Was bedeutet eine mechanische Uhr für Sie – und wie würden Sie diese faszinierende, kleine Welt aus Teilen und Mechanismen beschreiben?

Das ist eine sehr gute Frage. Als ich 1997 meine Laufbahn in der Uhrenindustrie begann, trug ich tatsächlich eine Uhr mit Handaufzug. Sie wurde schnell zu etwas Besonderem für mich, weil ich sie jeden Morgen aufzog, sobald ich aufstand – sie wurde Teil meiner Identität, fast etwas sehr Privates und Persönliches. Ich empfinde sie als einen Teil von mir selbst, als Teil meiner Seele. Dieses „Tick-Tack“ ist für mich nicht einfach nur ein Beruf – es ist etwas, das ich jeden Morgen brauche, das zu mir gehört.

Wir leben heute in einer sehr digitalen Welt, und doch tragen wir weiterhin mechanische Uhren. Schauen Sie selbst noch häufig auf Ihr Handgelenk?

Ja, sehr oft. Ich schätze die Schönheit des Zifferblatts und die Tatsache, dass es von einem Menschen für einen anderen Menschen gefertigt wurde. Manchmal ist die ständige Flut digitaler Daten einfach zu viel – und dann empfinde ich es als wohltuend, dass eine Uhr reines Handwerk ist. Dieses Gefühl entsteht für mich ganz unmittelbar aus der Kunstfertigkeit, die in ihr steckt.

Könnten Sie die Philosophie hinter Grand Seiko etwas näher erläutern?

Es geht im Kern um Respekt. Als ich vor meinem Einstieg bei Grand Seiko nach Japan reiste, traf ich einen Uhrmacher, der mir sagte, er sehe es als seine moralische Pflicht, der nächsten Generation das weiterzugeben, was er von der Vorherigen erhalten habe – allerdings in noch besserer Form. Diese Haltung hat mich tief berührt und bewegt.

Sie leiten Grand Seiko in Europa nun seit fünf Jahren. Shinji Hattori, Chairman und CEO der Seiko Watch Corporation, riet Ihnen damals, die Dinge langsam, aber sicher und nachhaltig anzugehen – ein eher ungewöhnlicher Rat für eine Führungskraft.

Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt: Grand Seiko wird künftig eine der zentralen Marken der Gruppe sein – sowohl im Hinblick auf die Entwicklung als auch auf die strategische Ausrichtung und Profitabilität. Ich benutze dafür gerne eine Metapher: Herr Hattori hat mir die Marke wie ein Baby anvertraut, das in Europa heranwachsen soll – und genau das passiert gerade. Kürzlich habe ich diese Geschichte mit den Händlern geteilt und ihnen gesagt, dass ich nun an der Reihe bin, ihnen Grand Seiko wie ein Baby anzuvertrauen – und dass es nun an ihnen liegt, die Marke in ihren eigenen Boutiquen mit Sorgfalt und Hingabe großzuziehen.

Wenn man bedenkt, dass dieses „Baby“ nun fünf Jahre alt ist, also Grand Seiko nun seit fünf Jahren unter Ihrer Leitung steht – wie sieht es aus und wie fühlt es sich an?

Es fühlt sich gut an. Der erste Schritt ist getan: Wir verfügen mittlerweile über ein qualitativ starkes und klar strukturiertes Vertriebsnetz in ganz Europa. Inzwischen sind wir in 135 Verkaufsstellen in 23 verschiedenen Ländern vertreten. Unser Ziel ist es eindeutig, eine Marke für die nächste Generation aufzubauen und langfristig zu etablieren. Man darf nicht vergessen, dass wir in Europa erst fünf Jahre alt sind – während die Marke in Japan bereits auf 65 Jahre Geschichte und Erfahrung zurückblickt.

Als Grand Seiko auf den europäischen Markt kam, war die Marke weitgehend unbekannt. Eine Herausforderung war sicherlich auch der Name, da manche Menschen Grand Seiko zunächst mit Seiko verwechseln könnten.

