Wenn man sich mit Catherine Rénier über Uhren unterhält, spürt man sofort, welche Begeisterung, tiefen Respekt und Demut die CEO von Jaeger-LeCoultre für die Uhrmacherei empfindet. Wir trafen Catherine Rénier in München anlässlich der neuen Boutique Eröffnung auf Münchens prestigeträchtiger Maximilianstraße, der weltbekannten Einkaufsstraße, die u.a. Chanel, Hermès, Ralph Lauren und viele andere zu ihren wohlhabenden Mietern zählt. Wir sprachen mit Catherine Rénier neben der Uhrmacherei der Maison (Jaeger-LeCoultre hat in ihrer über 190-jährigen Geschichte über 1400 Kaliber entwickelt) auch über den Stellenwert eines ausgewogenen Netzwerkes zwischen E-Commerce, Monobrand- und Multibrand-Stores, über ein Gegengewicht zur ikonischen Reverso und durften erfahren, warum Lenny Kravitz der ideale Markenbotschafter ist.
Welche Bedeutung hat eine mechanische Uhr für Sie persönlich? Welche Uhr tragen Sie heute und welche tragen Sie am häufigsten?
Mich fasziniert die Einschränkung in der Größe und Miniaturisierung, die uns die Uhrmacherei auferlegt. Ich sehe ein Objekt, das ästhetisch und tragbar ist und gleichzeitig Stößen und Wasser standhalten kann. Wir brauchen solche künstlerischen Objekte als Ausgleich zu unserer schnelllebigen Welt, in der alles immer sofort verfügbar sein soll und in der die Digitalisierung überhandnimmt. Mit ihrer Handwerkskunst und ihrem Erbe vermittelt die Uhrmacherei wichtige Botschaften und Werte.
Heute trage ich die Uhr, die ich am häufigsten trage. Es ist eine Reverso in einer meiner Lieblingsfarben – die Reverso Tribute Small Seconds in Weinrot– und die erste Uhr, die ich in meiner Funktion als CEO von Jaeger-LeCoultre auf der Watches and Wonders 2019 präsentiert habe. Für mich symbolisiert sie meine Ankunft in der Maison und die gesamte Arbeit, die damals begann und die wir für die Reverso geleistet haben. Ich habe meinem ältesten Sohn eine blaue und meinem jüngsten eine grüne geschenkt. Diese hier wird meine Tochter bekommen. Es ist also meine Lieblingsuhr.
Sie blicken jetzt auf fünf Jahre bei Jaeger zurück. Was hat Sie in Bezug auf das Produkt am positivsten überrascht? Und was hat sich in Bezug auf die Strategie bewährt und was vielleicht nicht ganz?
Was mich am meisten überrascht hat, ist die Komplexität der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung eines Zeitmessers. Die Zeit, das Unbekannte bis zum letzten Moment, wenn alles getestet wurde. Und ich glaube immer noch, das nicht jeder – selbst, wenn er über ein hohes Maß an Wissen über Uhren verfügt – die großartige Arbeit, den Anspruch und die Standards versteht, die in diesen Zeitmessern stecken. Ich meine damit, die Komplexität des Mechanismus, die Herausforderung der Miniaturisierung und die Tatsache, dass sie darüber hinaus tragbar, wasserfest, korrosionsfest und langlebig sein müssen. Das war ein großer Lernprozess und eine große Herausforderung für mich, die mir natürlich die Augen geöffnet haben.
Und was hat oder hat nicht ganz so funktioniert, wie Sie es geplant haben? Oder wo hätten Sie sich gewünscht, dass es schneller geht?
Alles (lacht). Ich meine, manche Dinge gehen schon schnell genug, aber viele und manchmal nicht ganz so komplexe Komponenten wie ein neues Metallarmband oder ein neues Farbzifferblatt können Jahre brauchen. Natürlich hätte ich mir manchmal ein Wunder gewünscht, wo Dinge über Nacht erledigt gewesen wären. Und was die Produktstrategie betrifft, so hat es sich für uns bewährt, dass wir uns weltweit auf die Reverso mit neuen Komplikationen konzentrieren, die wir wieder in die Kollektion zurückbringen, was seit den 1990er Jahren nicht mehr der Fall war. Der Chronograph, den wir dieses Jahr vorgestellt haben, ist eine völlig moderne Neuinterpretation des Chronographen von 1996, allerdings nicht was die Ästhetik angeht. Die Reverso war schon immer das Herzstück der Maison, aber ich denke, sie brauchte ein neues Rampenlicht, und das haben wir ihr in den letzten Jahren mit großem Erfolg gegeben.
