert, während das neue Werk mit dem Sichtboden für mich ganz klar die Richtung für künftige Veränderungen und Entwicklungen vorgibt. Außerdem ist es brillant mit dieser Produktfamilie das Preissegment zwischen Oyster Perpetual und Day-Date zu besetzen, dabei aber vermutlich diese beiden Linien unter- und oberhalb nicht zu kannibalisieren, sondern einfach noch einmal einen gewaltigen Umsatzsprung zu machen. Und das mit einem richtig guten Produkt.



Alexander: Tatsächlich kann man kaum daran vorbeisehen, dass wirklich alle Marken preislich nach oben streben. Egal in welchem Segment man sich umschaut: Überall werden die Preise erhöht. Ich will hier nicht einzelne Modelle besprechen, aber wenn ein relativ schlichtes Quarzmodell mit Kautschukband für fast 2.000 Euro vorgestellt wird, oder andere Marken sich preislich auf Patek- oder Rolex-Niveau betrachten, ohne auch nur annährend deren Wertbeständigkeit zu haben, dann bin ich wirklich immer wieder erstaunt.
Philippe: Da schätze ich dann Häuser wie Frederique Constant sehr, die ihren Ewigen Kalender überarbeitet haben, und den für unter 10.000 Euro anbieten. Was die machen finde ich ganz grundsätzlich gut und sinnvoll: Klassische Uhren mit einer ansprechenden Optik und Produkt-Qualität und einem starken Preispunkt.

Alexander: Absolut, mit etwas Abstand betrachtet schätze ich nach dieser Messe besonders jene Häuser, die sich mit einer besonderen Geschichtenerzählung rund um ihre Neuheiten abheben: Das fängt bei Ressence mit der ölgefüllten „Type 7“ mit Titanband an, und hört bei den romantischen Komplikationen von Van Cleef & Arpels und Hermés noch lange nicht auf.


Philippe: An dieser Stelle muss ich dann aber auch Cartier noch erwähnen. Dort hat man in den vergangenen Jahren sehr vieles richtig gemacht. Vom Luxus-Einstiegsbereich bis zum Top-Sammlersegment bedient die Maison Kunden mit sehr unterschiedlichen Ansprüchen, und das mit Erfolg. Was sich dann auch in der Privée-Kollektion zeigt, wo von den vier verschiedenen Modellen der „Tank a Guichets“ nur eine Platinversion noch numerisch limitiert ist. Das war im letzten Jahr noch anders. Ich finde die Uhr toll, und finde Cartier darf aus gutem Grund selbstbewusst auftreten – für mich trifft die Maison den Zeitgeist perfekt, und vergisst dabei ihre Geschichte niemals. Wenn das alle Hersteller auf der „Watches & Wonders“ auf diesem Niveau beherrschen würden, dann ginge es der Branche deutlich besser.