Das sehe ich nicht als große Herausforderung, sondern als große Chance. Vor zwanzig Jahren war Grand Seiko in Europa schlicht kein Bestandteil des Wunsch-Portfolios von Uhrenliebhabern – weil es hier die Marke noch gar nicht gab. Heute ist sie für die neue Generation präsent, und wenn sie künftig nach neuen Marken sucht, gehört Grand Seiko selbstverständlich dazu. In fünf oder zehn Jahren, wenn sie sich ihre Träume erfüllen, könnten sie sich tatsächlich für eine Grand Seiko entscheiden. In diesem Sinne ist es eine Chance – denn Seiko hat Grand Seiko damals das Beste von sich selbst mitgegeben: eine echte Hommage an das Erbe und die herausragende Handwerkskunst von Seiko.

Was hat Sie an der japanischen Kultur am meisten beeindruckt – und welche Bedeutung haben japanische Werte, Ästhetik und Philosophie für die Marke?

Die Japaner haben ein tiefes Verhältnis zu Qualität und Perfektion – und ein enormes Bewusstsein für Respekt. Ich erinnere mich noch gut an meinen ersten Moment in Japan: Als ich aus dem Flugzeug stieg, war ich überwältigt vom Respekt, der einem überall entgegengebracht wird – vom sorgfältigen Umgang mit dem Gepäck bis hin zum tadellos gekleideten Taxifahrer mit weißen Handschuhen. Diese Haltung des Respekts ist für uns als japanisches Unternehmen von zentraler Bedeutung. Auch die Art und Weise, wie wir unsere Botschaft vermitteln, ist eine andere: Unser Marketing ist klar von der Qualität des Produkts getragen – nicht allein vom Image der Marke.

Während meiner Besuche in Japan habe ich auch die Ehrlichkeit der Menschen wahrgenommen. Spiegelt sich dieser Wert auch in den Produkten wider – etwa im Verhältnis von Preis und Leistung?

Als ich zu Grand Seiko kam, stieß ich auf einen Artikel in der New York Times, der genau das betonte. Darin wurden Grand-Seiko-Uhren als „die Uhren, die 5.000 Dollar kosten, aber 50.000 Dollar wert sind“ beschrieben. Das brachte sehr treffend zum Ausdruck, welch außergewöhnliches Preis-Leistungs-Verhältnis Grand Seiko im Vergleich zu anderen Marken bietet.

Wie kann Grand Seiko dieses außergewöhnliche Preis-Leistungs-Verhältnis ermöglichen?

Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens produzieren wir in vergleichsweise kleinen Stückzahlen – rund 45.000 bis 50.000 Uhren pro Jahr. Zweitens verfügen wir über eine vollständig integrierte Manufaktur, was bedeutet, dass wir alle Wertschöpfungsstufen selbst kontrollieren und dadurch effizienter wirtschaften können als andere Hersteller. Drittens produzieren wir in Yen – und da dieser derzeit nicht mehr so stark ist wie früher, ergibt sich daraus ein zusätzlicher Vorteil.

Können Sie das Produktionswachstum der vergangenen fünf Jahre quantifizieren?

Genaue Zahlen kann ich nicht nennen. Das Wachstum war jedoch beachtlich, was auf zwei Faktoren zurückzuführen ist: einerseits auf unsere Produktionsplanung, andererseits – und das ist entscheidend – auf den durchschnittlichen Verkaufspreis. In Europa beispielsweise ist dieser von rund 4.500 Euro im Jahr 2020 auf fast 8.000 Euro im laufenden Geschäftsjahr 2025 gestiegen. Das liegt an der stetigen Weiterentwicklung unserer Uhren, der Kaliber und der neuen Modelle, die wir eingeführt haben.

Welche technischen Entwicklungen haben diesen Anstieg von Wert und Preis maßgeblich vorangetrieben?

In den vergangenen fünf Jahren haben wir jedes Jahr entweder eine neue Produktentwicklung oder ein neues Kaliber vorgestellt. Wir haben ein neues Hi-Beat-Werk eingeführt, ein neues Spring-Drive-Werk – und dann kam die Kodo. Außerdem haben wir den ersten Chronographen in der Geschichte von Grand Seiko vorgestellt, der auf einem vollständig mechanischen Uhrwerk basiert, sowie ein 5-Hz-Hi-Beat-Handaufzugswerk mit 80 Stunden Gangreserve. In diesem Jahr brachten wir ein außergewöhnliches neues Spring-Drive-Kaliber auf den Markt – das Spring Drive U.F.A. –, das eine Ganggenauigkeit von nur ±20 Sekunden pro Jahr erreicht. Mir sind nur wenige Uhrenmarken bekannt, die in den vergangenen zehn Jahren so schnell und in solcher Vielfalt neue Kaliber entwickelt haben.