Gibt es eigentlich ein Gegengewicht zu der sehr stark polarisierenden Reverso?
Ich denke die Maison ist ziemlich ausgeglichen. Die Reverso ist historisch gesehen eine Referenz, insbesondere für europäische Länder. Aber wir haben auch die Master-Kollektion aus den frühen 90ern und die Rendez-Vous, die 2012 auf den Markt kam, und beide sind ebenfalls äußerst erfolgreich. Polaris ist neuer und entwickelt sich daher auch noch, aber sie wächst stark. Natürlich fokussieren wir uns auch auf die Haute Horlogerieund verleihen diesem Segment neuen Schwung. Wie die Haute Couture in der Mode steht diese Produktkollektion im Mittelpunkt unserer Kreativität und Innovation.
Es ist sehr interessant, die Entwicklung der Polaris in den letzten Jahren zu beobachten. Sie haben jetzt kompliziertere Modelle wie einen Ewigen Kalender eingeführt. Vor Kurzem haben Sie auch sportlichere Chronographen mit grauem Zifferblatt vorgestellt. Ist die Polaris somit Jaeger-LeCoultres Plattform, um mit Komplikationen zu spielen – so wie Sie es bei der Reverso tun?
Die Maison hat mit dem Gyrotourbillon und der Reverso Quadriptyque eine hohe uhrmacherische Bedeutung. Die Polaris bleibt mit einem Chronographen und einem Ewigen Kalender, den wir letztes Jahr eingeführt haben, im mittleren Bereich der Komplikationen. Wir haben die Polaris-Kollektion durch zwei Entwicklungen aufgewertet: Zuerst durch den Ewigen Kalender, der ein sehr wichtiger und entscheidender Meilenstein war. Er wurde sehr gut aufgenommen und rückte die Kollektion in ein ganz neues Licht. Die zweite Entwicklung sind die lackierten Zifferblätter mit Farbverlauf, die auf dem Chronographen zu finden sind. Ich denke, dass Polarismit diesen farbigen Zifferblättern, die durch den Farbverlaufseffekt extrem hochwertig sind, und dem Kautschukarmband, das ihr einen Hauch von Modernität verleiht und sie zu einer sportlich-eleganten Uhr macht, eine eigene Geschichte innerhalb unseres Portfolios erhält. Polaris entwickelt sich gut und wächst besonders stark. Sie wurde vor fünf Jahren neu aufgelegt, also gibt es noch eine lange Geschichte zu erzählen.
In den letzten Jahren haben wir erlebt, dass Uhrenmarken ihre Kollektionen auf wenige Kernprodukte reduziert haben, um für die Kunden unverwechselbarer zu sein. Bei Jaeger-LeCoultre verfügen Sie über ein ziemlich umfangreiches Portfolio, von Sportuhren bis hin zu Haute Horlogerie. Was haben Sie seit Ihrem Start bei Jaeger-LeCoultre verändert?
Wir haben die Reverso als eine Ikone, die wir weltweit vertreten. Damit ist sie zu einer Stimme und einem Gesicht in Europa und darüber hinaus geworden. Wir haben die Master, die Rendez-Vous und die Polaris. Das waren die vier Hauptkollektionen, als ich zur Maison kam. Wir haben die Anzahl der Referenzen minimiert und nicht jede Kollektion durch viele limitierte Editionen verwässert. Wir fokussieren uns wirklich darauf starke Fundamente zu bauen, die die Zeit überdauern. Somit gab es für jede Kollektion in den letzten fünf Jahren wichtige Produkteinführungen: bei der Polaris zum Beispiel der Ewige Kalender und bei der Master der Kalender und der Chronographenkalender. Die beiden fanden sehr großen Anklang und sind für die kommenden Jahre gut aufgestellt. Bei der Reverso sind es die farbigen Zifferblätter und der neue Chronograph, die den Beginn einer Reihe an Komplikationen in der Reverso-Kollektion darstellen. Bei der Rendez-Vous ist es das obere Ende des Spektrums, das wir mit einigen Komplikationen und Métiers Rares-Stücken belebt haben.
Sie haben den steigenden CPO-Trend mit einer sehr charmanten Idee aufgegriffen und „The Collectibles“ lanciert. Folgen Sie dabei nur dem Trend oder ist das ein einzigartiger Ansatz von Jaeger-LeCoultre?
Das ist etwas anders, denn für die CPO-Uhren gibt es in der Regel einen kleineren Zeitrahmen. Es ist reines Second-Hand-Geschäft. Für uns ist The Collectibles eine Wiederbelebung des Erbes von Vintage-Uhren mit sehr geringen Stückzahlen, da es Zeit kostet, solche außergewöhnlichen Zeitmesser zu finden und natürlich zu restaurieren. Die Idee hinter diesem Projekt ist es, den emblematischen Kalibern, die wir im Laufe der Jahre hergestellt haben, Tribut zu zollen. Wir haben ein Portfolio von 1.400 Kalibern, die wir für uns und andere Häuser herstellen. Daher hielten wir es für eine gute Idee, 17 dieser Kaliber auszuwählen, die wir in The Collectibles anbieten. Diese Stücke stammen aus den 1920er- bis 1970er-Jahren, denn das war eine sehr intensive Ära für die Uhrmacherei. Damals waren Uhren Hilfsmittel, die man etwa zum Tauchen trug oder um sich an die Parkzeit zu erinnern. Die Uhren waren die digitalen Werkzeuge, die wir heute haben. Sie verfügten über nützliche Funktionen, die Innovationen förderten.
Bei The Collectibles kaufen wir die Uhren auf dem Markt und bringen sie in die Manufaktur zurück, wo wir sie in unserer Restaurierungswerkstatt nach den Plänen der damaligen Zeit aufarbeiten. Am Ende sind es ein paar Dutzend Stücke in jeder Capsule Collection. Aber es ist etwas, das uns stolz macht, weil wir die Uhren wirklich dorthin zurückbringen, wo sie geboren wurden, wo sie ursprünglich hergestellt wurden. Es geht darum, eine voll integrierte Manufaktur mit einer solchen Tradition in der Kaliberherstellung zu sein.
Wird dieses Projekt fortgeführt und erweitert?
Es wird nach den gleichen Grundsätzen fortgeführt. Wir könnte die Auswahl an Kalibern erweitern, aber wir sind ja erst vor einem Jahr damit gestartet. Wir haben nun zwei Capsule Collections und ich denke, es gibt immer noch Gelegenheiten, diese von uns handverlesenen, bisherigen 17 Stücke zu zelebrieren.
Was haben Sie bisher aus dem Projekt gelernt? Hat das Ihre neuen Produkte auf irgendeine Weise beeinflusst?
Mir hat es die Augen für die Geschichte der Uhrmacherei geöffnet. Wenn man die Geschichte der Kaliberherstellung bei Jaeger-LeCoultre betrachtet, erkennt man, dass wir zu bedeutenden Momenten in der Geschichte der Uhrmacherei beigetragen haben.
All diese sagenhaften Momente habe ich durch Jaeger-LeCoultres Collectibles wiederentdeckt. Und ich habe diese Stücke lieben gelernt, wie zum Beispiel die Memovox Parking. Das sind fantastische Exemplare, aber sie heutzutage herzustellen wäre sehr gewagt. Doch wer weiß. Wir haben so viel Kreativität und Ideen für die Zukunft – wir wenden uns der Vergangenheit mit Respekt zu, gehen aber dennoch unseren eigenen Weg.
Es sind noch 10 Jahre bis zu Ihrem großen Jubiläum.
Ganz richtig. Allerdings kann ich Ihnen sagen, dass wir bereits an den Entwicklungen arbeiten, die diesen Moment definieren werden. Unsere Idee existiert schon jetzt auf Papier und wir arbeiten sie gerade aus.
Sie haben gerade eine neue Boutique in München eröffnet, Ihre erste Monobrand-Boutique in Deutschland. Warum ist dieser Standort so wichtig für Jaeger-LeCoultre? Was bieten Sie in den Boutiquen an, was ein Händler nicht kann oder will?