Die Kodo Constant-Force Tourbillon bildete den Auftakt zu komplexeren Komplikationen. Plant Grand Seiko künftig weitere aufwendige Komplikationen zu entwickeln – etwa ewige Kalender, vielleicht auf Basis von Spring Drive oder Hi-Beat?

Die Japaner sind in dieser Hinsicht sehr verschwiegen. Es gibt jedoch zwei entscheidende Hinweise: Zum einen haben wir ein neues Atelier eröffnet – das Atelier Ginza –, das ausschließlich der Fertigung der Kodo gewidmet ist und sich direkt im Herzen Tokios befindet. Dort arbeiten lediglich drei Uhrmacher. Das ist ein klares Signal dafür, dass dort noch etwas entstehen wird. Die Kodo ist zweifellos ein Wegbereiter für das, was noch kommen mag.

Inwieweit hört Grand Seiko auf den europäischen Markt – oder halten die Japaner strikt an ihrer eigenen Vision fest?

Unser Ziel ist es, die erste globale Luxusmarke aus Japan zu werden. Die meisten großen Luxusmarken stammen aus Europa, daher ist es entscheidend, hier eine starke Reputation und Markenwahrnehmung aufzubauen. Wenn Grand Seiko in Europa erfolgreich ist, wird die Marke weltweit als echte Luxusmarke anerkannt – nicht nur in den USA oder Japan. Europa ist ein Schlüsselmarkt, und je relevanter wir hier werden, desto stärker und erfolgreicher wird Grand Seiko auch außerhalb Europas sein.

Präzision ist offenkundig ein zentrales Thema. Wo sehen Sie diesbezüglich die Vorteile gegenüber der Konkurrenz?

Präzision gehört zu unseren wesentlichen Säulen. Schon in den späten 1960er-Jahren gehörten wir bei den Chronometriewettbewerben in der Schweiz zu den Besten. Als Grand Seiko 1960 gegründet wurde, basierte die Marke auf vier Grundpfeilern: Schönheit, Präzision, Ablesbarkeit und Langlebigkeit. Das Thema Präzision wird daher immer eine tragende Rolle spielen. Heute bieten wir eine mechanische Spring-Drive-Uhr mit einer Ganggenauigkeit von nur ±20 Sekunden pro Jahr – und ich glaube, in dieser Kombination aus Präzision, Stückzahl und Preisniveau gibt es kaum Vergleichbares.

Wie entwickelt sich derzeit der Trend bei den Uhrengrößen?

Der Trend bewegt sich klar im Bereich zwischen 34 und 38 Millimetern. Im November werden wir zudem neue Modelle mit einem Durchmesser von 26 Millimetern vorstellen, mit denen wir gezielt auch ein weibliches Publikum ansprechen möchten.

Welche Modelle sind aktuell in Europa am beliebtesten?

Historisch gesehen zählt die Snowflake zu unseren wichtigsten Bestsellern. Seit der Einführung der Shunbun (Ref. SBGA413) ist dieses Modell jedoch mit Abstand unser erfolgreichstes in Europa. Die charakteristische Farbgebung und das Titangehäuse haben sich zu einem echten Markenzeichen entwickelt. Auch klassische mechanische GMT-Modelle wie die SBGM221, die mit einem sehr fairen Preis von rund 5.200 Euro angeboten wird, gehören zu unseren Bestsellern. Darüber hinaus trägt die Evolution 9-Kollektion, die vor vier Jahren für eine neue Generation von Sammlern entwickelt wurde, inzwischen fast 22 % unseres europäischen Umsatzes bei.

Und welche Materialien sind neben Stahl derzeit am beliebtesten?

Titan – genauer gesagt High-Intensity Titanium. Das Material zeichnet sich durch seine Leichtigkeit und den hohen Tragekomfort aus und ist zugleich ein fester Bestandteil unserer Marken-DNA.

Halten Sie Quarz-Technologie und mechanische Uhrwerke für miteinander vereinbar?

Ja, sie ergänzen sich sogar hervorragend. Die in den 1960er-Jahren entwickelte Quarztechnologie hat die Uhrenindustrie stark verändert. Meine Generation verbindet Quarzwerke zwar oft mit den erschwinglichen Kunststoffuhren, die einst die Schweizer Uhrenindustrie gerettet haben – doch bei Grand Seiko handelt es sich um technisch hochentwickelte Quarzwerke von besonderer Qualität und Schönheit.