Für mich ist das eine natürliche Entwicklung unserer Marktpräsenz. Wir sind schon seit langem in Deutschland vertreten. Und ich glaube, dass die Uhrenliebhaber von heute viele Möglichkeiten haben, sich über Marken und Uhren zu informieren. Wir nehmen unsere Kunden als sehr gut informiert wahr. Wenn sie in ein Geschäft kommen, dann wissen sie meistens schon ganz genau, was sie wollen und was sie suchen, denn sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. Der Besuch unserer eigenen Boutique bedeutet also, dass sobald sie durch die Tür kommen, sie tiefer in das Universum von Jaeger-LeCoultre eintauchen wollen. Und das ist es, was wir hier bieten. Es ermöglicht uns, Jaeger-LeCoultre in Bezug auf Innovation, Handwerkskunst, Personalisierung, Geschichte und Uhrwerke näher kennenzulernen. Wir bringen ein Stück weit die Manufaktur in die Boutique. Im zweiten Stock haben wir einen Ausstellungsbereich, den wir auf Rotationsbasis auf die Märkte bringen werden. Für die sehr bewanderte und Uhren-begeisterte, deutsche Kundschaft gibt es immer etwas zu entdecken. Unsere Boutiquen sind wichtig für uns, weil sie unseren Kunden ermöglichen, so tief wie möglich in die Materie einzutauchen – es sei denn, sie kommen zur Manufaktur, was natürlich immer noch eine lange Reise ist.
Was ist das perfekte Verhältnis zwischen Monobrand-Boutiquen, Einzelhändlern und E-Commerce? Was sind Ihre Zukunftspläne?
Ich denke E-Commerce ist ein sehr schöner Service, den wir seit langem fast weltweit anbieten. Während der Pandemie war es natürlich sehr nützlich, dass man trotz der Ladenschließungen mit seinen Kunden in Kontakt bleiben konnte. Wir sehen Online in erster Linie als einen Service, der der Bequemlichkeit dient. Die Kunden gehen online, recherchieren, lesen, vertiefen sich auf unserer Website, kommen zu einer Boutique oder einem Multi-Brand-Store, um sich umzusehen. Und wenn sie dann ihre Wahl getroffen haben, dann können sie direkt im Geschäft einkaufen. Oder wenn es sich um einen Zeitpunkt außerhalb unserer Öffnungszeiten handelt, dann kaufen sie online ein und können das jederzeit von überall aus machen. Letztlich verfolgen wir bei E-Commerce also kein exponentielles Wachstum. Es geht um den Komfort und den Service für unsere Kunden, jederzeit und überall auf Jaeger-LeCoultre zugreifen zu können. Und wir haben eine wunderbare Website, die sehr ausführlich und Storytelling fokussiert ist und auf der man alle unsere Geschichten und Kollektionen finden kann. Wir haben sie für unsere Kunden so übersichtlich wie möglich gestaltet.
Sind Monobrand-Boutiquen für Jaeger-LeCoultre wie für andere Marken der einzige Weg in die Zukunft?
Nein, wie haben ein sehr ausgewogenes Netzwerk. Manchmal hängt es von den geografischen Begebenheiten und der Geschichte des Marktes ab. Wir brauchen unsere Boutiquen für das Erlebnis, den E-Commerce für den Komfort und den Service und die Multi-Brand-Stores für die Geschichte und die Kundenbeziehung. Aber in einigen Regionen wie dem Nahen Osten gibt es kaum Multi-Brand-Stores. Die geografische Lage hängt also auch davon ab, wie sich der Markt selbst entwickelt hat, und nicht nur von Jaeger-LeCoultre.
In den vergangenen Jahren haben Sie öffentliche Ausstellungen, Workshops und Kooperationen mit Künstlern initiiert, um Ihren Anspruch „The Watchmaker of Watchmakers“ wirksam einzusetzen. Ist das auch Ihr Ansatz um ein jüngeres Publikum (Gen Z) zu erreichen und anzusprechen? Welche weiteren Strategien verfolgen Sie, um die nächste Generation zu erreichen?
Der Gedanke dahinter ist recht simpel. Man braucht heutzutage nicht unbedingt eine Uhr. Und ich glaube es ist unsere Pflicht für die Zukunft der Maison und der Industrie die Kunden aufzuklären. Die Welt der Uhrmacherei ist manchmal ein wenig verschlossen für Sammler und, wie Sie wissen, eine Nachahmung dessen, was jeder andere macht. Das ist nicht die Zukunft. Also haben wir beschlossen, unsere Kreativität zu fördern und unsere eigene Geschichte zu schreiben. Deshalb haben wir uns wieder auf die Reverso fokussiert. Die meisten Uhren sind rund. Unsere Ikone ist rechteckig. Stellen Sie sich vor, die am häufigsten getragene digitale Uhr ist auch rechteckig. Damit muss es sich wohl um eine recht praktische und beliebte Form handeln. Außerdem haben wir beschlossen, die Öffentlichkeit durch unsere Ausstellungen an unserer Geschichte teilhaben zu lassen, indem wir unsere Manufaktur für sie öffnen. Wenn man mehr über Wein erfahren möchte, dann nimmt man an Weinkursen teil. Wenn Sie etwas über die Uhrmacherei lernen wollen, weil die Handwerkskunst erstaunlich ist, dann besuchen Sie unsere Manufaktur mit Ihrer Familie. Ob man eine Uhr kauft oder nicht, ist nicht das Entscheidende. Es geht darum, Menschen zu begeistern. Aber im Allgemeinen ermöglicht es, den Wert der Uhren zu erkennen: die Handwerkskunst, das Erbe, die Erfindungen, die Komplexität, die Leidenschaft, die Menschen und die Arbeit, die dahintersteckt.
Manche interessieren sich vielleicht nicht für die technischen Feinheiten. Also wieso sollte man heutzutage eine Uhr kaufen? Es geht um die emotionale Verbindung mit dem Objekt, so wie wenn man Kunst kauft. Wir haben auch diese Dimension eingebracht, indem wir mit Künstlern in unserem „Made of Makers“ Programm zusammenarbeiten, mit Musikern oder digitalen Künstlern interagieren, um ihre Interpretation der Welt zu sehen. Das bedeutet für mich, dass wir ein breiteres Publikum ansprechen und ihm die Tür öffnen.
Und schließlich haben wir all unsere Masterclasses in ein ganz anderes Spektrum eingearbeitet, die wir die Atelier d’Antoine Entdeckerworkshops nennen und von unserem Gründer Antoine LeCoultre inspiriert sind. Die Entdeckerworkshops vereinen theoretisches Expertenwissen mit praktischer Erfahrung zu einem Format, das zur Interaktion anregt. Derzeit bieten wir den Reverso Discovery Workshop, den Sound Maker Discovery Workshop oder den Stellar Odyssey Discovery Workshop an.
Dann haben wir noch die traditionellen Masterclasses für Uhrmacherei (Zusammensetzen des Uhrwerks), Emaillieren oder Gravieren. So wollen wir uns positionieren: über Handwerkskunst sprechen und uns einem möglichst breiten Publikum öffnen. Und natürlich, wenn wir über die Gen Z sprechen: sie findet uns in den sozialen Medien mit dem richtigen Format, dem richtigen Inhalt und dem Ausdruck der Modernität, der zu uns gehört. Wir versuchen nicht modern zu sein, wie eine Sneakers-Marke. Wir sind auf unsere eigene, zeitlose Art modern, weil es bei uns nicht um Mode geht, sondern um etwas, dass Generationen überdauern wird.
Das bringt uns zu einem sehr guten Punkt. Wieso sind Markenbotschafter wichtig für Jaeger-LeCoultre? Wieso ist Lenny Kravitz der ideale Markenbotschafter?
Ich glaube, dass Markenbotschafter das Verständnis vorantreiben, weil die Uhrmacherei von manchen Menschen sehr stark als eine Domaine für Sammler angesehen wird. Und dann erhält sie ein Gesicht, wird personifiziert, man verkörpert die Uhr, die man trägt und erhält einen Überraschungseffekt (Lenny Kravitz trägt eine Tourbillonuhr). Und raten Sie mal: Er ist ein leidenschaftlicher Uhrensammler, er spricht phänomenal über Uhren. Und dann gibt es eine Verbindung, um die es in der Werbung geht. Wissen Sie, hinter diesem Bild steht die sehr lange Geschichte einer 190 Jahre alten Maison. Doch das Bild muss einen Moment erschaffen, an den sich die Leute erinnern und der sie vielleicht neugierig macht. Und dann entfaltet sich all das, von dem ich Ihnen vorhin erzählt habe. Sie gehen online, besuchen unsere Website und vielleicht eines unserer Geschäfte. Lenny Krevitz ist sehr relevant für unsere Maison, weil er wirklich leidenschaftlich ist und ich hoffe, dass er die Neugierde vieler Menschen wecken wird – ob Uhrensammler oder nicht.
WWD Women’s Wear Daily hat Sie gerade als eine der „50 Women in Power“ aufgeführt, zusammen mit Dior-CEO Delphine Arnault, Chanel-CEO Leena Nair oder Siliva Venturini Fendi. Welchen Einfluss hat die Mode heutzutage auf die Uhren von Jaeger-LeCoultre oder auf die Maison im Allgemeinen?