Sie haben in der Vergangenheit limitierte Editionen exklusiv für den europäischen Markt vorgestellt. Wie viel Freiheit haben Sie in Europa, um spezielle Modelle zu gestalten?

Die Japaner stehen solchen Ideen sehr offen gegenüber. Dennoch gilt: Wenn wir eine globale Marke aufbauen wollen, müssen wir konsequent bleiben. Wir müssen darauf achten, dass limitierte oder regionale Editionen nicht das Gesamtbild der Marke beeinträchtigen. Als ich 2020 die europäische Organisation aufbaute, machten limitierte Editionen noch über 15 % des Umsatzes in Europa aus – heute sind es weniger als 6 %. Wir müssen dieses Instrument mit Bedacht einsetzen.

Wie pflegen Sie die Beziehung zu bestehenden Kunden in Europa?

Boutique-Events und Fachveranstaltungen sind entscheidend, um den Kontakt zu halten. Zudem haben wir den GS9 Club, der viele Grand-Seiko-Besitzer zusammenbringt. Die „9“ steht in Japan symbolisch für Exzellenz. Die Aktivierung und Einbindung unserer GS9-Clubmitglieder in ganz Europa ist einer der nächsten wichtigen Schritte für uns. Derzeit zählt der Club rund 1.000 Mitglieder in Europa.

Wie wichtig ist der After-Sales-Service – und wie lange dauert eine typische Reparatur?

Unser After-Sales-Service ist mittlerweile sehr gut aufgestellt. Wir verfügen über ein Servicezentrum in den Niederlanden, in dem fünf spezialisierte Uhrmacher arbeiten. Rund 90 % aller Servicefälle werden dort bearbeitet, lediglich etwa 10 % – beispielsweise für Politurarbeiten – gehen zurück nach Japan. Wir sind stolz darauf, eine durchschnittliche Durchlaufzeit von etwa drei Wochen beziehungsweise 25 Tagen vom Eintreffen bis zum Rückversand zu erreichen.

Grand Seiko bewegt sich in einem stark umkämpften Umfeld mit etablierten Schweizer Luxusmarken. Was ist Ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal, das Sie von diesen unterscheidet?

Ich sage immer: Wir sprechen dieselbe Sprache wie die Schweizer – aber mit einer anderen Grammatik. Wer nach Shinshu kommt, sieht sofort: Alles ist dort integriert, und dennoch ist der menschliche Einfluss bei Grand Seiko überall spürbar. Unser Savoir-faire und unsere Poetik unterscheiden sich deutlich von den großen Schweizer Konzernen, die oft stark automatisiert arbeiten. Wir sind von den Werten Qualität und Emotion – Made in Japan – geprägt und werden weit stärker vom Handwerk angetrieben. Unsere Uhrmacher sind erfahrene, sehr gut geschulte Handwerkskünstler – und jedes Produkt trägt ein Stück ihrer Emotion in sich.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele für Grand Seiko in Europa in den kommenden fünf Jahren?

Der erste Schritt – der Aufbau des Vertriebsnetzes – ist abgeschlossen. Jetzt müssen wir unsere Händler mit Wissen und Schulungen unterstützen, damit sie die Werte von Qualität und Emotion, die Grand Seiko verkörpert, überzeugend weitergeben können. Umsatzseitig haben wir uns ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Persönlich wünsche ich mir, dass meine Söhne, wenn sie in zehn oder fünfzehn Jahren etwa 30 Jahre alt sind, Grand Seiko ganz selbstverständlich unter den schönen Marken in Betracht ziehen. Ich baue diese Marke für die nächste Generation auf.

Wie sehen Sie die Zukunft der mechanischen Uhrenindustrie insgesamt?

In den vergangenen 25 Jahren haben wir eine enorme Aufwärtsentwicklung erlebt. Nun bewegen wir uns in einem gereifteren Markt, in dem der inhaltliche Wert des Produkts wieder stärker im Mittelpunkt steht. Gleichzeitig entstehen weltweit neue, unabhängige Marken. Der Markt wird sich zunehmend für unterschiedliche Vorstellungen von uhrmacherischer Exzellenz öffnen. Dieses „neue Blut“ bringt frische Energie und neue Perspektiven – daher sehe ich die Zukunft der Branche ausgesprochen positiv.


grand-seiko.com

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