Es besteht eine gemeinsame Basis bei Maisons mit einem starken Erbe und einer starken Handwerkskunst. Ich sehe Haute Horlogerie auf dem gleichen Niveau wie die Haute Couture eines Modehauses. Und dann gibt es auch noch die Konfektionsmode. Die Struktur unserer Kollektionen ist also sehr ähnlich. Der große Unterschied ist, dass die Konfektionsmode saisonalen und jährlichen Trends folgt. Für uns können unsere Produkte ewig halten. Unsere Produkte besitzen eine Zeitlosigkeit, die Mode nicht immer hat. Das bedeutet aber nicht, dass wir uns nicht weiterentwickeln. Wenn man die Reverso von 1931 und die Reverso von heute anschaut, oder den Reverso Chronograph von 1996 und den Reverso Chronograph von heute, dann sind sie nicht dieselben Produkte. Manchmal ist es schwieriger von einem bestehenden Produkt auszugehen und es umzugestalten, ohne seine Identität zu vernachlässigen, als ganz von vorne anfangen zu müssen. Was die Mode macht, ist sehr schwierig. Man muss sich alle sechs Monate selbst neu herausfordern. Die Reverso zu modernisieren, ohne die Reverso zu verändern bedeutet jedoch, dass man die Vergangenheit, die sie erfolgreich gemacht hat, respektieren, aber auch ihre Zukunft gestalten muss. Es ist also auch eine sehr anspruchsvolle Aufgabe.
Sammler werden immer relevanter. Stellt Jaeger-LeCoultre auch Einzelstücke für Sammler her? Oder bieten Sie individuelle Modifikationen bei Modellen mit großen Komplikationen für Sammler an?
Es gibt die einen Sammler der Reverso Tribute Small Seconds und dann gibt es auch noch die anderen Sammler der Hybris Mechanica Uhren. Weil sie leidenschaftlich sind und das lieben, was wir tun, sind beide sehr bedeutend für die Maison. Wenn man über die Haute Horlogerie oder die Haute Couture von Jager-LeCoultre spricht, spricht man nur über ein paar wenige Exemplare. Weltweit produzieren wir zehn Reverso Hybris Mechanica Calibre 185 (Quadriptyque). Von der Reverso Tribute Enamel Hokusai, die wir kürzlich vorgestellt haben, gibt es auch nur zehn Exemplare. Es handelt sich also um sehr wenige Zeitmesser für die wenigen Menschen, die schnell genug sind, an sie heranzukommen. Diese Stücke sind oft innerhalb von ein paar Tagen ausverkauft.
In welche Richtung entwickelt sich Ihrer Meinung nach die Uhrenindustrie?
Was wir tun, bedenken wir immer langfristig. Das bedeutet, was wir heute konzipieren, wird in fünf oder zehn Jahren noch relevant sein. Als die CEO einer solch historischen Maison wie Jaeger-LeCoultre trage ich diese Verantwortung. Wir könnten unsere Strategie auf schnelle Gewinne auslegen. Wir könnten viele limitierte Editionen auflegen, hier und da sehr opportunistisch sein, aber unsere Priorität ist es etwas aufzubauen, das Bestand hat. Wenn die Maison in 2080 The Collectibles herausbringt, dann hoffe ich, dass sie die meisten Modelle aus meiner Zeit aussuchen (lacht).
Und ich denke, dass die Kreativität wahrscheinlich über die großen Mengen siegen wird, denn meiner Meinung nach werden Uhren immer mehr zu Kunstobjekten als zu einem Alltagsgegenstand. Also seien wir kreativ. Konstruieren wir starke, relevante Ikonen und streben wir nach dem Besten in Sachen Leistung und Qualität, anstelle nach einem riesigen Volumen, das sich womöglich nicht ewig halten wird.
Ich glaube, dass es nicht alle Marken überleben werden, denn es ist eine sehr wettbewerbsorientierte und mit Marken übersättigte Branche. Man muss industrierelevant sein und etwas dazu beitragen, um sich zu behaupten. Und die Qualität der Kundenbeziehungen, die Produktrelevanz, die Kreativität der Produkte und ihre Kommunikation werden den Unterschied ausmachen. Man schenkt keine Smartwatch zu einer Hochzeit, denn was soll sie in zwei Jahren schon bedeuten? Sie ist weg. Eine Ehe hält ewig, aber eine Smartwatch nicht. Zu diesen besonderen, bedeutungsvollen Momenten gehören wir. Und das ist, wo wir unseren Weg fortsetzen müssen.